Gespräch mit Regisseur Ilker Çatak

Regisseur

Unberechenbar: Kai (Lars Eidinger) zielt auf Borowski (Axel Milberg).
Unberechenbar: Kai zielt auf Borowski. | Bild: NDR / Thorsten Jander

Die Bücher von Sascha Arango erzählen mit märchenhaften Elementen, archetypischen Figuren (die blinde Frau, die Kai sieht; der Staatsanwalt, der über den Tod seiner Tochter richten möchte) und Filmzitaten. Mögen Sie uns ein paar Elemente beschreiben, die Ihnen in der Erzählung wichtig waren?

Als ich die erste Fassung gelesen habe, und da stand am Ende, dass drei Kerle im Kommissariat stehen und sich mit Pistolen und Schrotflinten gegenseitig abknallen wollen, da war der erste Gedanke: Das ist schon ziemlich beknackt! Aber gleichzeitig wusste ich auch, dass ich diesen Film gern sehen würde! Sascha ist ein fantastischer Autor, weil seine Geschichten in ihrer Einfachheit sehr klar sind, dann in ihren Einzelteilen aber total raffiniert und auch hochkomplex. An unserer Geschichte mochte ich von Anfang an, dass es kein „Whodunit“-Aufhänger ist, sondern die Jagd nach einem Mann, der aus dem Knast entwischt – alle wissen, wer der Mörder ist. Filme wie „Sieben“, „Reservoir Dogs“ oder „Heat“ haben wir dafür nochmal angesehen. Hinzu kommen eine Liebesgeschichte um die blinde Frau; ein Vater, der seine Tochter rächen will; und Borowski, der auch vor seinen Kolleg*innen ein Geheimnis bewahrt. Mir war es wichtig, diesen archetypischen Elementen eine Frischheit zu geben, sie geschmeidig ineinander zu führen, den richtigen Ton zu treffen und das große Ganze im Auge zu behalten.

Den dritten Teil eines Sequels zu drehen und noch dazu für den „Tatort“, der als TV-Marke sehr viele Erwartungshaltungen mit sich bringt, ist sicher eine besondere Herausforderung. Welche Überlegungen waren für Sie wichtig, als Sie sich entschieden haben, die Regie zu übernehmen?

Zunächst einmal war das Drehbuch die Grundlage, auf der alle weiteren Planungen aufgebaut haben. Ich habe recht schnell gemerkt, dass Sascha (Arango) ein guter Partner in der Zusammenarbeit werden würde. Hinzu kam, dass mir von Sender- und Produktionsseite großes Vertrauen geschenkt wurde (obwohl das mein erster TVFilm ist). Und nicht zuletzt hatte ich große Lust auf dieses brillante Ensemble. Wenn man ein gutes Buch und gute Schauspieler*innen hat, dann kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Dass das Format und die Trilogie gewisse Erwartungen mit sich gebracht haben, hat mich nicht abgeschreckt, im Gegenteil, sie waren ein Ansporn, es besser zu machen!

Der „Tatort: Borowski und der gute Mensch“ erzählt nicht nur einen Thriller, sondern auch eine Liebesgeschichte. Ist Kai Korthals ein guter Mensch?

Eigentlich sind es ja zwei Liebesgeschichten. Einerseits Kai und Teresa, andererseits Kai und Borowski. Wobei Letztere eher eine Hassliebe ist, eine Schicksalsgemeinschaft, die aus den ersten zwei Teilen stammt. Die Frage, ob Korthals ein guter Mensch ist, muss man im Lichte seiner Geschichte betrachten. Sein verzerrter Blick auf die Welt, sein Aggressionspotenzial, seine Unfähigkeit, Menschen in die Augen zu gucken, all das wurzelt in einer furchtbaren Kindheit. Obwohl seine Absichten eigentlich oft gut sind, weiß er sich in Stressmomenten nicht anders zu helfen als durch Gewaltexzesse. In der Inszenierung habe ich immer nach dem „guten“ Kai Ausschau gehalten, also nach einer Naivität gesucht, die den Zuschauenden ermöglicht, Kai vielleicht sogar ins Herz zu schließen.

Borowski und Kai tragen gegen Ende des Filmes den gleichen Anzug. Wie kam es dazu?

Das ist am Set entstanden. Es war der erste Drehtag von Lars, wir drehen die Szene, in der er durch Borowskis Wohnung schleicht. Ich sage ihm, dass er frei improvisieren kann, die Kamera läuft einfach mit. Und als er dann am Kleiderständer von Borowski steht und sich den Anzug ansieht, denke ich: Wow, wäre doch spannend, ihm denselben Anzug zu verpassen. Also eine sehr spontane Idee, auf die sich alle sehr schnell eingelassen haben. Das sind die tollsten Momente bei der Arbeit, wo plötzlich Dinge entstehen, auf die keiner zuvor gekommen war.

Es fällt auf, dass es in Ihren Filmen oft Figuren gibt, die eine große Sehnsucht nach Veränderung haben, nach persönlichen und gesellschaftlichen Umstürzen. Auch wenn sie dabei Grenzen überschreiten, hat man das Gefühl, dass sie einer Moral folgen. Ist das ein Motor für Ihre Erzählungen und wie verhält es sich bei „Borowski und der gute Mensch“?

Der Wunsch nach Veränderung und die Überschreitung von Grenzen sind tatsächlich gute Motoren für gute Geschichten. Über die Moral habe ich mir nie groß Gedanken gemacht, wobei das Wort filmisch gesehen nur Bestand haben kann, wenn es auch mal un- bzw. amoralisch zugeht. Ich meine, dass unser Film dieses Spannungsfeld immer wieder sehr schön bespielt: zum Beispiel, wenn Korthals Borowski auf dem Balkon rettet. Eine Heldentat von einem, der zuvor kaltblütig getötet hat. Borowski revanchiert sich später, indem er Kai die Chance lässt, sich aus freien Stücken zu stellen. Das hat schon fast was Väterliches. Es ist die Unerwartbarkeit von Wendungen, die eine Geschichte erst spannend machen.

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