Gespräch mit Lars Eidinger, Darsteller von Kai Korthals

Der Mann, der "durch die Wand gehen kann": Kai Korthals (Lars Eidinger).
Der Mann, der "durch die Wand gehen kann": Kai Korthals. | Bild: NDR / Thorsten Jander

Kai Korthals

Die Frage von Gut und Böse treibt Kai Korthals um. Friedrich Schillers „Die Räuber“ hat es ihm angetan. Auch dort ist der vermeintliche Verbrecher der eigentlich Gute. Wenn er in der Theatergruppe im Gefängnis laut und leidenschaftlich seinen Monolog herausbrüllt, hält das die Gefängnistherapeutin für eine sinnvolle Arbeit an seiner Persönlichkeit. Für Kai Korthals ist es ein Aufruf zum Aufstand. Ein Aufstand, der ihm die Freiheit und ein neues Leben bringen soll.

Zweimal schon hat Kai die Ermittler in Atem gehalten. Hat Frauen beobachtet, drangsaliert, entführt und ermordet. Aber er will doch nur teilhaben am menschlichen Leben. Er möchte geliebt werden, wünscht sich ein Stück Normalität. Und nachdem er in seinem Leben schon so viel eingesteckt hat, teilt er jetzt aus, wenn sich ihm jemand in den Weg stellt. Borowski ist für Kai ein Sonderfall. Ein Gegner, der ihm an den Kragen will, aber auch einer der wenigen, zu denen er so etwas wie eine persönliche Beziehung hat.

Gespräch mit Lars Eidinger, Darsteller von Kai Korthals

Es ist fast zehn Jahre her, dass Sie zum ersten Mal den Serienmörder Kai Korthals gespielt haben. Was bedeutet es für Sie, eine solche Figur über einen so langen Zeitraum zu spielen?

Ja, das ist schon verrückt, dass das jetzt schon so lange zurückliegt. Ich erinnere mich noch an das Casting damals mit der von mir sehr geschätzten Suse Marquardt. Ich hatte zwar eine Ahnung, dass Kai Korthals eine spannende Figur sein könnte, aber wer hätte gedacht, dass er der erste Mörder in der „Tatort“-Geschichte sein wird, der zweimal zurückkehren darf. Trotzdem muss ich sagen, dass die Tatsache, dass alle drei Teile von jeweils anderen Regisseur*innen inszeniert wurden, auch für mich zu einer immer neuen Begegnung mit der Rolle geführt hat.

Kai Korthals ist jemand, der in die Kleidung anderer Leute schlüpft, der wenig spricht und unkontrolliert und ohne Filter seine Emotionen auslebt. Was hat für Sie den Reiz an der Figur ausgemacht?

Mir gefällt, jemanden ins Zentrum zu stellen, der die Öffentlichkeit scheut, der kaum dem Blick des Gegenüber standhält und in der direkten Konfrontation vor Aufregung ins Stottern gerät. Es hat etwas von einem Seziertisch, wie dieser Mensch unter die Lupe genommen wird. Dass er scheinbar durch Wände gehen kann, ein „Lebensdieb“ ist, wie Borowski sagt, also in fremde Wohnungen eindringt und dort die Zahnbürsten anderer benutzt, ist eine sensationelle Idee des Autors Sascha Arango, weil es eine unserer Urängste anspricht.

Der dritte Teil des Sequels konzentriert sich ja ganz auf die Frage, ob Kai Korthals am Ende Erlösung findet. Wieviel Einfluss haben Sie auf die Gestaltung der Geschichte und ihrer Figur genommen?

Der Regisseur Ilker Çatak, Sascha Arango und ich haben uns tatsächlich ein halbes Jahr vor Drehbeginn zusammengesetzt, um gemeinsam durch das Drehbuch zu gehen. Sie waren sehr offen und dankbar für Anregungen und Ideen meinerseits. Z.B. war es mein Vorschlag, Schillers „Franz Moor“ aus den Räubern zu zitieren, in der Ursprungsfassung war es noch „Richard III“ von Shakespeare. Auch habe ich vorgeschlagen, den Bogen der Figur so zu schließen, dass er am Ende einsieht: „Ich bin ein schlechter Mensch“. Und ich habe Sabine Timoteo für die Rolle vorgeschlagen.

Wenn wir in der Literaturgeschichte schauen, finden wir Figuren wie Quasimodo oder Frankenstein. Monster mit einer zarten Seele, die unglücklich Liebende sind. Ihre Wut nährt sich aus der Zurückweisung. Oder es gibt Figuren wie den „Joker“ aus dem DC-Universum, die ursprünglich mal gut waren, aber zur Reinkarnation des Bösen geworden sind. Sehen Sie Ihre Figur in der Tradition einer dieser Antihelden?

Generell finde ich es reizvoll, eine Figur ins Rampenlicht zu stellen, die vordergründig etwas Negatives verkörpert, um die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Konflikt zu bringen, sich darin wiederzuerkennen. Als Zuschauer ist man immer verführt, mit der zentralen Figur, aus deren Perspektive die Geschichte über weite Teile erzählt wird, mitzufühlen oder sich gar zu identifizieren. Im Grunde taugt der Antiheld viel mehr zur Identifikationsfigur, weil der klassische Filmheld zwar eine Sehnsucht in uns auslöst, aber keine Realität atmet. Der Mensch ist per se eher antiheldisch, weil fehlerhaft. Das macht ihn zum Menschen. Alles darüber hinaus ist unmenschlich. Oder wie Bertolt Brecht sagt: „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.“

Wo finden Sie ihre Inspiration für Figuren wie Kai Korthals? Gibt es Szenen, die gemeinsam mit Axel Milberg oder Ilker Çatak erst vor Ort in der Improvisation gefunden wurden?

Die Idee, Borowskis Cordanzug beim Herumschnüffeln in seiner Wohnung anzuziehen, kam uns tatsächlich erst beim Machen. Ansonsten halte ich es eher mit Helene Weigel, die sagt: „Hast Du eine Idee, vergiss sie.“ Ich versuche, möglichst frei und offen in einen Drehtag zu gehen und mich nicht durch eine konkrete Vorstellung oder Ideen einzuschränken zu lassen. Ich setze auf die unmittelbare Begegnung, das spielerische Moment, und da sind Kollegen wie Axel Milberg oder auch Sabine Timoteo ein wahrer Glücksfall.

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