So., 08.10.23 | 23:55 Uhr
Das Erste
Dem Unsagbaren eine Stimme geben – Literaturnobelpreis für Jon Fosse
Die karge westnorwegische Natur ist Kulisse und Inspirationsquelle für Jon Fosses Werke. Er schreibe immer aus der Landschaft, in der er aufgewachsen sei und könne ihr nicht entkommen, sagte er einmal. Die raue Melancholie seiner Heimat schlägt sich auch in seiner Sprache nieder: "Manchmal glaube ich, dass ich nur schreibe, um der Stille und dem Nichtsagbaren eine Stimme zu geben," sagte der Schriftsteller einmal.
Literarische Lebensbeziehung
Sein Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel führt seit 30 Jahren mit dem norwegischen Autor eine "literarische Lebensbeziehung", wie er es nennt. Fosses besondere Sprache fordert den Übersetzer – und begeistert ihn immer wieder: "Fosse ist regional sehr stark verankert, auch in seiner Sprache, und das Besondere aber ist, dass er aus dieser Verankerung heraus Werke schreibt, die universell sind. Er schafft es eben mit einfachen Worten, tiefe Dinge zu sagen. Fosse verwendet eine einfache Sprache, die er aber musikalisch formt. Er beschleunigt mal, mal setzt er mehrere Kommas, so dass es einen kürzeren Rhythmus gibt. Dann gibt es wieder Passagen, die sehr lang fließen und einen großen Atem haben. Das macht er absolut virtuos."
Schweigen auf der Bühne
Jon Fosse kam 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund zur Welt. Er schrieb Romane, Gedichtbände, Essaysammlungen, Kinderbücher und rund 30 Theaterstücke. Fosse gilt als eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen norwegischen Literatur und wurde früh in seiner Karriere mit Henrik Ibsen verglichen. Seine Theaterstücke, die ab den 90ern weltweit aufgeführt wurden, machten ihn berühmt. Sein Markenzeichen: Das Schweigen auf der Bühne. Für Schmidt Henkel ein besonderes Stilmittel: "Ich glaube, dass die Stücke sozusagen genuines Theaterfutter sind. Um sie auf die Bühne zu bringen, ist die Kunst der Schauspielerinnen, Schauspieler, die Kunst der Regie, die Kunst der Bühne gefordert, um all das, was dort mit wenig Worten erzählt oder nicht erzählt wird, auch wirklich zu verdeutlichen."
Schreiben, um die Dunkelheit zu vertreiben
Das Schreiben sei für ihn ein Weg, die Dunkelheit und den Schmerz zu vertreiben, sagte Fosse einmal. Schwere Krisen und eine ständige spirituelle Sinnsuche ziehen sich durch das Leben und das Werk des Norwegers, sagt sein Übersetzer Schmidt-Henkel: "Er hat ein großes Sensorium für das, was Seelenschmerz, Lebenskrisen, Suche, unerfüllte Suche im Leben ausmacht." Fosses Reaktion auf den Nobelpreis war fast schon demütig. Er sagte: "Nein ich hab nicht damit gerechnet. Ich hatte keinen großen Ehrgeiz, ich wollte einfach nur schreiben und es irgendwie hinkriegen, davon zu leben. Ich weiß die guten Dinge, die dann geschehen sind, sehr zu schätzen, aber ich hatte keine großen Erwartungen."
Für Schmidt-Henkel ist die zurückhaltende Reaktion des Schriftstellers keine Überraschung: "Öffentliche Aufmerksamkeit ist Fosse zuwider, er ist sie aber auch gewöhnt. Als ich die Nachricht bekommen habe, habe ich ihm sofort eine SMS geschickt und habe gesagt so alter Jon, jetzt ist es doch passiert. Ich kondoliere und gratuliere. Ich glaube, er kommt damit zurecht." Fosses Werk wird durch den Nobelpreis neue Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein Werk, das sich zu entdecken lohnt und noch längst nicht vollendet ist.
Stand: 09.10.2023 22:36 Uhr
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