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Nazi-Raubkunst in der Hamburger Kunsthalle?

Warum eine jüdische Familie vergeblich um ein Bild kämpft

Nazi-Raubkunst in der Hamburger Kunsthalle? | Video verfügbar bis 17.12.2024 | Bild: Paula Modersohn-Becker "Junges Mädchen" / Bild: bpk

Robert Graetz war ein Berliner Textilunternehmer. Sein Sohn floh 1938 aus Deutschland, aber Graetz blieb. Er fühlte sich nicht als Jude, sondern als Deutscher. Er wollte nicht glauben, was sich da anbahnte. 1939 musste er seine Firma schließen. Danach verlor Robert Graetz alles: seine Villa und seine Kunstsammlung darin – über 200 wertvolle Bilder.

Jüdisches Eigentum zum Schleuderpreis

Kunsthalle Hamburg
Kunsthalle Hamburg | Bild: ttt

Zur selben Zeit ging dieser Mann auf Einkaufstour: Conrad Doebbeke. NSDAP-Mitglied, Jurist und Kunsthändler. Er kaufte zu Schleuderpreisen bei jüdischen Kunstbesitzern ein, die verkaufen mussten, um ihre Flucht zu finanzieren.

So kam auch dieses Bild in Doebbekes Hände: "Mädchenkopf" der expressionistischen Malerin Paula Modersohn-Becker. Es hing, so bezeugen es die Nachfahren, in Robert Graetz' Villa.

Am 14. April 1942 wurde Robert Graetz nach Osten deportiert. Sein Besitz war ihm geraubt worden – "verfallen", vermerkt die Transportliste. Robert Graetz wurde im Holocaust ermordet.

Erben sehen keine Gesprächsbereitschaft

Paula Modersohn-Becker: Mädchenkopf
Paula Modersohn-Becker: Mädchenkopf | Bild: Paula Modersohn-Becker "Junges Mädchen" / Bild: bpk

Seit 1958 befindet sich das Gemälde im Besitz der Hamburger Kunsthalle und seit über 20 Jahren wird es auf der Datenbank LostArt als mutmaßliches Nazi-Raubkunstobjekt geführt. Seit drei Jahren versucht der Enkel das Bild seines von den Nazis ermordeten Großvaters zurückzuerhalten.

Roberto Graetz wurde im Exil seiner Eltern in Argentinien geboren – wir haben ihn vor wenigen Tagen interviewt. Der dreijährige vergebliche Rückgabe-Kampf hat den 72-Jährigen frustriert:

"Wir sind sehr ärgerlich darüber, sehr sehr ärgerlich. Die Hamburger Kunsthallee hat in drei Jahren nicht viel, nichts gemacht dafür. Sie nehmen uns als Gegner, nicht als Opfer, aber wir Opfer leben nicht so lange."

Roberto Graetz sieht keine Gesprächsbereitschaft.
Roberto Graetz sieht keine Gesprächsbereitschaft. | Bild: ttt

Graetz lässt sich von einer Anwaltskanzlei vertreten. Die versucht, die Hamburger Kunsthalle zu einem ernsthaften Dialog über das Bild zu bewegen – bislang ohne Erfolg, wie Rechtsanwalt Ewald Volhard erklärt:

"Wir haben einen sogenannten Claim verfasst, also ein Restitutionsbegehren an die Hamburger Kunsthalle. Dieses Schreiben ist mit allen Anlagen und Dokumenten, allen Belegen, die wir haben, ausgesandt worden im Dezember 2020 – und dann haben wir erstmal lange nichts gehört."

Hamburger Kunsthalle bestreitet "Objektidentität"

Graetz' Anwalt erklärt uns gegenüber, dass sich die Hamburger Kunsthalle nur einmal in der Sache geäußert habe. Und zwar mit einem Argument, zu dem Museen sehr gern greifen, um Ansprüche erst einmal abzuwehren, um Zeit zu gewinnen: Man bestreitet die so genannte "Objektidentität".

Alexander Klar, Direktor Hamburger Kunsthalle
Alexander Klar, Direktor Hamburger Kunsthalle | Bild: ttt

Alexander Klar, Direktor Hamburger Kunsthalle, sagt: "Es ist einfach nicht klar, ob dieses Werk das ist, was in der Sammlung Robert Graetz gehangen hat. Und darüber wird geforscht."

Die Forschungen aber ziehen sich bislang ergebnislos hin. Es gibt allerdings eine Tatsache, die seit langem bekannt ist: Auf der Homepage schreibt die Kunsthalle zur Provenienz, also zur Herkunft des Bildes, es sei eine Schenkung durch Else Doebbeke. Die Witwe des Nazi-Kunsthändlers Konrad Doebbeke,  der zahlreiche deutsche Museen mit seinen Raubkunst-Schnäppchen beglückt hat. Da müsste eigentlich jedes Museum hellhörig werden: Auf die Frage, was er über Else Doebbeke wisse, antwortet Klar: "Ich persönlich, nichts."

25 Jahre Washingtoner Erklärung: Nur 23 Fälle entschieden

In Washington tagte vor 25 Jahren, im Dezember 1998, eine Konferenz. 44 Staaten unterzeichneten eine Erklärung, dass sie fortan "gerechte und faire" Lösungen finden wollen zur Rückgabe oder Entschädigung in Sachen Nazi-Raubkunst.

 Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference kritisiert die schleppenden Verfahren.
Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference kritisiert die schleppenden Verfahren. | Bild: ttt

Deutschland brauchte fünf Jahre, um dafür eine Kommission zu schaffen. Aber sie kann nur aktiv werden, wenn die Museen zustimmen. Die heutigen Besitzer des mutmaßlichen Diebesgutes müssen also einverstanden sein, damit über ihre umstrittenen Kunstwerke entschieden werden kann. So konnte diese Kommission in 20 Jahren nur 23 Fälle entscheiden.

Vor gut einer Woche gab es eine Festveranstaltung zum Jahrestag der Washingtoner Erklärung. Aber zu feiern gab es nichts, wie Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference feststellt: "Was wir heute sehen ist, dass zwischen drei und sieben Prozent der Gemälde restituiert worden sind. In einem Zeitraum von 20 Jahren. Das heißt, wenn wir in dieser Geschwindigkeit weitermachen, brauchen wir über 300 Jahre."

NS-Raubkunst-Kommission dringend reformbedürftig

Die NS-Raubkunst-Kommission müsste dringend reformiert werden. Der entscheidende Punkt: Die Kommission muss endlich auch einseitig von den Nachfahren der NS-Opfer angerufen werden können – ohne Zustimmung der Museen. Diese Reform scheitert seit Jahren am Widerstand der Bundesländer, denen die Museen gehören.

Ein gravierendes Beispiel für dieses Scheitern liefert Bayern. In den dortigen Staatsgemäldesammlungen befindet sich das geschätzt 50 Millionen teure Picasso-Gemälde "Madame Soler". Jüdische Erben erheben Anspruch darauf. Aber Bayern weigert sich, den Fall vor die Beratende Kommission zu bringen – und so stehen die jüdischen Nachfahren als Bittsteller da.

Was das bedeutet, stellt Rüdiger Mahlo, Jewish Claims Conference, klar: "Das heißt, dass die seit 15 Jahren Anwaltskosten haben, Provenienzrecherchen machen, um am Ende nicht mal gehört zu werden. Gehört! Das ist ja das Minimum."

Kulturstaatsministerin Claudia Roth im ttt-Interview
Kulturstaatsministerin Claudia Roth im ttt-Interview | Bild: ttt

Kulturstaatsministerin Claudia Roth will bis Frühjahr 2024 eine Reform der Kommission durchbringen: "Wir sind bei einer Verabredung mit den Ländern, dass es eine einseitige Anrufbarkeit gibt. Ein Land hat nicht zugestimmt und das ist Bayern. Und ich glaube, dass Bayern es nicht durchhalten kann, wenn alle anderen Bundesländer sagen: 'Ja, wir haben verstanden. Wir sind politisch, wir sind moralisch dazu verpflichtet."

Im Spätsommer bat Roberto Graetz den Fall "Mädchenkopf" von Paula Modersohn-Becker vor die Beratende Kommission zu bringen. Die Hamburger Kunsthalle aber lehnt das ab.

Wenn Deutschland es ernst meint mit der Rückgabe von Kunstgegenständen, die Juden geraubt wurden, dann muss diese Kommission endlich Durchgriffsrechte bekommen. Sonst bleibt ihre Existenz nichts als eine folgenlose moralische Geste.

Autor: Ulf Kalkreuth

Stand: 18.12.2023 13:03 Uhr

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