Türkei

Selahattin Demirtaş
Selahattin Demirtaş | Bild: BR

Können sie uns etwas über die Bedingungen im Gefängnis erzählen? Wie haben sie ihre Zeit bis jetzt nutzen können? Haben sie Druck oder schlechte Behandlung erlebt?

Die Bedingungen der Gefängnisse in der Türkei waren noch nie gut und mit dem Ausnahmezustand sind sie besonders schlecht geworden. Bis jetzt hat man sich mir gegenüber nicht unhöflich verhalten. Aber die Gefängnisse vom F-Typ (Anmerkung der Redaktion: Hochsicherheitsgefängnisse) selbst sind sowieso eine Methode der Isolation und Folter. Die Bedingungen der anderen İnhaftierten und Gefangenen sind leider viel schlechter. Wir hören jeden Tag von ernstzunehmenden Rechtsverstößen in  Gefängnissen.

Es gibt ein Novum: Sie sind aus dem Gefängnis heraus ein Kandidat für die Wahl des Staatspräsidenten geworden. Wie stellen sie sich ihren Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus vor?

Ich habe nicht die Möglichkeiten, einen wirkungsvollen Wahlkampf zu führen. Meine Möglichkeiten im Gefängnis sind fast Null. İch kann lediglich durch meine Anwälte und per Post Nachrichten nach draußen schicken. Millionen von jungen Freuden und meine Partei, die HDP, machen in meinem Namen Wahlkampf. Und ich versuche sie so gut wie möglich zu unterstützen. İch versuche insbesondere die Sozialen Medien effektiv zu nutzen. Es ist sowieso so, dass weder mir noch meiner Partei außerhalb der Sozialen Medien ein Kanal geblieben ist, um unsere Stimme hörbar machen zu können.  

Was wird ihnen vorgeworfen? Wieso sind sie als Kandidat für das Präsidentenamt immer noch im Gefängnis? Gibt es in der Türkei Gerechtigkeit? Sind diese Wahlen unter diesen Umständen fair? Haben sie jemals darüber nachgedacht, als Partei diese Wahlen zu boykottieren?

Meine Kritik an Erdogan und der Regierung in meinen Reden und Erklärungen sind die Grundlage der Verfahren gegen mich. Es sind also meine politischen Aktivitäten, über die man ein Urteil fällen will. İch bin kein Gefangener, ich bin eine politische Geisel. Tausende HDP‘ler sind in der gleichen Situation. Die Wahlen während des Ausnahmezustandes sind natürlich nicht fair. Aber ein Boykott war niemals auf unserer Tagesordnung. Denn durch einen Boykott würden wir der AKP den Sieg auf einem goldenen Tablett servieren. Das machen wir nicht. Wir arbeiten mit all unsrer Kraft für die Demokratie in diesem Land.

Wieso ist der Friedensprozess zusammengebrochen? Welche Erwartungen haben sie vom Staat und von der PKK? Sehen sie beim Zusammenbruch des Friedensprozesses bei sich selbst auch eine Schuld?

Der Hauptverantwortliche beim Zusammenbruch des Prozesses ist diese Regierung. Denn wenn es die Regierung gewollt hätte, hätte es zum Frieden kommen können. Um bei den Wahlen erfolgreich zu sein, hat sich die AKP abgewandt und den Krieg bevorzugt. Wir leiden jetzt unter dieser Sünde, die türkische Gesellschaft leidet darunter. Wenn wir jedoch zurückblicken, dann können wir nicht sagen, dass das, was sie gemacht haben, der AKP genützt hätte. Andererseits müssen natürlich auch manche Schritte der PKK  kritisiert werden. Wir hätten uns stärker um diesen Prozess kümmern müssen. Trotzdem gab es einen Anfang und es wird nicht das letzte Mal sein. Wir habe keine Zweifel daran, dass wir aus unseren Fehlern lernen und dass wir in Zukunft bei einem neuen Prozess  noch effektiver sein werden.

Was sind ihre Erwartungen bezüglich der ersten Wahlrunde? Wird die HDP die 10%Hürde überwinden können?

Die Prognosen zeigen, dass wir auf Messers Schneide stehen. Wenn sie dann noch den Ausnahmezustand hinzufügen, dann sind wir in einer Situation, in der wir noch vorsichtiger sein müssen. Unter normalen Umständen kommt die HDP über die 10-Prozent-Hürde, aber unter den türkischen Umständen geht es darum, die HDP unter die 10-Prozent-Hürde zu drücken. Wir müssen bis zum letzten Tag mit diesem Wissen arbeiten, wir müssen jedem, den wir erreichen können, erklären, warum die HDP die Hürde schaffen muss. Es sieht auch so aus, dass es bei den Präsidentenwahlen zu einer zweiten Runde kommen könnte. İch will einer der Kandidaten sein, die in der zweiten Runde noch da sind. Dafür arbeiten wir.

Die HDP wird bei der zweiten Runde der Präsidentenwahl eine Schlüsselrolle spielen. Was für einen Staatspräsidenten würden sie unterstützen?

Die Grundpfeiler unserer Partei sind klar: Die HDP agiert im Rahmen ihres Parteiprogramms, ihrer Grundpfeiler und einer politischen Arbeit, die von einem Verständnis getragen ist, das Multikultur, Mehrheitsdemokratie und regionale Verwaltung ermöglicht. Wir unterstützen einen Kandidaten, mit dem wir uns auf einen gemeinsamen Nenner dieser Grundpfeiler einigen können, natürlich nur, wenn ich es nicht in die zweite Runde schaffe.

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