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Kenia, Flüchtlingslager Kakuma: Leben mit dem Mangel

Kenia, Flüchtlingslager Kakuma: Leben mit dem Mangel | Bild: BR

Ich sitze hier auf einem Boda-Boda, das ist ein Motorradtaxi, mit dem man sich hier im Norden Kenias vorwärtsbewegt. Wir sind in der Nähe der südsudanesischen Grenze. Man kann eigentlich sagen, hier ist so ziemlich nichts, außer einem riesengroßen Flüchtlingslager, einem der größten der Welt: Kakuma. Fast 200.000 Menschen leben in Kakuma, geflohen von überall dort in der Region, wo Krieg ist, aus dem Süd-Sudan, Somalia oder Kongo. Fast alle leben von Hilfslieferungen. Kakuma wächst täglich

Täglich suchen hier neue Menschen Zuflucht. Kakuma wächst und wächst. Das geht ewig so, hier kann man kilometerweit durch dieses Lager fahren. Im Lager dürfen sich die Flüchtlinge frei bewegen, aber sie dürfen es nicht verlassen. Es sei denn, sie haben eine Extra-Erlaubnis – komplizierte Sache.

Amal Manei-Dheire beim Wasserholen
Amal Manei-Dheire beim Wasserholen | Bild: BR

Ich möchte das Lager kennenlernen. Meine Kollegin Assia Mohammad begleitet mich. Für kurze Zeit werden wir am Alltag einer alleinstehenden Mutter mit vier Kindern teilnehmen: Amal Manei-Dhere, 23, Somali, mit 13 nach Kenia geflüchtet, seit fünf Jahren schon im Lager von Kakuma.
Kaum sind wir da, muss Amal Wasser holen. zweimal am Tag. Hier ist alles rationiert. „Wieviel Wasser darfst du nehmen?“ Amal: „Nur vier, fünf Kanister. Ein Kanister sind 20 Liter.“ „Woher weißt du, wann du dran bist?“ Amal: „Ist geregelt: es gibt eine Liste.“ Amal Manei-Dhere ist immer an neunter Stelle dran und immer der linke Wasserhahn. Ihre tägliche Ration: 80 Liter für fünf Personen – muss fürs Essen, Trinken und die Sauberkeit reichen.

Amal Manei-Dheire und Isabel Schayani
Amal Manei-Dheire und Isabel Schayani | Bild: BR

33 Grad, etwas Wasser schleppen, ich bin schon geschafft. Amal beginnt zu kochen – jeden Tag dasselbe, denn die UNO verteilt immer dasselbe: Essen. Weizen, Spalterbsen, Öl, nie Gemüse, nie Obst, immer Weizen, Erbsen, Öl. Wie einen Schatz zeigt sie uns zwei Tomaten und eine halbe Zwiebel. Die muss sie extra von ihrem bisschen Bargeld gekauft haben. Amal Manei Dheire: „Ich werde euch einladen!“ 30 Cent hat sie auf dem Markt für die zwei Tomaten und die halbe Zwiebel bezahlt, viel Geld! Der halbe Monat ist gerade erst um, ihre Vorräte hat sie fast aufgebraucht.
Amal verdient etwas Geld beim Roten Kreuz. Davon kauft sie Milchpulver für das Baby: „Das hier ist für eine Woche und das andere für die nächste. Es reicht trotzdem nie für zwei Wochen, ist schon vorher leer.

Reduzierte Rationen

Säcke mit Lebensmitteln im Lager
Säcke mit Lebensmitteln im Lager | Bild: BR

Das Lebensmittellager der UN: Dieser Weizen wurde von den USA gespendet. Alle Lebensmittel in Kakuma werden mit Spenden finanziert. Gibt es genug Spenden, reicht das Essen. Und wenn nicht? Boniface Wanganju, WFP Programm Officer: „Seit drei Jahren haben wir Kürzungen. Im Moment kürzen wir die Rationen für die Menschen um 55 Prozent. Getreide, Öl – da bekommen sie halb so viel wie normalerweise.“
Die reichen Länder geben einfach immer weniger. Im Moment fehlen in Kakuma 50 Prozent der Zuwendungen. Also überlegen die UN, wie sie die Rationen noch weiter kürzen können. Wir haben mehr Menschen, mehr Flüchtlinge und auf der anderen Seite weniger Geber. Das ist ja ein großes Problem. Wo führt das hin? Boniface Wanganju: „Tja, das ist überall auf der Welt so. Aber die Idee ist auch nicht, sie satt zu machen. Die Idee ist, dass der Körper nicht leidet.“

Amal bereitet das Grundnahrungsmittel vor: Uruji, so wichtig wie bei uns Kartoffeln. Ich darf sieben. Aber warum sieben? Dann sehe ich, dass es überall krabbelt. Ist immer so, sagt sie. Amal Manei Dheire: „Wenn du sauberes Essen willst, musst du dafür im Laden zahlen. Das ist das, was wir Flüchtlinge kriegen.“

Arme Flüchtlinge und arme Bevölkerung

Einer, der bei der UN 50 Kilo-Weizensäcke schleppt, ist John Elim. Pro LKW-Ladung bekommt er ein Euro 30. Ich denk, ärmer als Amal kann man nicht sein bis zu dieser kurzen Begegnung mit ihm. John Elim: „Wir schleppen das Essen nur herum. Fertig. Wir sehen es, wir tragen es, kriegen aber nichts davon. Das ist ja für die Flüchtlinge.“ John Elim ist eben kein Flüchtling, sondern stammt hier aus Kakuma. Er und die anderen bekommen nicht Hilfslieferungen; ist nur für Flüchtlinge. John Elim: „Einige Flüchtlinge verkaufen ihr Essen, weil sie so viel haben. Wenn wir etwas Geld haben, können wir es von ihnen kaufen.“ Die Hilfslieferungen zu verkaufen, ist verboten, theoretisch! Aber wir finden nach wenigen Minuten Marktfrauen aus Kakuma, die genau diese Lebensmittel verkaufen. Die Marktfrau ist etwas irritiert über unser Interesse: „Wir kaufen es vom Großhändler und verkaufen es dann hier.“ Das Ganze funktioniert so: Um irgendwie an Geld zu kommen, verkaufen Flüchtlinge ihre Lebensmittel an Großhändler, die dann an die Marktfrauen.
Mehl aus Amerika, das Maismehl der UN, ist das denn gute Qualität? Marktfrau Susan Ijinga: „Das Essen ist nicht mal gut. Manchmal kriegen unsere Kinder Durchfall, wenn sie das essen. Das kaufen nur die ganz Armen. Wer etwas Geld hat, kauft woanders.“ Nebenbei: Glatte Haare zum Anfassen.

Essen mit Amal

Amals Festessen ist fertig: Kichererbsen, Maismehl und die zwei Tomaten. Zuerst dürfen die Kinder essen. Amals Vater in Somalia kümmert sich um sie – so gut er kann. Als Amal 13 war, schickte er sie ins Lager nach Kenia, damit sie überlebt; dafür verkaufte er viel Land. Kürzlich brauchte Amal Medizin für die Kinder, da bat sie ihn um Hilfe. Er hat seine Ernte verkauft und konnte ihr ein kleines Vermögen schicken. 25 Dollar: „Ich rief meinen Vater in Somalia an, als er mir diese Hilfe geschickt hatte. Da hing er gerade im Haus fest, sie wurden angegriffen. Er sagte: Ich habe die Kinder und nichts zu essen. Ich konnte nichts für ihn tun und er auch nicht für mich.“

Vier Stunden später: Endlich isst auch Amal, die Reste der Kinder. Ist das jetzt heute ihr erstes Essen? Amal Manei Dheire: „Ich arbeite ja, habe gekocht, später waren zuerst die Kinder dran.“ „Die erste Mahlzeit?“ „Ja.“
Die UNO kürzt die Rationen um die Hälfte. Heißt für Amal: Es reicht nur für eine Mahlzeit am Tag.

Die meisten bleiben in Kakuma hängen. 300 wurden dieses Jahr auf westliche Länder verteilt und konnten raus. Davon träumen hier alle.
Wenn es dunkel wird in Kakuma, wird es etwas unheimlich. Ab 18 Uhr gilt Ausgangssperre bis morgens um sechs: es gibt Morde, Übergriffe. Die Polizei geht nachts nicht ins Lager. Und mitten drinnen Amal mit ihren vier kleinen Mädchen: „Sie kommen zu dir nach Hause und sagen: Gib uns alles, was du hast. Wenn du Geld hast, nehmen sie das, wenn nicht, nehmen sie die Telefone oder erschießen dich sogar.“

Amal Manei-Dheire
Amal Manei-Dheire | Bild: BR

Die Nacht war eher unruhig: die Kinder jede Stunde wach, ein Nachbar hörte ewig Hip-Hop. Man hört alles. Die Kinder haben keine Spielsachen, nichts. Jede Ablenkung ist ein Treffer. Das Geld reicht nicht, damit sie zur normalen Schule gehen, damit sie Rechnen und Schreiben lernen. Ich hab noch etwas Adventliches mitgebracht, weil mich interessiert, ob sie das wohl mögen: Spekulatius und Zimtsterne. „Gut“, sagt sie. „Die hier sind besser. Zimtstern. So schön süß.“
Wir waren der erste Besuch, den Amal und die Kinder jemals hatten. Zum Abschied sagt sie: Du kannst gerne heute Nacht hier schlafen, aber nicht essen. Es reicht nicht.

Autorin: Isabel Schayani, WDR

Stand: 11.09.2019 21:43 Uhr

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