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Türkei: Syrische Flüchtlinge abgeschoben in den Krieg?

Türkei: Syrische Flüchtlinge abgeschoben in den Krieg?
Türkei: Syrische Flüchtlinge abgeschoben in den Krieg? | Bild: SWR

Bilder von syrischen Aktivisten sollen einen Bombenangriff der syrischen Luftwaffe Mitte August zeigen. Mehr als ein Dutzend Menschen sollen dabei gestorben sein, melden internationale Agentur später. Der Schauplatz: Ein Ort nahe der syrischen Stadt Idlib. Nur wenige Kilometer entfernt, am selben Tag trifft unser Kamerateam den 26-jährigen Bashir. Er war vor sechs Jahren aus Syrien in die Türkei geflohen – doch Mitte Juli, sagt er, hätten türkische Behörden ihn nach Idlib abgeschoben. Unterschlupf fand er bei einem älteren Cousin.

Bashir erzählt. Mitte Juli war er in Istanbul – wo er gemeldet ist – auf der Straße kontrolliert worden. Seinen Pass habe er dabei gehabt – nicht aber die Aufenthaltsgenehmigung. Die Polizei nimmt ihn fest: "Auf dem Polizeirevier mussten wir warten, solange bis noch mehr Syrer ankamen. Wir hatten keine Ahnung, was sie mit uns vorhatten. Wir mussten alle abgeben, was wir besaßen. Irgendwann brachten sie mich und 17 andere in einen Bus."

Bashir telefoniert mit seiner Familie, die immer noch in Istanbul lebt und von der Deportation erst erfährt, als Bashir in Syrien ist. Auch einen Anwalt darf er während der Festnahme nicht informieren, sagt er. Schließlich habe eine 20-stündige Busfahrt begonnen, in Handschellen. Man wolle sie ins türkische Hatay bringen, zur Neuregistrierung. Erst am nächsten Tag habe er begriffen, dass er nach Syrien deportiert werden soll: "Am Morgen als es hell wurde sahen wir, die türkische Grenzmauer. Wir waren beunruhigt und fragten: Wohin bringt ihr uns? Ein türkischer Soldat kam und sagte: Ich will keinen Mucks von Euch hören, sonst bringe ich Euch um."

Bashirs Geschichte, kein Einzelfall, sagt Emma Sinclair-Webb von Human Rights Watch (HWR). Die türkische Regierung kündigte im Juli an, Syrer, die nicht in Istanbul gemeldet sind, in andere Provinzen umzusiedeln. Seitdem gibt es immer wieder Razzien und Berichte über zahlreiche Fälle von Deportationen, besonders oft nach Idlib. "Wir wissen, dass die Provinz Idlib der neue Kriegsschauplatz in Syrien ist", sagt Emma Sinclair-Webb von HRW. "Hier gab es zuletzt besonders viele Luftangriffe, viele Tote, darunter viele Kinder. Viele Syrer in der Türkei haben daher gerade große Angst, dass die Türkei eine verlogene Politik betreibt und die Umsiedlungen als Vorwand nutzt, um Syrer los zu werden, weil es ihnen zu viel wird."

Eine Angst die viele Syrer in Istanbul lähmt. Wie Mohammed und seine Familie. Die Wohnung verlassen sie kaum mehr. Erst vor wenigen Tagen bekommt Mohammed einen Anruf von einem Arbeitskollegen, der Übernacht nach Syrien gebracht wurde, erzählt er. "Jeden Tag, wenn ich auf die Arbeit gehe, habe ich große Angst, dass mir das auch passiert. Vielleicht kommt die Polizei heute und nimmt mich mit? Ich sage meiner Frau: Vielleicht komme ich heute nicht wieder nach Hause. Zurzeit ist jeder Tag so. Jeder Tag in diesem Monat"

Seit fünf Jahren lebt Mohammed in Istanbul, arbeitet in einer Textilfabrik. Die fünf Minuten Fußweg dorthin kommen ihm derzeit wie eine Ewigkeit vor. Mohammeds Frau Susan und der Sohn sind in Istanbul gemeldet. Mohammed jedoch in Adana, 1000 Kilometer von ihnen entfernt. Dorthin umziehen könne die Familie erst dann, wenn er genug Geld sparen konnte, sagt er – denn in Adana stünden sie wieder vor dem Nichts. Solange will er in Istanbul bleiben – und arbeiten, trotz des Risikos von der Polizei aufgegriffen zu werden: "Ich habe große Angst. Ich habe ihn gebeten mit seinem Chef zu sprechen, damit der die Türen der Werkstatt schließt. Dann schaut es für die Polizei vielleicht so aus, als wäre niemand da."

Pressetermin mit dem türkischen Innenminister Süleyman Soylu. Er hat internationale Journalisten eingeladen, um über die derzeitige Flüchtlingspolitik zu sprechen. Deportationen verneint er, spricht von Einzelfällen, deren Hintergrund im Zweifelsfall auch geprüft werde. "Es ist nicht möglich, dass ein Syrer, egal ob er illegal oder unter dem Status des Schutzes hier ist, nach Syrien geschickt wird. Außer jemand möchte freiwillig zurück gehen", sagt Süleyman Soylu.

Doch genau diese freiwillige Rückkehr, sei das Problem, sagt Emma Sinclair-Webb. Laut Human Rights Watch wurden Syrer in zahlreichen Fällen gezwungen, Dokumente über ihre freiwillige Rückkehr nach Syrien zu unterschreiben. "Wenn man gezwungen wird, zum Teil unter Androhung von Schlägen oder der Ansage, dauerhaft verhaftet zu werden – außer man unterzeichnet ein Papier, das manche nicht lesen oder verstehen können, dann ist diese Rückkehr natürlich nicht freiwillig. Wir fürchten, dass die Türkei das System der freiwilligen Rückkehr gerade missbraucht."

Auch Bashir erzählt im Interview etwas von einem Papier, dass er unterzeichnen musste, ehe man ihn in den Bus nach Syrien setzte: "Sie wollten, dass ich etwas unterzeichne, was ich nicht verstand. Wir fragten nach dem Inhalt. Die Beamten sagten: Keine Sorge, das ist nur eine Formalie, da du keinen Ausweis dabei hast."

In Istanbul wartet Susan mit ihrem Sohn darauf, dass Vater Mohammed von der Arbeit kommt. Ihre Wohnung kommt ihr mittlerweile fast wie ein Gefängnis vor, sagt sie. Dann das erlösende Klopfen. "Wer ist da?", fragt Susan. Es ist Mohammed. Heute ist alles gut gegangen. Doch fünf seiner syrischen Arbeitskollegen seien aus Angst nicht zur Arbeit gekommen, erzählt er: "Ein oder zwei Monate kann ich vielleicht noch so weiter machen – dann habe ich hoffentlich genug Geld für einen Umzug nach Adana. Aber länger halte ich das nicht mehr aus." Sicherheit – das sei derzeit sein einziger Wunsch, sagt er. Aus diesem Grund sei er vor sechs Jahren auch in die Türkei geflohen.

Eine Spurensuche von Katharina Willinger, ARD Istanbul

Stand: 26.08.2019 18:26 Uhr

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