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Thailand: Die Engel in der Rush-Hour

Thailand: Die Engel in der Rush-Hour | Bild: WDR

Eine Schwangere unterwegs ins Krankenhaus, ein Kind unterwegs ins Leben, eskortiert von einer Motorradeskorte. Ankunft im Krankenhaus. Gerade nochmal gut gegangen. Krisana ist Motorradpolizist. Der Mann, aber vor allem Polizeihebamme, hat wieder einmal ein Wunder vollbracht. "Ich habe über Funk mitbekommen, dass eine Schwangere im Stau feststeckt und jeden Moment gebären wird. Mein Team und ich wir sind gleich los. Aber, na ja, wie das so ist an einem Montagmorgen. Der Verkehr ist einfach schrecklich. Wir haben sie dann die Sirenen angeschaltet und sind dann hier ins Krankenhaus. Gerade noch rechtzeitig."

Eine Geburt im Taxi, auf dem Bürgersteig oder unter der Brücke

Polizist Krisana hat den kleinen Mano auf die Welt gebracht, im Taxi auf der Rückbank.
Polizist Krisana hat den kleinen Mano auf die Welt gebracht, im Taxi auf der Rückbank. | Bild: WDR / WDR

Bangkok – Stadt der Staus und der Sirenen. Geburten am Straßenrand, die gibt‘s überall auf der Welt. Aber Verkehr wie in Bangkok – den gibt‘s nur einmal. Acht bis zehn Millionen Menschen leben hier. Die Straßen chaotisch, verrückt. Vollgestopft mit röhrenden Bussen, Lastwagen, Limousine, Tuktuks und abertausenden von Mopeds. In der Rushhour kann ein Kilometer eine Stunde dauern. Oder zwei. Oder fünf. Die Stadt hat vor sich selbst kapituliert. Wer hier sein Kind bekommt, dem hilft eine Spezialeinheit.

Zu jeder Zeit hat die Polizei in Bangkok fünf Teams von Hebammen in Bereitschaft. Im Ernstfall rasen sie mit über 150 km/h über Bangkoks Autobahnen und schlängeln sich durch die endlosen Staus. Schon 18-mal hat der liebe Gott Krisana zu Hilfe gerufen. Das Schicksal wollte es so. Immer irgendwie war er in der Nähe als seine Hilfe gefragt war, seine Hände und sein Geschick und sein beruhigendes Lächeln. Jedes Mal das volle Programm: eine Geburt im Taxi, auf dem Bürgersteig, unter einer Brücke, irgendwo eine halbe Strecke zum rettenden Krankenhaus.

Hebamme mit Handschellen und Pistole

"Hier allein habe ich fünf Kinder auf die Welt gebracht. Eins da drüben, zwei da hinten und die anderen da vorne. Fünf Geburten insgesamt. Alle sind gesund und munter. Nur beim letzten, das war schwierig. Die Mutter hat das Kind da drüben unter der Brücke bekommen. Es war extrem heiß. Der Junge war so schwach, ich dachte der schafft‘s vielleicht nicht. Aber er hat überlebt. Die Eltern haben ihn nach mir benannt: Krisana", erzählt er.

Krisana, die erste Hebamme der Welt, die sonst Handschellen und Pistole trägt. Heute trifft er eines der vielen Kinder, die er auf die Welt geholfen hat – und seine Mutter. Mano geboren im Taxi. Eines Morgens im Februar war‘s als die Wehen einsetzten. Aber als Dararat mit ihrer Schwägerin endlich im Taxi saß, schwante ihnen, es ist zu spät.

Krisana war da wieder auf Stand-by als das Funkgerät krächzt. Er schwingt sich auf sein Motorrad, schaltet die Sirene an und rast dem Stau und dem Taxi, der Mutter und ihrem Kind entgegen. Wie war das alles für Krisana? Es sprudelt nur so heraus, als hätte er drauf gewartet, dass ihn jemand fragt. "Ich bin über die Rama 4 und die Autobahn zu ihr gerast. Als ich angekommen bin, hatte sie ihren Sohn gerade geboren. Ich habe mich dann an die Arbeit gemacht. Den Körper gewaschen, Mund und Nase, die Nabelschnur abgeklemmt und dann das Baby in ein weißes Tuch eingewickelt."

Die Schwägerin der jungen Frau hat alles gefilmt. Krisana hat nicht mal Zeit, den Helm abzunehmen. Und vor lauter Aufregung kriegt er seine Gummi-Handschuhe nicht an. Dreimal verkehrt rum. Aber dann spult er all sein Können ab. Fachmännisch und gewissenhaft. Sogar die Nabelschnur des Neugeborenen klemmt Krisana ab. Im Kreissaal auf der Rückbank. Im Hintergrund plärrt das Funkgerät.

"Ich dachte, den Mann hat der Himmel geschickt"

Polizisten als Geburtshelfer – die Spezialeinheit in Bangkok für Hochschwangere.
Polizisten als Geburtshelfer – die Spezialeinheit in Bangkok für Hochschwangere. | Bild: WDR / WDR

"Ich hätte nie gedacht, mein Kind in einem Taxi zu bekommen. Mitten auf der Straße. Ich dachte das gibt‘s nur im Fernsehen. Aber dann ging‘s los mit den Wehen. Meine Schwägerin und der Taxifahrer haben mich beruhigt. Aber da war das Baby schon draußen. Ich habe dann nur gefragt, ist alles okay, hat es zwei Augen, zwei Ohren, Armee, Beine und einen Mund? Und als dann Krisana kam, war ich überglücklich. Ich dachte, den Mann hat der Himmel geschickt", erzählt die Mutter Dararat Samniengwan.

So wird an diesem Tag außer dem kleinen Mano noch jemand geboren, Krisana, der Held aller Hebammen. Die Geburt im Taxi – sie hat in ganz Thailand Schlagzeilen gemacht. Und der Helfer mit dem Polizeihelm? Seite eins in allen Zeitungen. "Das Taxi in dem Mano geboren wurde, hatte eine 54 im Kennzeichen. Am nächsten Wochenende haben alle mit der 54 Lotto gespielt. Manche nennen Mano den Glücksjungen. Wir sehen uns heute das erste Mal wieder. Und ich bin froh. Er ist ein durch und durch gesundes Baby", sagt Krisana.

Krisanas Einheit ist eine wie keine andere auf der Welt. Sie wurde vom König ins Leben gerufen. Die Polizisten schreiben keine Strafzettel, keine Knöllchen, sie nehmen keine Verwarngelder und lassen sich auch nicht bestechen. Sie sollen nur eins, hat der König gesagt: den Menschen dienen. Da sein, wenn sie gebraucht werden. 150 Kinder haben die Männer zur Welt gebracht. Und fast 3000 hochschwangere Frauen mit Blaulicht ins Krankenhaus eskortiert. Der Mann der jetzt um die Ecke kommt, der mit dem silbernen Revolver, heißt Mana. Er allein hat schon 60 Kinder auf die Welt gebracht. Über dem gekochten Reis hängen die Dankesbriefe der jungen Mütter.

Hebammentrainig auf der Polizeischule

Geburt auf der Rückbank im Taxi: Die Hebamme mit Polizeihelm hilft.
Geburt auf der Rückbank im Taxi: Die Hebamme mit Polizeihelm hilft. | Bild: WDR / WDR

Krisana hat schon so viel Unglück gesehen in seinem Leben als Motorradpolizist, so viel Blut, soviel Tränen, so viel Tote. "Schön, wenn ab und zu auch einmal jemand auf der Straße geboren wird. Es macht uns alle stolz, wenn wir den Müttern und ihren Kindern helfen können." Zweimal im Jahr trainiert die Polizei ihren Nachwuchs an der Universität. Mit Hilfe erfahrener Hebammen. Auf den Sesseln, allesamt junge Männer. Manche so jung, sie haben noch nie eine Geburt gesehen, geschweige dabei geholfen. Man kann die vielen Gefühle im Raum fast greifen: Verlegen, konzentriert, ungläubig, verschreckt. Man könnte Mitleid haben, mit den Cops, die plötzlich zur Hebamme werden. Krisana ist jetzt voll im Element.

"Ich musste einmal mitten im Regen helfen, ein Kind zur Welt zu bringen. Es war chaotisch. Der Kopf guckte schon raus. Irgendjemand rief, pressen. Und plötzlich rutschte das Kind raus. Es kam so schnell und alles um uns herum war so nass, dass mir das Baby aus der Hand glitt, wir konnten es gerade noch auffangen." Applaus für Krisana. Dann müssen die Männer selber ran. Vorne auf dem Schreibtisch kommt jetzt ein Kind zur Welt. Geübt wird an einem Unterleib aus Silikon und Plastik. Die Hebammen-Schüler können ihr Glück nicht fassen. "Das erste Mal ist immer komisch. Wenn die ihre Gummihandschuhe überziehen, kannst du sehen wie die zittern. Sogar hier im Training. Ich beruhige sie dann. Erstmal locker einatmen. Nur nicht flatterig werden. Weil: was du jetzt lernst, das rettet später Leben", sagt die Hebammen-Trainerin.

Gruppenarbeit mit Babys. Die Polizisten lernen jetzt, das Neugeborene richtig einzuwickeln. Krisanas Kollegen finden langsam Gefallen am neuen Job. Eine Hebamme ist geboren. "Ich habe als Verkehrspolizist angefangen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Kindern auf die Welt helfe. Ich bin glücklich darüber. Ich bin vielleicht ein Beamter, ein Verkehrspolizist. Aber ich bin genauso eine Hebamme", erklärt Krisana.

Krisana ist wieder auf Stand-by – irgendwo im Verkehrs-Chaos von Bangkok. Dass er als Motorradpolizist mit einmal auch Hebamme ist – diese komische Kombination – liegt auch daran, dass die Stadt seit Jahrzehnten keinerlei Verkehrskonzept hat. Und so die Stadt im Stau ertrinkt.

Krisana Petchnoi: "Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann keine Staus mehr in Bangkok. Mir tun vor allem die armen Leute leid. Die Reichen gehen ja schon Tage vorher ins Krankenhaus. Es sind immer die Armen, die im Stau hängen bleiben. Ohne zu wissen, ob sie es rechtzeitig schaffen oder im Taxi gebären müssen. Bangkok ohne Stau – das ist mein Traum." Wenn alles gut geht – ist der Lohn seiner Arbeit einfach und schön zugleich: Ein Babyschrei und der Applaus der schaulustigen Passanten.

Autor: Philipp Abresch/ARD Singapur

Stand: 12.07.2019 19:21 Uhr

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