Wie Yussuf eine neue Armprothese bekam

Im Tal Shomer Krankenhaus in Tel Aviv passt der israelische Orthopäde Yaron Dozetas die Prothese für Yussuf an.
Im Tal Shomer Krankenhaus in Tel Aviv passt der israelische Orthopäde Yaron Dozetas die Prothese für Yussuf an.

Im Juni hat der "Weltspiegel" über Yussuf berichtet, einen Jungen, der im Niemandsland zwischen israelischen Siedlungen und Palästinensern in der Innenstadt von Hebron allein mit seiner Mutter lebt. Yussuf hat von Geburt an nur einen Arm. Trotzdem ist er immer fröhlich, hilft seiner Mutter, wo er nur kann. Das hat viele "Weltspiegel"-Zuschauer sehr beeindruckt. Viele wollten spontan helfen – sodass Yussuf jetzt eine Armprothese bekommen hat. Burghard Schunkert von der Hilfsorganisation Lifegate erzählt, wie er und seine Mitstreiter Yussuf dabei geholfen haben.

Als Sie von der Organisation "Grünhelme" gefragt wurden, ob Sie die Hilfe für Yussuf organisieren könnten, wie zuversichtlich waren Sie da?

Burghard Schunkert: Meine 13-jährige Tochter Sofie hat eine Klassenkameradin in der Jerusalemer Schule, die ebenfalls mit einem Arm geboren wurde. Sofie wollte mit Freundinnen aus der Klasse mit einfachen Mitteln im Fach "Robotika" eine Handprothese anfertigen. Ich fragte bei mir bekannten Orthopädiemechanikern in Jerusalem herum und erhielt die Adresse von Yaron in Tel Ha Shomer, einem bekannten israelischen Krankenhaus. Er gab den Schülerinnen einige Tipps, wie man eine einfache Prothese anfertigen und wo man die Materialien dafür günstig kaufen kann. Die Schülerinnen fertigten daraufhin zwei praktische, einfache Prothesen an.

Als ich damals Yarons Arbeit gesehen hatte, wusste ich sofort, dass er die richtige Adresse für eine gute Prothese für Yussuf sein wird.

Seit 25 Jahren nutzt Lifegate israelische Krankenhäuser und Einrichtungen wöchentlich, um den behinderten und verletzten palästinensischen Kindern die bestmögliche medizinische Versorgung zu ermöglichen. Wir werden in diesen Krankenhäusern sehr kompetent und freundlich behandelt und merken nichts von dem Konflikt im Land.

Bei diesen Terminen sind oft die Eltern der Kinder anwesend, die damit eine positive Erfahrung mit der israelisch-jüdischen Seite machen.

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Was war die größte Herausforderung bei Ihren Bemühungen, Hilfe für den palästinensischen Jungen zu organisieren?

Dies ist unsere tägliche Arbeit als deutsche Rehaeinrichtung, die schon lange in den palästinensischen Gebieten arbeitet. Wir stören uns nicht an Grenzen und Zäunen oder hoffnungsloser und widriger Politik. Wir stellen uns der Not und überwinden viele Hindernisse, um der Menschen willen. Wir sind dankbar, dass dies oft gelingt und uns die israelischen Behörden mit den entsprechenden Papieren helfen, die wir benötigen, um nach Israel zu gehen.


Welche Hürden mussten Sie überwinden?  

Yussuf musste von Hebron nach Bethlehem kommen und von dort nach Tel Ha Shomer bei Tel Aviv. Der Junge wurde von einer Sozialarbeiterin aus Hebron begleitet, die sich sehr freute, dass er nun eine Prothese erhalten sollte. Es war für mich sehr schön, mit dieser Frau eine sehr engagierte Person zu treffen, die Yussuf gut kannte und auch dafür sorgt, dass er regelmäßig die Schule besucht. Die Reise mit unserem alten Bus war nicht schwierig, da wir schon häufiger palästinensische Kinder auch in dieses Krankenhaus zu Behandlungen gebracht hatten. Yussuf ist so ein positiver, fröhlicher Junge, dass ich reich beschenkt wurde, ihn kennenlernen zu dürfen.

 
Wie verlief die Zusammenarbeit mit dem israelischen Arzt und Orthopädietechniker?  

Yaron ist ein Mensch, der kein Wort zu viel redet, aber mit ganzem Herzen bei der Sache ist. Er ist ein Künstler im Prothesenbau. Beim ersten Besuch versuchten wir herauszufinden, welche Prothese Yussuf am besten weiterhelfen wird. Yussuf konnte verschiedene Modelle anschauen und entschied sich für eine funktionelle Prothese, mit der er greifen kann. Er kann diese Prothese auch so verstellen, dass er am gebeugten Arm etwas tragen kann. Für den sehr aktiven Jungen ist es wichtig, nicht nur eine kosmetische Verbesserung zu erhalten, sondern auch eine Funktion mit dieser Handprothese ausüben zu können. Yussuf hat keinerlei Berührungsängste mit Israelis. Als ich ihn nach dem letzten Besuch nach Hebron zurückbrachte, erlebte ich, warum dies so ist.

Er lebt direkt am Grab von Abraham, Isaac und Jakob in Hebron, und sein Haus ist gut "bewacht" von jungen israelischen Soldaten. Er redet mit ihnen. Sie sind ihm vertraut. Ich habe bei ihm keine Angst gespürt, eher Neugier und Interesse. Er hielt still, als für die Prothese Maß genommen wurde, und war sehr freundlich. Er hatte Yarons Herz gewonnen, das konnte ich sehen.

Yussuf
Für die Behandlung im Krankenhaus brauchte Yussuf eine extra Reiseerlaubnis.

Wie haben Sie Yussuf erlebt, als klar wurde, dass er eine Prothese bekommen kann?

Yussuf ist mit einem Arm geboren. Er hat jetzt wegen dieser Behinderung viel Aufmerksamkeit erfahren, die sich positiv auswirkt, auch wegen der Weltspiegel-Reportage, aber in seiner Gesellschaft und Familie erfährt er auch viel Ablehnung, Resignation und Hoffnungslosigkeit. Die Prothese trägt dazu bei, dass man seine Behinderung nicht mehr sofort sieht. Yussuf war begeistert und probierte am Prototyp der Prothese herum. Er wollte genau wissen, was er damit tun kann und wie sie funktioniert. Der Arzt erklärte alles mit großer Geduld in einer Mischung aus Arabisch und Hebräisch. Er spricht übrigens auch Deutsch und warf mir immer mal wieder ein paar deutsche Worte zu. Typisch für unser Land, viele Sprachen, Mentalitäten und Hindernisse, aber mit dem Herzen bringt man immer wieder etwas Gutes Zustande.


Wie beurteilen Sie Yussufs Chancen, sich mit dem neuen Arm Chancen in der Zukunft zu erschließen?

Diese erste Prothese soll den Weg ebnen, dass Yussuf sich an seine "neue Hand" gewöhnt und lernt sie einzusetzen. Es wird ein wenig Mut brauchen, zu der Prothese zu stehen und sie wie ein Kleidungsstück morgens anzulegen, zu benutzen und sie vor dem Schlafengehen wieder abzulegen. Es braucht ein wenig Geschick, bis alles sitzt. Unsere Therapeuten bei Lifegate wollen ihm helfen, den Umgang mit der Prothese zu erlernen und eine gewisse Routine zu erlangen. Yussuf wird in der Zukunft weitere Prothesen benötigen. Ein junger Mensch, der noch wächst, braucht alle eineinhalb Jahre eine neue Prothese, bis er ausgewachsen ist.

Diese Prothesen können in ihrer Funktionsfähigkeit verbessert und verfeinert werden. Das hängt davon ab, wie der Träger sie annimmt und gebrauchen will. Deswegen ist es ganz wichtig, dass Yussuf diese erste Prothese bejaht und sie zur "Normalität" wird. Die Menschen in seiner Familie und Umgebung spielen dabei eine große Rolle. Als wir in Hebron ankamen, liefen Freunde von Yussuf auf der Strasse zusammen, und sein Bruder kam aus dem Haus. Auf allen Gesichtern konnten wir Erstaunen und Freude lesen über Yussuf, der mit zwei Armen vor ihnen stand. Yussuf war stolz und führte die Funktionen der Prothese gleich vor. Einen herben Rückschlag erlebten wir, als Yussuf zu einem von Lifegate arrangierten Krankenhausbesuch zu uns nach Bethlehem kam.

Yussuf mit Prothese
Ein bisschen ungewohnt fühlt sich die Prothese für Yussuf noch an.

Auf meine  Frage an die Sozialarbeiterin, wie es denn mit der Prothese ginge, antwortete sie sichtlich frustriert, die Familie habe den Jungen total entmutigt. Der Vater, der nicht mit der Familie lebt, hatte die Prothese als "Plastikteil" abgetan. Aber auch die gehörlose Mutter von Yussuf ermutigt ihn nicht, die Prothese zu tragen. Diese Arbeit müssen die Sozialarbeiterin und unser Lifegate Team leisten. Aus unserer Arbeit wissen wir leider nur zu oft, dass die guten Weichen, die wir in unserer Arbeit in Kindergarten, Schule oder Berufsausbildung für Menschen mit Behinderungen stellen, durch Familienangehörige und die Verhältnisse an den Lebensorten allzu leicht zerstört werden. Deswegen arbeiten wir bei Lifegate seit Jahren intensiv mit den Eltern behinderter Kinder, fordern ihre Mitarbeit ein und schulen sie in unseren Programmen, damit sie Partner bei der Förderung ihrer Kinder werden. Dies werden wir bei Yussuf nun auch versuchen, was durch die Entfernung nach Hebron nicht ganz einfach werden wird.

 
Was kann getan werden, um Yussuf längerfristig zu helfen?

Wir haben durch die Anfrage der Grünhelme den kleinen Jungen kennengelernt. Da wir keine "Pflaster" verteilen, schauen wir genau hin. Wir stellten ihn den Fachärzten des israelischen Alyn Krankenhauses in Jerusalem vor, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Yussuf hat eine beginnende Rückgratverkrümmung. Ein Bein ist vier Zentimeter kürzer als das andere.

Der Junge benötigt Therapie und erhält bei uns eine Schuherhöhung. Wir wollen weitere Folgeschäden vermeiden. Vielleicht wird noch einmal eine orthopädische Operation notwendig werden. Kurzfristig konzentrieren wir uns auf die Prothese und deren Nutzung. Und wenn Yusif aus dieser Prothese herausgewachsen ist, freuen wir uns auf die nächste Runde bei Yaron, dem israelischen Arzt und Orthopädietechniker.  

Ein Interview von Claudia Buckenmaier

Infos zur Lifegate

Lifegate ist eine deutsche Organisation, die sich seit 26 Jahren auf dem Gebiet der Rehabilitation von behinderten Kindern und jungen Menschen engagiert. Sie finanziert sich ausschließlich über Spenden.

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