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Weltweit: Wann kommt der Corona-Impfstoff?

Weltweit: Wann kommt der Corona-Impfstoff? | Bild: SWR

15-20 Jahre dauerte eine Zulassung für einen neuen Impfstoff bisher. Bei Corona soll es schneller gehen. Der Wettlauf um ein wirksames Mittel tobt auf der ganzen Welt. In Brasilien testen fast alle vielversprechenden Entwicklerfirmen, aber auch in Südafrika und Indien. Es geht um Wirksamkeit und Sicherheit. Wer wird gewinnen? Die Korrespondent*innen der ARD gehen der Frage nach. In China, Indien, Brasilien und Südafrika.

Indien: mehrere Corona-Impfstoffe im Test

 Es ist die ungewöhnlichste Aufgabe seines Lebens. Der Polizeiarzt Prashant Mishra ist für diese Covid-19-Station in Neu-Delhi verantwortlich. Es soll die größte der Welt sein. Mehr als 6.000 Menschen wurden hier seit Juli behandelt. Indien kann die Ausbreitung des Virus nicht aufhalten. "Wir bekommen auch Krebskranke. Ein 19 Tage altes Baby war bisher unser jüngster Patient, 76 Jahre war der Älteste. Sie haben alle milde bis moderate Symptome."

Menschen in Betten in Covid-19-Station in Neu-Delhi
Es gibt noch viele ungeklärte Fragen  | Bild: SWR

Indiens Behörden gehen von einer hohen Dunkelziffer von über 63 Millionen Infizierten aus. Das ist zehnmal mehr als offiziell erfasst. Eine Impfung sei die einzige Lösung sagen die Ärzte hier. Für August hatte das Land einen eigenen Impfstoff angekündigt. Doch die Entwicklungszeit war viel zu kurz, so der Wissenschaftler Anant Bhan. Trotzdem: In Indien sind gleich mehrere Impfstoffe im Test: Zwei eigene in Phase 2, das Oxford-Serum in Phase 3. In die soll auch der russische Impfstoff "Sputnik" gehen.

"Es wird Druck gemacht, auch von Seiten der Zulassungsbehörden", sagt Anant Bhan vom Zentrum für Ethik der Universität Yenepoya Mangaluru. "Vielleicht können wir alles um ein paar Monate abkürzen, doch ich will daran erinnern, etwas wirklich Fundiertes scheint kaum vor Mitte nächsten Jahres möglich." Prashant Mishra entlässt heute Patienten. Sie haben Covid-19 überstanden. In Indien haben sich einige Menschen zum zweiten Mal mit dem Virus infiziert. Wie oft muss dann geimpft werden? Wie hoch muss die Dosis sein? Noch bevor ein Impfstoff auf dem Markt ist, stellen sich den Wissenschaftlern neue Fragen. Schon jetzt gibt es das Virus in fünf verschiedenen Varianten.

 China: es wird schon geimpft

 Menschenmassen im Bahnhof. Die Angst vor einer Ansteckung aber ist gering. Nicht einmal 400 Corona-Infizierte zählen die Behörden im ganzen Reich der Mitte. Das Land hat bereits den Sieg über das Virus gefeiert. Nun wollen sie die ersten sein mit einem Impfstoff. Vier Firmen führen derzeit im Ausland Phase-3-Test durch. Einige seien Ende des Jahres abgeschlossen. 

Mann erhält Impfung mit einer Spritze
Seit Juli wird in China geimpft | Bild: SWR

Trotzdem wird bereits seit Juli der Impfstoff verabreicht. Inzwischen an mehrere Hunderttausend Menschen. Zunächst an Militär- und Gesundheitspersonal, inzwischen auch an Kindergärtner, Schaffner, Journalisten. "Wir haben die Vorklinischen und Tierstudien abgeschlossen. Das erfüllt die Bedingungen für eine Produktzulassung", sagt Yin Weidong von Sinovac Biotech. In China selbst können keine Massentests durchgeführt werden. Es gibt zu wenig Infizierte. Zwar sagen Experten für den Winter eine zweite Welle voraus. Den Sommer und Herbst haben viele schon genutzt, zum Feiern.

Brasilien: ideal für Impftests wegen der vielen Corona-Fälle

Sie sind die Versuchspersonen in Brasilien – für die entscheidende Testphase 3. Wie in keinem anderen Land werden derzeit Impfdosen verabreicht. Das sich gerade in Brasilien die wichtigsten Hersteller tummeln, hat vor allem damit zu tun, dass die Politik Corona nicht ernst nehme, betonen Experten. "Brasilien war nicht fähig, die Ausbreitung mit sinnvollen Maßnahmen zu verlangsamen. Deshalb haben wir so viele Corona-Fälle", sagt die Mikrobiologin Natalia Pasternak. "Das ist für die Hersteller ideal, um hier zu testen."

Hand hält Glasröhrchen mit Impfstoff
Brasilien: viele Corona-Fälle – viele Test-Möglichkeiten | Bild: SWR

Im Amazonas war das Gesundheitssystem zusammengebrochen. Landesweit ist die Zahl der Corona-Fälle bis dato extrem hoch. Außerdem verfügt Brasilien über angesehene Institute mit Erfahrung bei der Herstellung von Impfstoffen. Der Gouverneur von São Paulo – ein möglicher zukünftiger Präsidentschaftskandidat – hat angekündigt, bis Mitte Dezember einen fertigen Impfstoff zu besitzen. Ob dies – in Kooperation mit China – tatsächlich so schnell funktioniert, wird unter Wissenschaftlern bezweifelt. "Gouverneur Doria hat voreilig ein Datum für die Impfung angegeben", sagt die Mikrobiologin Natalia Pasternak. "Das zeigt die politische Einflussnahme auf die Impfstoffproduktion.“

Eine Genehmigung kommt erst, wenn Brasiliens Gesundheitsbehörde grünes Licht gibt. Sie gilt als streng. Dann aber hoffen auch Institute aus Brasilien Provinz auf einen Boom bei der Produktion. Im Bundesstaat Paraná hat der Leiter des öffentlichen Gesundheits-Instituts, Jorge Callado, einen Deal mit den Russen eingefädelt. Derzeit ist er mit ihnen im ständigen Austausch, um alles für die Testphase 3 vorzubereiten. "Wir werden Stück für Stück die Technologie der russischen Sputnik-Impfung übernehmen und so nicht nur unsere Bevölkerung damit impfen können, sondern wir wollen auch ein Zentrum werden für die Impfstoffproduktion in ganz Lateinamerika.“

Zuletzt gab es Kritik am Vorgehen der Russen, weil diese nicht alle Studien-Daten veröffentlicht hatten. Die Brasilianer sind also vorgewarnt und versprechen, aus diesen Fehlern zu lernen. "Die Russen müssen transparent sein, alle Daten der Testphase 3 veröffentlichen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft zeigen", fordert Natalia Pasternak. "Vorher wird der Impfstoff hier nicht zugelassen.“ Wohl frühestens ab dem kommenden Jahr werden in Brasilien Millionen Impfdosen freigegeben.

Südafrika: viel Skepsis beim Thema Corona-Impfstoff

Clive Baloyi nimmt an einer der Impfstoff-Studien in Südafrika teil. Regelmäßig prüft er sich auf mögliche Nebenwirkungen. Die Größe der Schwellung an der Einstichstelle zum Beispiel muss er regelmäßig abmessen. Mitzumachen bei der Studie sieht er als Dienst an der Gemeinschaft. "Ich wollte unbedingt dabei sein", sagt er. "Weil ich Menschen an der Krankheit sterben sah. Und Menschen, die mit der ganzen Situation rund um Corona einfach nicht zurechtkommen." Baloyi lebt im Township Soweto bei Johannesburg – viele hier sehen die Impfstoff-Studien kritisch.

Demonstranten mit Schildern
"Wir wollen keine Versuchskaninchen sein"  | Bild: SWR

Vor ein paar Wochen gab es in der Stadt sogar eine Straßendemonstration. "Wir wollen keine Versuchskaninchen sein für den Rest der Welt" sagen die Demonstranten. Sie bezweifeln den Nutzen für den afrikanischen Kontinent. Baloyi hat heute wieder einen Termin in der Klinik. Die Ärzte prüfen, ob er inzwischen Antikörper im Blut hat und ob er sich mit dem Virus infiziert hat.

Die Impfstoffe, die in Südafrika getestet werden, kommen aus England und den USA – zwei Studien sind inzwischen in Phase 2. Ergebnisse werden erst für nächstes Jahr erwartet. Neben Europa und Brasilien ist Afrika als Test-Region extrem wichtig. "Es gibt keine Garantie, dass der Impfstoff auch hier funktioniert", sagt Sutika Bhikha von der Universität Johannesburg. "Unterschiedliche Menschenstämme reagieren auch ganz unterschiedlich auf Impfstoffe. Deshalb ist es wichtig, dass wir weltweit untersuchen wie der Stoff auf die Menschen wirkt."

Ein Team der Klinik besucht regelmäßig Menschen im Township. Es ist eine soziologische Studie – aber auch ein Versuch zu überzeugen. Hier sind vor allem die Männer skeptisch. "Der Impfstoff ist doch nur für die Kapitalisten gut, die von seinem Verkauf profitieren", meint Mbongani Zondo. Das sei alles Quatsch, sagt Clive Baloyi. Er macht sich ganz andere Sorgen: ob es am Ende genug Impfstoff für die ganze Welt geben wird – und: wieviel davon in Südafrika ankommt.


Tamara Anthony, Sibylle Licht, Matthias Ebert, Thomas Denzel

Stand: 04.10.2020 21:25 Uhr

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