Mo., 07.08.17 | 05:00 Uhr
Das Erste
Vereinte Nationen: Blauhelme in der Schusslinie
Auf Patrouillenfahrt im afrikanischen Busch: 800 Elitesoldaten der Armee Ruandas. Und Major Mbungo wird sie bald führen, nicht zu Hause sondern 2000 Kilometer entfernt im Sudan. Er soll dort mit seinen Leuten das Rückgrat einer UN-Friedensmission bilden: eine gefährliche Mission.
Noch ist alles nur Übung: Am Sandkastenmodell wird ein Konvoi geplant, Hilfsgüter sollen sicher durch eine Krisenregion gebracht werden. Wo birgt die Strecke gefahren? Major Mbungo erklärt: "Jetzt spricht er in der lokalen Sprache, denn dieser Teil ist besonders wichtig. Die Offiziere sollen das Konzept verstehen."
Es hat ein Jahr Überzeugungsarbeit gekostet, bis man uns die Ausbildung von UN-Blauhelmsoldaten drehen ließ, denn die UN-Friedensmissionen stehen unter massiver Kritik. Der schlimme Vorwurf: Sie helfen nicht, wenn sie gebraucht werden.
Juba, 11. Juli 2016
Juba, die Hauptstadt des Südsudan vor gut einem Jahr. Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte der UN-Blauhelme. Marodierende Regierungstruppen vergewaltigten in diesem Gebäude über Stunden eine Gruppe von Entwicklungshelferinnen. Obwohl über die dramatische Lage informiert, blieben die Blauhelme im sicheren Lager nur einen Kilometer entfernt vom Tatort. Ein Opfer schildert die Lage: "Ich wusste, was die Soldaten wollten. Einer schlug mich mit seinem Maschinengewehr und schrie: 'Spreiz die Beine, sonst stirbst du!' Die UN hat uns nicht geholfen, obwohl das doch gerade ihre Aufgabe ist, die Zivilisten zu schützen." Augenzeuge Jessie Bunch fühlte sich im Stich gelassen: "Wir hatten über Telefon die UN-Mission und die US-Botschaft informiert und dachten, sie kämen uns zu Hilfe. Aber sie kamen nicht."
Damals begannen wir nachzufragen. Wie konnte das passieren?
Die ruandischen Blauhelme
Die ruandischen Blauhelme gelten als Vorzeigetruppe: Skandale oder Fehlverhalten hat es mit Ihnen noch nie gegeben. Disziplin und Gehorsam ist ihnen wichtig, und wenn nötig hartes Durchgreifen. Rund 1200 Euro pro Monat zahlt die UN der Regierung von Ruanda für jeden von ihnen in den Staatshaushalt – für arme Länder ein attraktives Geschäft, für reiche Länder weniger. Ruanda schickt mehr als 5000 Blauhelme in Krisengebiete, die USA grade mal 68.
Wir lernen schnell: Es gibt keine einheitliche Ausbildung. Jedes truppenstellende Land trainiert und führt seine Soldaten in Eigenregie, wie auch Rene Ngendahimana, Sprecher des ruandischen Militärs erklärt: "Wenn wir in einem Friedenseinsatz sind, merken wir schon, dass andere Länder andere Lehransätze verfolgen. Aber wir könnten die Unterschiede mildern, indem wir Erfahrungen besser austauschen und gemeinsam trainieren, vielleicht wenigstens auf Ausbilderebene."
Blauhelme unter Beschuss
Damals in Juba waren Kämpfe zwischen verfeindeten Milizen ausgebrochen. Dabei gerieten die Blauhelme unter Beschuss und zogen sich daraufhin in ihre Lager zurück. Während draußen die Soldateska vergewaltigte und mordete, taten 10.000 schwer bewaffnete Friedenssoldaten nichts. Und im fernen UN-Hauptquartier bescheinigte man ihnen später Feigheit und einen Mangel an Führungskraft. Der Oberkommandierende, der Kenianer Ondieki, gerade einmal drei Wochen im Amt, wurde entlassen – für viele ein Bauernopfer, so auch der kenianische UN-Botschafter Macharia Kamau im November 2016: "Es kann nicht sein, dass ein Individuum schuld sein soll, wenn es sich ganz klar um ein Versagen des Systems handelt."
Das UN-Hauptquartier in New York: Die Blauhelmeinsätze werden hier im UN-Sicherheitsrat beschlossen. Professor Thomas Weiss vom Graduate Center CUNY beschäftigt sich seit Jahren mit den strukturellen Schwächen bei den Vereinten Nationen: "Über die Jahre haben sich die UN-Truppen verändert: Früher waren es hauptsächlich Soldaten aus westlichen Nationen. Heute ist es im wahrsten Sinne ein Dritte Welt-Ghetto, fast nur noch Soldaten aus Entwicklungsländern – ohne eine zentrale Führung, ohne ein zentrales Kommando."
Das Operations and Crisis Center in New York – hier laufen die Fäden für alle Blauhelmeinsätze zusammen. Es steht Tag und Nacht in Verbindung mit den Missionen vor Ort. An die dramatischen Vorkommnisse vergangenen Sommer im Südsudan erinnert man sich hier noch gut: "Es war große Hektik. Wir haben versucht die Mission zu erreichen, aber dort war es chaotisch. Als wir dann endlich mit ihnen sprechen konnten, hörten wir Schüsse im Hintergrund."
François Grignon, der Teamleiter der Mission, lässt uns an einer Skype-Konferenz mit den Kommandeuren im Südsudan teilnehmen. Er erklärt: So chaotisch die Situation damals am Boden auch war – hier in New York seien ihnen die Hände gebunden gewesen: "Wenn wir von hier Mikro-Management betrieben, würde das die Arbeit in der Mission unmöglich machen. Wir können den Leuten am Boden nicht immer im Nacken sitzen. Wir geben nur die Richtung vor und geben Ratschläge."
Die Ausbildung in Ruanda geht weiter.
Die Vorzeigeausbildung der Soldaten in Ruanda als allgemeinverbindlicher Standard für alle Blauhelmsoldaten, wäre das eine Lösung? Dafür gibt es keine Mehrheit im Sicherheitsrat. Alle Versuche, eine schlagkräftige schnelle Eingreiftruppe mit einheitlicher Ausbildung aufzustellen, sind gescheitert, auch am Widerstand der USA.
Professor Thomas G. Weiss vom Graduate Center CUNY: "Die USA, aber auch die anderen Länder wollen die Kontrolle über ihre Soldaten nicht abgeben. Und die USA haben bei den Blauhelmeinsätzen am meisten zu sagen, weil sie ein Drittel der Rechnung bezahlt. Eine straff geführte schnelle Eingreiftruppe wäre natürlich hilfreich: sie hätte man bei massiven Gräueltaten wie damals in Ruanda oder jetzt in Juba schnell und effektiv einsetzen können. Das wäre nicht sehr teuer. Aber eine solche Truppe zu etablieren, das steht bei der UN nicht auf der Agenda."
Für die zukünftigen Blauhelme wird es am Ende des Tages noch einmal brenzlig: Ihr Konvoi wird angegriffen. Der Abtransport von Verletzten wird simuliert. Major Charles Muganga Mbungo erläutert: "Zwei Soldaten sind verletzt. Wir müssen sehen, wie schlimm es ist. Jetzt werden sie erstmal ins Krankenhaus in unser Basiscamp gebracht."
Eine Übung unter härtesten Bedingungen. Inzwischen ist Major Mbungo mit seinen Leuten in den Sudan verlegt worden – Soldaten, die für uns den Frieden in der Welt sichern sollen.
Autoren: Markus Schmidt und Miriam Braun, ARD New York
Stand: 16.07.2019 10:57 Uhr
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