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Irak: Mit roter Nase gegen Alpträume

Irak: Mit roter Nase gegen Alpträume | Bild: Bild: BR

Das Lachen fällt ihnen manchmal schwer. Der 17-jährige Jamal zum Beispiel hat schlimme Bilder im Kopf, die einfach nicht weggehen wollen. Sein Bruder Ahmed kann oft nicht schlafen, weil die Alpträume immer wieder kommen. Sie sind Jesiden im Nordirak, geflohen vor der Terrororganisation IS.

Achmed
Achmed | Bild: Bild: BR

Ahmed erzählt: "Die schlimmen Erinnerungen habe ich immer im Kopf. Wenn ich an meinen Vater denke, fällt mir alles wieder ein, und er fehlt mir."

Ahmeds Vater kam auf der Flucht vor dem IS ums Leben. Das lässt ihn nicht los. Die Clowns sollen helfen.

Gefangen im Camp und in der Vergangenheit

Tausende Jesiden wie Ahmed und sein Bruder leben noch immer in Camps. An ein neues Leben ist nicht zu denken, auch weil viele Kinder von einer schrecklichen Vergangenheit wie gefangen gehalten werden.

Alexander Strauß
Alexander Strauß | Bild: Bild: BR

Der Clown-Workshop ist Teil eines Projekts, bei dem schwer traumatisierten Kindern wie Ahmed und seinem Bruder geholfen werden soll, mit dem Erlebten umzugehen. Alexander Strauß von "Clowns ohne Grenzen" beschreibt die Arbeitsweise: "Zirkuskunst und Clownerie bringt die Kinder im Moment in ihren eigenen Körper zurück und in Reflexion mit einem Objekt. Und alles andere darf dann gehen und auch mal draußen sein. Und das, sowohl im Individuellen, bringt ihnen neue Kraft und Lebensfreude, als auch in einer Gruppe, in einem gemeinsamen Zusammenhalt."

August 2014

Die Terrororganisation IS erobert Sindschar im Nordirak: Zehntausende Jesiden, eine kurdische Minderheit, fliehen ins Gebirge. Ohne Wasser und Nahrung hoffen sie tagelang auf Rettung, viele sterben. Das Elend der Jesiden bringt die USA dazu, im Irak wieder militärisch einzugreifen, den Kurden zu helfen.

Ein PKK-Kämpfer ordnet eine Explosion ein: "Das war die Koalition, die Koalition, die Flugzeuge!"

Der Sindschar wird zum Schlachtfeld. Eine US-geführte Koalition unterstützt seither den Kampf gegen den IS.

Bahar Elias
Bahar Elias  | Bild: Bild: BR

Seit Dezember 2015 ist Sindschar befreit, aber die meisten Jesiden leben noch immer in Camps. Die Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer will den Jungen helfen, der nächsten Generation wie Ahmed und Jamal, mit der Last ihrer Erlebnisse besser fertig zu werden. Der Vater stirbt auf der Flucht. Aber nicht nur er, wie Mutter Bahar Elias erzählt: "Wir waren sieben Tage lang im Sindschar-Gebirge, ohne Wasser oder Essen. Meine Tochter war damals fünf und ich konnte ihr nichts geben. Dann ist sie gestorben."

Familienernährer mit 15

Nach dem Tod des Vaters ist Jamal als Ältester für die Familie verantwortlich. Er muss sie ernähren. Seine Kindheit ist mit 15 vorbei: "Ich habe mich als Tagelöhner verdingt, habe in einem Café bedient oder auf Baustellen gearbeitet. Es war schwierig, auf einmal immer arbeiten zu müssen, aber ich hatte keine Wahl."

Das Essen ist einfach: Reis mit Bohnen in Tomatensoße. Im Moment hat Jamal keinen Job und verdient kein Geld. Aber jetzt hat er Zeit für das achtwöchige Projekt der SOS-Kinderdörfer.

Der jüngere Bruder Ahmed lacht unbeschwert: Man sieht ihm nicht an, was er erlebt hat. Aber manchmal kommt die Erinnerung doch und legt sich bleischwer über das Jetzt.

Ein tiefes Trauma

Katharina Ebel
Katharina Ebel | Bild: Bild: BR

Katharina Ebel von den SOS-Kinderdörfern erklärt: "Diese Erinnerung lebt in der Familie. Das heißt, sie wird immer und immer wiedergekäut. Und selbst, wenn die Kinder das nicht mitgekriegt haben, sind sie davon betroffen, weil sie es eben durch ihre Familienmitglieder immer und immer wieder mitkriegen und diese Ängste letztendlich eingepflanzt bekommen. Insofern – sie müssen raus aus diesem Umfeld, und wenn es nur die Schule ist, die funktioniert, wenn es der Spielplatz ist, der aufgebaut ist, und wenn es wirklich simple Aktivitäten sind – aber sie müssen aus diesem Trott raus."

Ein Trauma ist wie eine Fessel, aus der die Kinder sich nicht befreien können. Solche Übungen sollen Erleichterung bringen: Die Kinder stellen sich vor, dass, was sie belastet, wie ein Film abläuft auf der Handfläche ihres Partners. Dann wird das Bild genommen und weggeworfen. Manchmal hilft das. Aber kann es heilen? Katharina Ebel, SOS-Kinderdörfer: "Heilen? Heilen ist dabei ein ziemlich großes Wort. Wir können unterstützend helfen, dass die Kinder besser damit klarkommen, dass wir mit den Eltern vermitteln, dass wir versuchen, den Familien klar zu machen, was in diesen Kindern vorgeht, dass wir versuchen, Wege aufzuzeigen, wie man dadurch kann."

Mit Ahmed dürfen wir sprechen. Einige der jesidischen Kinder sind erst vor kurzem aus IS-Gefangenschaft freigekauft worden. Sie sollen wir nicht fragen – zu frisch sind die Verletzungen, zu groß die Gefahr, dass wir etwas aufwecken, was gerade am Einschlafen war.

Kinder und Jugendliche
Kinder und Jugendliche | Bild: Bild: BR

Jamal und Ahmed haben schlimmes erlebt. Doch manche Kinder hier haben Mord und Vergewaltigung gesehen, haben Mütter in der Gewalt des IS. Jetzt haben sie alle einige Wochen vor sich, in denen vielleicht ein Leben beginnt, das etwas weniger von der Vergangenheit verdunkelt wird. Ahmed scheint beruhigt: "Seit ich hier bin, habe ich keine Alpträume mehr. Ich kann endlich wieder schlafen."

Vertrauen haben, sich fallen lassen – es sieht so einfach aus und ist so schwer für jesidische Kinder, die dem Terror des IS entkommen sind.

Autor: Volker Schwenck, ARD Kairo

Stand: 16.07.2019 04:33 Uhr

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