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Ghana: Unterwegs mit dem Superarzt

Ghana: Unterwegs mit dem Superarzt | Bild: BR

Das Krankenhaus Battor, zwei Autostunden östlich von Ghanas Hauptstadt Accra, ist Schauplatz eines staatlich organisierten Crashkurses. Und zwar für ihn: Enoch Agbeleseshie. Der 37-jährige soll innerhalb von zwei Wochen komplizierte gynäkologische Operationen lernen – als Allgemeinmediziner. Fachärzte gibt es in Ghana kaum – und Ärzte wie Enoch sollen den fatalen Mangel entschärfen: "Wir lernen hier vor allem Gebärmutterentfernungen. Die sollen wir beherrschen, wenn wir zurückgehen in unsere Krankenhäuser."

Enoch Agbeleseshie
Enoch Agbeleseshie | Bild: BR

Wenn eine Frau nach der Geburt nicht mehr aufhört zu bluten, ist eine Gebärmutterentfernung oft die letzte Möglichkeit, sie zu retten. Genau das ist Enoch in seinem Krankenhaus im entlegenen Nordosten einmal nicht gelungen: "Eine Frau hat nicht mehr aufgehört, aus der Gebärmutter zu bluten. Mit meinem jetzigen Wissen hätte ich sie wohl gerettet. Aber sie ist gestorben."

Ärztemangel in Ghana

Dass Allgemeinärzte wie Enoch jetzt zu Alleskönnern werden sollen, liegt daran, dass es fast alle ghanaischen Mediziner in die wenigen Großstädte zieht. Und dass rund die Hälfte von ihnen ins Ausland abwandert. Dort locken bessere Karrierechancen und mehr Gehalt. Um für seine Patienten im Notfall da zu sein, darf Enoch jetzt zumindest bei ein paar Operationen assistieren. Dann geht es zurück in sein Krankenhaus im Nordosten Ghanas. Dort ist Enoch als einer von zwei Ärzten für rund 100.000 Menschen zuständig. In Deutschland würden sich über 400 Ärzte diese Arbeit teilen.

Enoch Agbeleseshie sagt: "Es ist schwierig, aber jemand muss die Arbeit machen. Die Leute hier sind Bauern, sie bauen das an, was wir in den Städten essen. Es ist nicht fair, sie ihrem Schicksal zu überlassen, wenn sie krank sind oder einen Notfall haben."

Enoch Agbeleseshie
Enoch Agbeleseshie | Bild: BR

Sechs Stunden später sind wir an Enochs Krankenhaus in der Kleinstadt Worawora angekommen. Seine Frau und seine zwei Kinder leben in der Hauptstadt Accra, der besseren Schulbildung wegen. Enoch sieht sie nur alle paar Wochen. Hier lebt er allein, direkt neben dem Krankenhaus: "Manchmal habe ich hier harte Tage, dann wünschst Du Dir Deine Familie her, damit man sich Trost spenden kann. Aber ich bin alleine hier. Das ist das Schicksal eines Arztes auf dem Land."

Selbst jetzt, am Wochenende, hat Enoch keine Zeit, seine Familie zu sehen. Sein Ziel: eine Insel mitten im Volta-See, 16 Mal so groß wie der Bodensee. Dort will Enoch mit seinem Team Fischersfamilien medizinisch versorgen: "Im Wasser sind ein Haufen Baumstämme. Die Boote können draufkrachen und kentern."

Fahrt auf dem Boot
Fahrt auf dem Boot | Bild: BR

Immer wieder kommt es auf dem See zu tödlichen Unfällen. Aber Enoch weiß: Auf den Inseln sterben überdurchschnittlich viele Frauen und Kinder, bei der Gebur, oder an Malaria. Um ihnen zu helfen, hat er extra eine NGO gegründet. Ihr Name: Volta Island Medical Outreach.

Es sind alte Baumriesen, noch aus der Zeit, bevor der Volta-See in den 1960er Jahren aufgestaut wurde. Ein Lotse dirigiert den Kapitän. Besonders schwer zu erkennen sind Stämme, die nicht aus dem Wasser ragen. Noch ahnt das Team nicht, dass wir auf der Rückfahrt in völlige Dunkelheit geraten und einen akuten Notfall mit an Bord haben werden.

Visite auf der Insel

Nach einer Stunde haben wir die Insel erreicht. Geschätzt leben hier 18.000 Menschen. Enoch ist der einzige Arzt, der alle paar Wochen hier arbeitet. Enoch weiß noch nicht, ob er für alle Patienten Zeit haben wird. Morgen muss er schon wieder in seinem Krankenhaus am Festland sein. Und Handyempfang, für den Notfall? Fehlanzeige.

Noch vor Einbruch der Nacht will das Team zurück am Festland sein, sonst wird die Rückfahrt zu gefährlich. Außen laufen die Voruntersuchungen. Innen versorgt Enoch die Patienten, viele davon Schwangere. Er hofft, dass er nicht auf das auf das Wissen aus dem Crashkurs zurückgreifen muss.

Enoch Agbeleseshie mit dem Jungen
Enoch Agbeleseshie mit dem Jungen | Bild: BR

Der nächste Patient: der dreijährige Doujein. Er hat hohes Fieber, ist so schwach, dass er nicht mehr laufen kann. Das Kind hat eine schwere Form von Malaria, und die Medikamente, die die Mutter auftreiben konnte, haben nicht gewirkt: "Das Kind erbricht jetzt alles. Das ist ein schlechtes Zeichen. Wir müssen es mit zum Festland nehmen, in mein Krankenhaus. Wir können das Kind nicht hier lassen, sonst verlieren wir es."

Die dringend nötigen Infusionen gibt es nur in Enochs Krankenhaus am Festland. Aber bis zur Rückfahrt sind es noch Stunden. Während die Mutter für sich und Doujein zu Hause die Sachen packt, untersucht Enoch weitere Patienten. Über 60 sind es am Ende des Tages. Einige sind auch umsonst gekommen, müssen auf den nächsten Besuch von Enoch in ein paar Wochen warten.

Als das Team am Boot ist, wird es bereits dämmrig. Der kleine Doujein hat die letzten Stunden überstanden. Und kommt mit, zur Malariabehandlung in Enochs Krankenhaus. Anfangs kann der Lotse die Stämme im Wasser noch gut ausmachen. Aber es wird minütlich dunkler. Dann, plötzlich... In das Geschrei an Bord mischt sich Erleichterung. Wir sind tatsächlich auf einen Baumstamm geprallt, aber das Boot ist über ihn hinweggerutscht. Nach einer schier endlosen Stunde erreichen wir das Festland.

Später, mitten in der Nacht, versorgt Enoch den kleinen Doujein mit den nötigen Medikamenten. Tage später erfahren wir, dass sich Enochs Einsatz gelohnt hat. Doujein hat überlebt.

Autor: Moritz Pompl, BR München

Dieser Beitrag ist mit Unterstützung des European Journalism Centre entstanden.

Stand: 28.08.2019 08:58 Uhr

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