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Ukraine: Leben im Krieg

Ukraine: Leben im Krieg | Bild: WDR / WDR

Die Ruhe trügt am Stadtrand von Artiomowsk. Überall Ukrainische Truppen  – nach ihrem Rückzug aus dem Nachbarort Debaltsewe. Die Ungewissheit ist groß. Keiner weiß, ob die Separatisten gestoppt sind oder die Kämpfe womöglich weiter gehen.

Nina mag gar nicht daran denken. Nur so konnte die 57-jährige in den letzten Wochen, den Betrieb in ihrer lokalen Sektkellerei am Laufen halten.

Nina, Besitzerin einer Sektkellerei:

»Diese bewaffneten Männermachen einem Angst egal ob es Separatisten sind oder die, die gerade hinter uns stehen. Es ist die Angst vor Bewaffneten. Diese ungeklärte Situation stresst uns sehr. Egal was man tut, man kommt nicht zur Ruhe.«

Nina hat ihr ganzes Leben hier in Artiomowsk verbracht. Ihre Stadt in den Händen der Separatisten- das kann sie sich nicht vorstellen.

Man ist hier stolz darauf, der letzte Vorposten der Ukraine zu sein. Und das soll auch so bleiben, erklärt mir Nina. Sie traut sich zum ersten Mal wieder auf den Markt. Die letzten Tage waren schwer. Im Betrieb wurden einige Männer eingezogen.

Und auf ihrem Betriebshof wurde ein Granatwerfer aufgebaut. Nur weil ihre Chefin resolut protestierte, zog sich das Militär zurück.

Die Sektkellerei Artimowsk im Herzen des Donbass. Nina arbeitet hier seit über 35 Jahren. Sie hat den Betrieb mit aufgebaut und dafür gesorgt, dass die Weine und Sekte international konkurrenzfähig werden. „Artimoswk Sekt“ eine Marke, die vor allem in Russland immer beliebt war, mittlerweile auch sogar nach China exportiert wird.

Jetzt nachdem Debaltsewe an die Separatisten gefallen ist, kaufen die Menschen wieder. Im Moment feiern sie erst einmal, dass sie von den Gefechten im Nachbarort verschont geblieben sind, erklärt mir Nina. Doch fast jeder hier rechnet damit, dass es weiter geht.

Etwas Sorge macht sich Nina um ihr wichtigstes Exportgut: der Krimsekt. Der Renner in Europa. Seitdem die Krim zu Russland gehört, haben sie dort den Zugang zu Weingütern verloren. Dagegen klagen sie.

Nina, Besitzerin einer Sektkellerei:

»Wir haben 2012/2013 genug Trauben gekauft, um die jetzige Produktion zu sichern. Ich hoffe, dass der Menschenverstand siegt und wir uns mit den Weinbauern auf der Krim einigen werden. Wir Weinproduzenten sind eine weltweit eingeschworene Gemeinde.«

Untertage in einem alten Gipsstollen lagern zum jetzigen Zeitpunkt unglaubliche 25 Millionen Flaschen Wein und Sekt. Werte, die nicht in die Hände der Separatisten fallen sollen.

Von Stalin gegründet, wurde hier schon in den 50er Jahren ukrainischer Schaumwein hergestellt. In der Sowjet Union eroberte er als „Sowjetskoye Champanskoye“ den Markt. Der russische Markt ist aber jetzt aufgrund des Kriegs weggebrochen.

Jetzt machen sich die guten, langjährigen Kontakte nach Deutschland und Europa bezahlt. Und darauf bauen sie jetzt ganz besonders. Wegen der Franzosen haben sie den Namen Champagne abgelegt. Ihr Sekt aber verkauft sich gut. Über die Jahre haben sie ihre Produktion umgestellt. Sie haben am Geschmack gearbeitet, am Design und können mithalten. Die überaus bürokratischen Schritte, um in die EU exportieren zu dürfen, haben sie längst durchlaufen.

Diese ganze Produktionslinie:  Weisser, Rosé und Roter Sekt – alles herb. Alles in ausländischen Sprachen. Für den internationalen Markt.

Die Deutschen mögen lieber unseren herben Sekt, erklärt Nina. Für die Chinesen produzieren sie die süßeren Varianten mit Aprikosen- und Erdbeergeschmack. Im Jahr 2000 bekamen sie erstmals die Zulassung für Europa. Und das ist mittlerweile für die Sektkellerei mitten im Donbass im Osten der Ukraine das Kerngeschäft geworden. Das war auch politisch so gewollt, meint sie. Dafür sollen der Oligarch Rinat Achmetow und der älteste Sohn von Ex-Präsident Janokowich gesorgt haben. All das würde zerstört, würden die Separatisten weiter vorrücken, fürchtet sie. Das könnte die Firma eventuell in die Isolation treiben und um Jahre zurückwerfen. Unter den Separatisten könnte ich nicht arbeiten, erklärt sie mir.

Nina, Besitzerin einer Sektkellerei:

»Dann lasse ich mich sofort pensionieren, oder ich sterbe.«

Wie viele ihrer Kollegen gehört Nina zu der Generation Ukrainern, die miterlebt haben wie die Sowjet Union zerfiel und die Ukraine als eigene Volksrepublik entstand. Auch wenn sie eine starke Bindung zu Russland hat, ist sie stolze Ukrainerin.

Nina, Besitzerin einer Sektkellerei:

»Ich liebe meine Fabrik, ich liebe die Ukraine und meine Kollegen. Ich sehe mich nicht außerhalb der Ukraine. Obwohl ich russische Wurzeln habe. Ich habe in Moskau studiert. Meine Eltern leben in Krasnodar. Aber ich bin hier. Mein Sohn wurde hier geboren. Wir sind Ukrainer.«

Die Sektkellerei unter Tage. Eine Stadt in der Stadt. Hier unten, meint Nina vergesse ich den Krieg.

ARD Studio Moskau/Birgit Virnich

Stand: 22.02.2015 20:29 Uhr

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