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Thailand: Die Zeichen des Tsunami

Die Zeichen des Tsunami | Bild: ARD

Braungebrannt und ein bisschen verwegen. So sehen sie aus die Menschen des Meeres. Aenai und Tad gehören zum Volk der Moken. Sie sind Seenomaden und als solche voll in ihrem Element - hier unten im klaren, blauen Wasser des Andamanensees.

Aenai Klatalay, Taucher:

»„Ich mag es, auf die See hinauszuschauen. Ich liebe es auf das Wasser zu blicken. So weit wie meine Augen reichen. Das Meer ist unser Freund. Der große Ozean. Ich liebe ihn.“«

Halb Mensch, halb Fisch: Die Moken sind beeindruckende Taucher. Und meisterhafte Jäger. Nur mit Brille und einem metallenen Speer gehen sie auf Beutefang. Manche Männer können 20 Meter tief tauchen. Mit nur einem Atemzug. Aenai, Tad und die anderen sind auf dem Meer geboren. Ihre Väter und Großväter haben ihnen früh gelehrt, in der Natur zu überleben. Und so haben die Moken ein Gespür auch für die kleinen Zeichen entwickelt, die große Dinge ankündigen wie Tsunamis:

Aenai Klatalay, Taucher:

»„Tsunamis gibt es in dieser Region seit Jahrhunderten. Aber noch nie ist einer von unserem Volk dabei ums Leben gekommen. Wir Moken kennen das Wasser. Wenn es sich zurückzieht, rennen wir nicht hinterher und spielen mit den Fischen. Das wäre undenkbar für uns, geradezu verrückt.“«

Nur noch einige tausend Seenomaden gibt es in Südostasien. Ihre Heimat ist die Andamenensee zwischen Myanmar, Thailand und Indonesien. Seit Jahrhunderten ziehen sie über den Ozean von Insel zu Insel. Mit ihren Hausbooten, auf denen sie leben, essen, schlafen, sogar Kinder kriegen.

Das reiche Wissen um die Natur, die Traditionen und Werte, alles ist von den Vorfahren mündlich überliefert. Ein Wissen, das den Seenomaden das Leben rettet: am 2.Weihnachtstag 2004 - der Tag, an dem die große Welle kommt.

Hier leben, essen und schlafen die Moken
Hier leben, essen und schlafen die Moken | Bild: WDR / WDR

Sunai Klatalay, Dorfälteste:

»„Es war ungewöhnlich still. Kein einziges Geräusch war zu hören. Dann ging das Wasser zurück. Wir konnten den Felsen draußen in der Bucht sehen. Und dann hörten wir dieses furchterregende Tosen.“«

Nicht nur das Wasser ist verschwunden. Auch die Affen am Strand. Und die Vögel in den Bäumen. Die Moken wissen, es nähert sich ein gewaltiger Tsunami. Sie flüchten auf die Hügel im Dschungel und entgehen damit der Flut, die in ganz Südostasien mehr als 200.000 Menschen das Leben kostet. Die Seenomaden hatten die Zeichen der Natur richtig gedeutet.

Tim Klatalay, Taucher:

»„Die Gefahr durch Tsunamis gehört seit jeher zu unserem Leben. Wir haben sie sogar unterteilt in verschiedene Arten. Es gibt Labut und Labun. Die kleine Welle und die große Welle. Einer von uns hat damals die Welle gesehen und gerufen: Labut, Labut. Da wussten wir, die Insel wird jedenfalls nicht komplett versinken.“«

Die Moken kennen kein Wort für Sorge oder Ärger. Sie leben ohne Zeit und lange auch ohne Uhren. Nur nach dem Rhythmus von Ebbe und Flut. Sonne und Mond. Doch nach der großen Welle beginnt der eigentliche Überlebenskampf der Moken: Die thailändische Regierung siedelt die Familien in einem Nationalpark an. Fische und Bäume stehen plötzlich unter Naturschutz. Die Nomaden sollen in Hütten leben: Dicht an dicht. Die Weite und die grenzenlose Freiheit des Ozeans rücken in unerreichbare Ferne.

Aenai Klatalay, Taucher:

»„Früher standen unsere Hütten auf Stelzen im Wasser. Aber das wurde uns verboten.Jetzt leben wir alle hier am Strand. Ich mag das nicht. So nah bei den anderen. Du hast keine Luft mehr zum Atmen. Keinen frischen Wind. Nicht mal eine leichte Brise. Du sitzt dem Nachbarn fast auf dem Schoss.“«

Die Moken leben ohne Zeit und tief verbunden mit der Natur
Die Moken leben ohne Zeit und tief verbunden mit der Natur | Bild: WDR / WDR

Schon schlendern die ersten Touristen durchs Dorf. Das Leben der Seenomaden wandelt sich dramatisch. Nicht nur zum Schlechten. Strom zum Beispiel hatten die Moken nie zuvor, auch kein Fernsehen. Jetzt gibt es sogar Satellitenschüsseln. Und eine Schule.

Auch Wilasine ist aufgewachsen auf den Wassern der Andamanensee. Als einzige auf der Insel hat sie einen Uni-Abschluss. Sie ist Lehrerin. Sie versucht, die Kinder der Moken, fit zu machen für die Zukunft.

Wilasine Klatalay, Lehrerin:

»„Wir haben seit dem Tsunami viele Besucher hier. Viele Fremde. Und dann die Leute vom Nationalpark. Früher waren wir für uns. Alles war friedlich. Aber das ist vorbei. Es gibt so viele neue Sachen für uns.“«

Die Kinder der Seenomaden, heißt es, können schwimmen, noch bevor sie laufen lernen. Am Strand – riesige Augen und schräge Grimassen: die Wächter des Meeres. Sie haben die Moken seit jeher beschützen sollen. Vor den Launen des Meeres, den Wirbelstürmen, den gewaltigen Wellen. Gegen die Verlockungen der modernen Welt können sie wohl nur wenig ausrichten.

Aenai Klatalay, Taucher:

»„Unser Leben wird sich nach und nach verändern. Aber wir werden unsere Traditionen und Werte weitergeben an die nächste Generation. Und dann müssen unsere Kinder auch etwas Neues lernen. Sie sollen in die Schule gehen so lang es geht. Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich.“«

Die Moken fühlen sich tief verbunden mit der Natur. Mit der Erde, dem Wind, dem Wasser. Alles um sie hat eine Seele so der Glaube: einen Geist, den sie sich als Freund erhalten wollen. Nicht weit ziehen Wale ihre Bahnen.Vom Meer zu leben, wie ihre Vorfahren seit über tausenden von Jahren, aber wird immer schwerer.

Mit nur einem Atemzug können manche Männer 20 Meter tief tauchen
Mit nur einem Atemzug können manche Männer 20 Meter tief tauchen | Bild: WDR / WDR

Aenai Klatalay, Taucher:

»„Für uns Moken allein schwimmen genug Fische im Meer. Aber jetzt kommen diese riesigen Fischtrawler aus Thailand oder Burma. Mit den großen Netzen und den großen Maschinen. Sie kommen nachts. Sie bedrohen uns. Sie nehmen uns den Fisch.“«

Hier weit draußen in der Andamanensee: eine andere Welt. Die Welt der Seenomaden. Vor dem Tsunami hat sich das Volk retten können. Doch was danach über sie hereinbrach wie die Gezeiten der Moderne, darin drohen die Moken zu versinken.

Autor: Philipp Abresch/ARD Studio Singapur

Stand: 05.01.2015 09:15 Uhr

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