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Russland: Ein Pferd bringt die Post

4 Dörfer - 15 Kilometer

Russland: Ein Pferd bringt die Post | Bild: WDR

Eisrallye in Iwowo. Im Winter ist das Leben hier wie Extremsport. Das Eis räumt keiner weg, die Strassen sind seit Jahren nicht repariert.

Wir sind nur 400 Km entfernt von Moskau – aber Kanalisation gibt es nicht, der Dorfladen ist seit langem geschlossen, die Lenin-Kolchose, bei der sie hier alle gearbeitet haben, sowieso.

Wer kann, zieht weg aus Iwowo. Wer bleibt, schimpft. Wie sie hier schon immer geschimpft haben.

»Das sind Verbrecher, die da oben, sagt er. Alles eine Bande.«

»Was glauben sie denn? Die Dörfer sind denen doch total egal. Die nehmen sich alles, was sie kriegen können. So ist das.«

»Fluch nicht schon wieder, Wasja!«

Jeden Morgen kommt das Postauto nach Iwowo mit der Fracht aus der Stadt. Heiss erwartet. Und wenn es wieder weg ist, beginnt das Dorfleben.

Was nicht vorrätig ist, kann man bestellen

Seitdem der letzte Laden dichtgemacht hat, spielt sich alles in der Post ab. Frische Zeitungen holen, Telefonrechnungen bezahlen bei Tamara Alexandrowna. Oder einfach nur zum Aufwärmen kommen. Und natürlich zum Einkaufen. Denn die Dorfpost verkauft längst nicht nur Briefmarken.

Kinderschlitten, Hockeyschläger, Fischkonserven – und was Tamara Aleksandrowna nicht vorrätig hat, kann man bestellen.

»Es gibt alles, was man sich wünschen kann. Ich habe mir neulich aus der Stadt eine Klappleiter bestellt, hier auf der Post. Die war am nächsten Tag da. Das geht ganz einfach, bitteschön.«

»Also, sie bestellen zum Beispiel heute bei mir ein Bügeleisen. Ich fülle ein Formular aus. Dann rufe ich in der Stadt an, und morgen kommt das Bügeleisen mit dem Postauto.«

Und was bestellen die Leute vor allem?

»Baumaterial. Ist doch immer was kaputt an den Häusern. Sie bestellen 50 Sack Zement. Oder hundert.«

Bestellt wird nach Katalog. Es gibt sogar einen für Grabsteine. Die liefert die Post auch ins Haus.

Genauer gesagt: das Postpferd Margeaux liefert. Seit zehn Jahren ist Margeuax im Dienst, und im Winter beginnt sie jeden Arbeitstag mit einem Bad im Schnee. In vier abgelegene Dörfer liefert Tatjana Petrowna mit Margeaux die Post aus. Ohne Pferd geht das nicht, sagt sie, viel zu weit. Und mit dem Auto – vergiss es. Das kommt da im Winter nicht durch.

Vier Dörfer, 15 Kilometer, querfeldein. Jeden Tag.

Vier Dörfer, 15 Kilometer, Asphalt gibt es nicht. Nur wenn das Thermometer unter minus dreissig fällt, bleibt Margeaux im Stall. Heute ist Zeitungstag. Margeuax hält von ganz alleine vor jedem Briefkasten. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Die Bezirkszeitung heisst „Das Ländliche Getreidefeld“ und kommt zweimal die Woche. Jeder Haushalt hier hat sie abonniert. Das Pferd übrigens gehört nicht der Post, sondern Tatjana. Nicht mal Geld fürs Futter bekommt sie.

»Ich kann da nur noch drüber lachen. Einmal waren die Chefs aus der Stadt hier, denen habe ich gesagt – hört mal, ich bin euer Pferdejunge, Briefträger, Lieferfahrer und was weiss ich noch. Da könnt ihr mir ruhig mal mehr geben. Aber – nichts kriege ich.«

Fürs Geld alleine macht Tatjana den Job sowieso nicht. Sondern zum Beispiel für die alte Isolda. Äpfel hat Tatjana ihr heute mitgebracht. Isolda lebt allein, das Dorf ist zwei Kilometer weit – für sie unerreichbar weit.

»Würstchen bringt sie mir manchmal. Und gestern - wie heisst das noch – da hat sie mir sogar Frikadellen gebracht. «

Tatjana hat zwei Bandscheibenvorfälle hinter sich, der Blutdruck ist viel zu hoch. Aber zuhause auf dem Diwan liegen? Das ist nichts für sie.

»Mir gefällt mein Beruf. Wenn ich schnell fahren kann mit Margeaux. Dass ich manchmal die Enkel mitnehmen kann auf dem Schlitten. Dass ich Menschen treffe. Alles gefällt mir. Sonst wäre ich doch längst in Rente.«

Mit einer kleinen Frührente und dem Postgehalt bringt sie es auf dreihundert Euro im Monat. Das reicht für uns beide, sagt sie.

»Und so lange Margeaux noch läuft, solange mache ich auch weiter.«

Autorin: Ina Ruck

Stand: 22.04.2014 14:05 Uhr

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