So., 21.09.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Afghanistan – Angst vor den Taliban
Die Taliban sind zurück. Vor den Toren von Kundus gibt es Kämpfe zwischen ihnen und afghanischen Sicherheitskräften. In Kundus war bis vor einem Jahr noch das Bundeswehr-Camp beheimatet.
Bei vielen Afghanen dort geht die Angst um, vor allem bei denen, die für die Deutschen gearbeitet haben. Aliullah, einst Dolmetscher in Diensten der Bundeswehr, konnte zwar nach Deutschland, doch zurück blieben sein Onkel und sein Vater. Sie leben in Kundus und werden von den Taliban ständig unter Druck gesetzt, auch erpresst.
Kundus ein Jahr nach dem Abzug der Bundeswehr: Im ehemaligen deutschen Camp wird das Krankenhaus heute nicht mehr benutzt, für den Einsatz der Medizin-Technik fehlen die Experten.
Auf den ersten Blick ist die Gefahr nicht zu sehen. In einigen Dörfern links und rechts herrschen die Taliban. Wir fahren Richtung Kundus. Ghulaam hat Angst. Niemand soll ihn erkennen. Nur noch verhüllt traut er sich auf die Straßen von Kundus. Die Taliban verfolgen ihn, rufen ihn an. Seit Wochen. „Wenn sie mich finden, dann töten sie mich. Deswegen verstecke ich mich. Ich geh nur raus, wenn es unbedingt sein muss.“
Ghulaam arbeitete als leitender Beamter für die Agrarbehörde. Die Taliban drohten ihm. Er musste kündigen, er fürchtete um sein Leben. Und das nur, weil sein Neffe für die Deutschen gearbeitet hat. Aliullah, das ist der Neffe. Vor wenigen Monaten lebte er noch in Kundus. Die Bilder gleichen sich. Die Angst auch. Aliullah übersetzte für die Bundeswehr. Das brachte ihn in Gefahr. Mittlerweile lebt er – dank deutscher Hilfe - in Hamburg. Sicher, aber weit weg. Wenn Aliullah anruft, kommen sie alle: Bruder, Onkel, Vater. Aliullah erzählt vom Frieden in Hamburg. Aber Kundus holt ihn immer wieder ein. „Ich habe schlecht geträumt. Die Taliban kamen zu unserem Haus. Sie wollten mich mitnehmen. Dann wachte ich auf uns merkte, ich bin zum Glück weit weg.“ „Gut, dass du dort in Frieden leben kannst. Antwortet der Onkel. Aber was sollen wir tun? Keine Ahnung.“
Aliullah hätte seine Familie gern in Deutschland. Aber das wird schwer. „Von meiner Kindheit an haben sie mich immer unterstützt. Mich motiviert, in die Schule zu gehen. Englisch zu lernen. Und auch für die Bundeswehr zu arbeiten. Ich möchte sie wirklich nicht hängenlassen. Ich möchte, dass sie sicher sind.“Zakir - Aliullahs Vater – schweigt viel und klagt nicht. Aber: Seine Augen verraten, wie es ihm geht. Zakir wird jetzt erpresst. Die Leute denken, er sei ein reicher Mann, weil sein Sohn in Deutschland lebt. „Am Abend rief mich jemand an. Fragte nach Geld. Er sagte, wir finden euch. Ich fühle mich nicht mehr sicher.“
Kundus wirkt angespannt. Die Mauern sind hoch und die Grundstücke abgeriegelt. Seit Wochen kämpfen afghanische Polizei und Armee gegen die Taliban. In der Region, wo bis vor einem Jahr die Bundeswehr stationiert war. Wir fahren ins alte Bundeswehr Camp. Hier hat die afghanische Polizei übernommen. Von hier rücken sie aus, um die Taliban zu bekämpfen. Wir hören den Krieg. Zum Beispiel die Drohnen in der Luft. Der Kommandeur hat eigentlich frei. Aber nimmt sich extra Zeit. Endlich Deutsche sagt er, vielleicht können wir helfen. Denn er wirkt ratlos. Das Krankenhaus will er uns unbedingt zeigen. „Sie haben es verschlossen und versiegelt. Mit Unterschrift.“ Nein wir dürfen da nicht rein. Da waren Leute da aus Kabul, die haben alles dicht gemacht."
Die Deutschen haben ein modernes Krankenhaus hinterlassen. Und die Afghanen haben es versiegelt. Zuvor haben sie noch die Medikamente mit nach Kabul genommen. Ob noch etwas in den Räumen lagert, der Kommandeur weiß es nicht. „Da drinnen läuft eine Maschine. Ohne Pause. Keine Ahnung, was das ist." Die Medikamente hätten sie gut gebrauchen können. Jetzt, wo so viel gekämpft wird. Aber sie haben nur drei Rucksäcke mit Medizin und ein Blutdruckmessgerät. 250 Millionen Euro haben die Deutschen hier investiert. Heute wirkt das Lager menschenleer. Wasserrohre sind kaputt. Die Straßen fallen ein. Auch der Speisesaal ist abgeschlossen. Sie haben einen Schlüssel. Gekocht wird hier nicht mehr.
„Kommt mit. Hier stinkt es. Das macht mich verrückt.“Klimaanlage und Licht funktionieren nicht mehr. „Wir tun unser Bestes, die Anlagen zu erhalten. Bis wir sie irgendwann nutzen können. Aber wir haben einfach nicht so viel Ahnung wie ihr. Deutschland ist Deutschland. Afghanistan Afghanistan.“
Die Afghanen fühlen sich allein gelassen. Sie wissen nichts anzufangen, mit den Dingen, die sie hier vorfinden. Saft. Fertiggerichte. Ist das zum Beispiel halal? Erlaubt für Muslime? Die meisten Dinge sind 2010 abgelaufen. Lange bevor die Deutschen gingen. Wir finden Rindfleisch. Aber auch Schweinefleisch. Verboten für Muslime. Kabul, die Hauptstadt. Auch hier gibt es immer wieder Anschläge. Aber in Kabul fühlen sich die Afghanen ein wenig sicherer als in Kundus. Wir treffen wir Aliullahs Onkel wieder, hier muss er sich nicht verhüllen. Ghulaam atmet ein wenig durch, wenn es in Kundus zu gefährlich wird. Er hofft, dass die Taliban nicht wieder anrufen. So wie heute Morgen.
"Was soll ich tun, wenn es schlimmer wird? Wohin gehen? Wer hilft uns?" Den Anrufer vom Morgen hat er unter Taliban gespeichert. Damit er beim nächsten Mal nicht rangehen muss. Und Ghulaam macht sich auch Sorgen, weil er kein Geld mehr verdient. Nun lebt er von dem, was ihm Freunde geliehen haben. Sie halten zusammen, damit es irgendwie weitergeht.
Autor: Gábor Halász/Ard Studio Neu Delhi
Stand: 22.09.2014 17:29 Uhr
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