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Frankreich - Mit der Tour aus der Tristesse

Frankreich - Mit der Tour aus der Tristesse | Bild: WDR

Es liegt etwas in der Luft in Frankreich.
Etwas Großes – etwas, dass niemanden kalt lässt.
Es ist Sommer, Zeit für die Tour de France.
Zeit zu Durchatmen – mitten in der Wirtschaftskrise.

Auch diese fünf Pariser können den Start nächste Woche kaum noch abwarten: Jean-Luc und seine Freunde. Beruflich machen sie die verschiedensten Dinge – Biologe, Weinhändler, Personalmanager – doch mit dem Rennrad durch die Alpen – das gehört für sie alle zum französischen Lebensgefühl.

Schon als Kind, erzählen sie mir, sauge man den Mythos Tour de France in sich auf. Wenn ganz Frankreich vor dem Fernseher sitzt, Sportler bestaunt – und vielleicht noch wichtiger: die Schönheit des eigenen Landes.

»Nach jeder Etappe bin ich früher raus aus Fahrrad, wie ein Verrückter. Da hat man dieses Feuer – man hält sich selbst für einen Champion.«

Und Didier sagt

»Das ist eine Legende. Sich selbst zu übertreffen, alles zu geben, dieser übermenschliche Kampf auf wunderschönen Strecken.«

Stark und selbstbewusst sein – Dinge, so finden sie, die auch das kriselnde Frankreich wieder lernen muss.

»Momentan sind die Franzosen nicht besonders stolz auf sich selbst. Die hohe Arbeitslosigkeit, die Korruption – so viel Streit in der Politik. Die Tour kann uns vielleicht wieder etwas Stolz auf unser Land zurück geben.«

Denn zu bieten hat Frankreich eine Menge: wunderbare Landschaften, die höchsten Berge Europas, eine große Vielfalt der Regionen – all das zeigt die Tour wie auf einer Postkarte.

Und hier wird das Spektakel gemacht: Ein Großraumbüro in Paris. Christian Prudhomme ist der Tourdirektor. Er weiß – in diesem Jahr der Krise braucht Frankreich Ablenkung

»Viele Menschen sagen uns: Wir können uns dieses Jahr keinen Urlaub leisten. Aber die Tour werden wir genießen. Für einen Moment unsere Sorgen vergessen. Die Tour vereint das Land: An der Straße stehen Kinder, alte Menschen im Rollstuhl, Männer, Frauen – und alle, alle haben ein Lächeln im Gesicht.«

Markus Preiß
Markus Preiß

Zumindest am Start gilt das sogar für die Fahrer. In ganz Frankreich laufen derzeit Amateurrennen. Doch für die Profis wird es hart - die 100. Tour de France soll besonders spektakulär werden. Selbst das Motorrad kommt das ins Stocken – vom Reporter auf dem Rennrad ganz zu schweigen. Gleich zwei Mal geht es dieses Jahr den mörderischen Anstieg hier nach Alpe d´Huez hinauf.

Unterwegs treffe ich unsere Pariser: O la la – wir haben erst die Hälfte. Selbst die Radsportfans erzählen mir unterwegs: Diese Streckenführung stachele förmlich an – zu dopen. Ich schaffe es nach oben – aber frage mich, ob immer mehr Quälerei wirklich sein muss – für eine noch spektakulärere Tour.

Jean-Pierre de Mondenard macht sich darüber keine Illusionen mehr. Der Mediziner war einst selbst Arzt bei der Tour de France. Doping sagt er, werde dort stillschweigend geduldet. Auch wenn öffentlich das Gegenteil behauptet werde.

»Die Sportler nehmen Substanzen, die nicht gefunden werden. Und getestet wird auf Substanzen, die die Sportler nicht nehmen. Klassische Kontrollen werden nie funktionieren.«

Aber das Problem wirklich anzugehen – das traue sich die französische Politik nicht. Nicht mal jetzt, nach dem Fall Lance Armstrong.

»Man müsste die Polizei Doping verfolgen lassen. Mit Festnahmen, Razzien, Gefängnis. Dann wird es ernst. Stattdessen haben wir in Frankreich gerade mal vier Polizisten für diese Aufgabe. Geld und die Mittel sind nicht an der richtigen Stelle.«

Die 100. Tour de France
Die 100. Tour de France

Doch so lange die Tour de France solche Bilder produziert, wird sich wohl wenig ändern. Ein globales Event, das Frankreich Gewicht gibt – und nebenbei, so sagt der Sporthistoriker Claude Boli – so manchem angeschlagenen Präsidenten geholfen hat. Selten war das nötiger als bei Francois Hollande.

»In Frankreich gehört der Juli ganz der Tour de France. Und alle Präsidenten, egal welcher Partei haben nur immer eins im Kopf gehabt: Mit zu glänzen – und Fan der Tour zu sein.«

Die 100. Tour – eine hochpolitische Angelegenheit.

»In der Krise kann der Sport, kann jeder Sieg uns die Illusion schaffen, dass unser Land nicht so schlecht ist. Die Illusion, dass Frankreich weiter zu den großen Nationen in der Welt gehören. Auch wenn wir genau wissen, dass das keine Jobs schafft – und die Krise nicht löst.«

So Leute, jetzt noch da hoch. Für die fünf Freunde aus Paris geht der Ausflug in die Alpen zu ende. Sie strampeln aus eigener Kraft – ohne Hilfsmittel. Vorm Doping bei der richtigen Tour verschließen sie bewusst die Augen – Probleme und Sorgen haben sie im Alltag schon genug.

Am Ende sitzen wir alle vor dem Fernsehen, es wird ein Fest. Und das ganze mit einem schönen Fläschchen Wein. Das vor allem.

Autor: Markus Preiß, ARD Studio Paris

Stand: 15.04.2014 11:18 Uhr

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