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USA: Wie das Massaker von Orlando das Land spaltet

USA: Wie das Massaker von Orlando das Land spaltet | Bild: WDR
Auch die Muslime trauern mit den Angehörigen der Opfer.
Auch die Muslime trauern mit den Angehörigen der Opfer. | Bild: WDR

Beten für die Opfer aus dem Nachtclub. Auch das ist Orlando. Eine muslimische Gemeinde der Stadt versammelt sich zur Andacht, gleich am ersten Abend nach dem Anschlag. Selbstverständlich sei das, sagen sie. Genauso selbstverständlich wie das Blutspenden für die vielen Verletzten.

Das ganze Land trauert

"Weil wir Amerika sind. Und nur hier, in Amerika, sind wir gemeinsam ein großes Ganzes, trotz aller Unterschiede in unserer Kultur, unserem Glauben oder in unseren Vorlieben im Leben. Genau darum beneidet uns die ganze Welt. Wir erlauben niemandem, uns das zu nehmen." Und doch – die Angst ist gegenwärtig. Denn die Einheit ist längst brüchig. Muslime gehören längst nicht mehr für alle Amerikaner dazu. Muslime sind Wahlkampfthema. Erst recht nach dem Anschlag von Orlando.

"Schaut euch die Scharia an. Schaut euch an, was die Scharia bedeutet. Hinrichtungen, wegen Kleinigkeiten. Das tun sie den Leuten an. Und wir lassen Leute in unser Land – macht euch nichts vor – die glauben genau an das, die wollen genau das, die praktizieren das. Und wir lassen diese Leute rein." Dass Muslime auch vor genau dieser Scharia fliehen, spielt keine Rolle. Auch nicht, dass der Attentäter von Orlando in den USA geboren ist. Details passen nicht zu Populismus. "Er sagt genau was ich denke! Wenn man ihm zuhört – das sind meine Gedanken! Der ist es für mich! Er sagt die Wahrheit! Das brauchen wir – einer der sagt wie es ist."

Acht Jahre Obama haben das Land stark verändert

Es gibt nicht das eine Amerika – und erst recht nicht das Einige. Wer in der Großstadt lebt, wie in New York, dessen Wirklichkeit hat wenig zu tun mit dem großen Rest des Landes. Genau diesen Unterschied, sagt die Journalistin Farai Chideya, nutze Trump. "Viele Amerikaner erleben Menschen aus anderen Kulturen oder Religionen nicht in ihrem Alltag - und das macht es leichter, diese Gruppen zu dämonisieren. Donald Trump geht ja auf berechtigte Sorgen der Leute ein. Die Löhne stagnieren, man hat Zukunftsängste, Angst, den Lebensstandard nicht halten zu können. Er greift diese Sorgen auf und vermengt sie mit Angst vor anderen Religionen und Kulturen. Und mit Fremdenfeindlichkeit." meint sie.

Die Menschen trauern und werben für die Einheit der USA.
Die Menschen trauern und werben für die Einheit der USA. | Bild: WDR

Trump spaltet. Wo er auftritt sind seine Fans – und seine Gegner. Lange nicht mehr war das Land so zerrissen, war die Gesellschaft so uneinig darüber, welche Richtung Amerika einschlagen soll. Acht Jahre Obama haben das Land stark verändert – und weit nach links gerückt. Krankenversicherung für alle, Klimaschutz, Gleichstellung Homosexueller – vielen im Land ging das zu schnell, sagt der Historiker Leonard Steinhorn. "Manche haben das Gefühl, dass die Welt sich verändert – und sie zurückbleiben. Und das gefällt ihnen nicht. Sie wollen es wieder wie früher haben. Aber - Vielfalt, und Gleichbehandlung, das sind neue Werte der Gesellschaft. Diskriminierung gilt jetzt als unmoralisch. Und es ist nicht Obama plötzlich auf der Bildfläche erschienen und hat alles verändert. Er ist die Bestätigung dieser Veränderungen." sagt er.

Muslime sind Wahlkampfthema

Im "Center", einer Beratungsstelle für sexuelle Minderheiten in Orlando, haben sie jetzt Eingangskontrollen. Und die Telefone stehen nicht still, sagt Thalia. Sie ist Transgender, hat bis vor einem Jahr noch als Mann gelebt. Als Mann hat sie in Vietnam gekämpft. Jetzt kämpft sie mit all den anderen gegen die Angst. "Angst macht blind. Es wird immer Verrückte geben wie diesen Täter. Ja, er hat sich zum IS bekannt- vielleicht aber auch nur deshalb, um seiner eigenen wahnsinnigen Tat eine Art Sinn zu geben."

Der Wahlkampf wird nach dem Attentat von Orlando immer aggressiver.
Der Wahlkampf wird nach dem Attentat von Orlando immer aggressiver. | Bild: WDR

Vor den Karren der Anti-Muslim-Kampagne wollen sie sich hier nicht spannen lassen. "Ich finde es sehr traurig zu sehen, wie das alles jetzt politisch benutzt wird. Wenn man aus dem Tod Kapital für den Wahlkampf schlägt. Hillary Clinton will erlauben, dass radikale islamische Terroristen ins Land strömen. Die versklaven Frauen und töten Homosexuelle. Ich will sie hier nicht." sagt Thalia. Eine der vielen spontanen Gedenkfeiern nach dem Anschlag. Diese hier hat die Gay Community organisiert. Die halbe Stadt ist da. Homo- und Heterosexuelle, Latinos, Weiße, Schwarze. Und Muslime. Trotz der Stimmungsmache gegen sie.

"Es geht jetzt nicht um uns Muslime, es geht um die Menschen, die nicht mehr da sind, um ihre Familien. Ich will jetzt nicht an meine Angst denken, daran, was das für uns Muslime bedeutet." Angst, Misstrauen, Schuldzuweisungen. Nach dem elften September standen die Amerikaner zusammen. Einig sein in Zeiten des Terrors. Jetzt, mitten im polarisierenden Wahlkampf, scheint das kaum noch möglich.

Autorin: Ina Ruck/ARD Studio Washington

Stand: 12.07.2019 02:47 Uhr

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