Mo., 29.08.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Keine Gnade für Sexualstraftäter
Chris, 24 Jahre, Sexualstraftäter – verurteilt, weil er mit 19 Sex mit seiner 14-jährigen Freundin hatte. Sie habe behauptet, sie sei 17, sagt Chris. Eines Tages wurden die beiden beim Sex im Auto von der Polizei überrascht. Als sich herausstellt, wie alt seine Freundin wirklich ist, wird Chris sofort verhaftet.
"Ich war zu Tode erschrocken", sagt Chris. "Ich dachte, ich habe doch gar nichts falsch gemacht. Ich hatte noch nie zuvor mit der Polizei zu tun."
Zwei Jahre Hausarrest, acht Jahre Bewährung und lebenslang im Internet. Hier sind alle Sexualstraftäter der USA registriert. Mit Adresse, Tat und Foto. Auch Chris stigmatisiert bis zum Lebensende.
Diese elektronische Fußfessel muss er während der Bewährung rund um die Uhr tragen. Sie registriert genau, wo er sich aufhält. Zwischen 10 Uhr abends und 6 Uhr morgens darf er das Haus nicht verlassen.
Ein Dorf, in dem nur Sexualstraftäter wohnen
Chris lebt umgeben von Kornfeldern in der Einöde Floridas. In Pelican Village. Ein Dorf mit mehr als 100 Sexualstraftätern. Hier können sie die strengen Auflagen erfüllen: Einen Wohnort – Mindestens 500 Meter weit entfernt von jeder Bushaltestelle, Schule und Schwimmhalle.
Sexualstraftäter Pat Powers hat die Siedlung 2009 mit gegründet. Bisher ist hier kein einziger rückfällig geworden, sagt er. Das Dorf nehme keine Serientäter oder klinisch Pädophile auf. "Wir wollen natürlich jedem helfen. Aber das ist einfach nicht möglich. Deshalb konzentrieren wir uns besonders auf die Jungen, die einmal einen Fehler gemacht haben wie Internet-Pornographie oder Sex mit einer minderjährigen Freundin. Wir geben ihnen ein Dach über dem Kopf. Damit sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen", erzählt Pat Powers.
Verurteilte Sexualstaftäter wie Chris müssen für die Kosten ihrer Überwachung selbst aufkommen. Rund 300 Dollar im Monat.
Jedesmal, wenn er sein Haus verlässt, muss er trotz elektronischer Fußfessel auch noch ein Fahrtenbuch führen.
Seit Mitte der 90er Jahre sind die Regeln für entlassene Sexualstraftäter immer weiter verschärft worden.
Sexuelles Raubtier steht auf dem Führerschein
"Viele haben kein Zuhause. Sie leben in Autos oder schlafen unter Brücken und auf Feldern. Wir leben hier isoliert von der Gesellschaft. Stimmt. Aber zumindest gibt es hier keine Vorurteile und man muss nicht fürchten, dass man von jemandem angegriffen wird", sagt Chris Dawson.
Auch Sexualstraftäter Harry Folger lebt in der Einöde. Seit kurzem ist er mit Margret verheiratet. Vor 18 Jahren hat er seine Stiefenkelin sexuell belästigt. 15 Jahre Gefängnis plus 15 Jahre Bewährung.
"Es ist heute schwer für mich, die Tatsache zu akzeptieren, dass ich damals fähig war, jemandem so etwas anzutun", sagt Harry Folger.
Strafe abgesessen, doch keine Gnade für Menschen wie Harry. Seine Frau Margret sagt: Sexualstraftäter werden härter bestraft als Mörder. Bei IHM steht lebenslang auf dem Führerschein: sexual predator – wörtlich: sexuelles Raubtier.
"Ich finde, dass die Gesetze zumindest für einmalige Straftäter zu streng sind. Harry hat nicht nur 30 Jahre bekommen. Sondern ist lebenslänglich gebrandmarkt", sagt Margret.
Die Auflagen machen die Gesellschaft nicht sicherer
Die Auflagen für Sexualstraftäter machen keinen Sinn, sagt Carey Haughwout von der Strafjustizbehörde Palm Beach County. Es gäbe im dicht besiedelten Florida kaum noch einen Ort, wo sie legal leben dürfen. Wir behandeln sie wie Leprakranke früher im Mittelalter, sagt sie. Ohne, dass es jemandem nütze. "Das ist alles Illusion. Wir wissen aus allen Studien, dass keine dieser Regeln die Gesellschaft sicherer macht. Aber für Politiker ist das ein Spiel, bei dem sie immer gewinnen. Wenn sie beweisen wollen, dass sie die Öffentlichkeit beschützen", sagt sie.
Eine Kirche in der Nachbargemeinde von Pelican Village. Hier darf Chris sonntags am Schlagzeug sitzen. Trotz aller Vorbehalte. Auch die anderen Sexualstraftäter wie Harry und Pat sind hier inzwischen willkommen.
"Es war am Anfang schon komisch, klar. Wir wussten ja nicht, was uns erwartet und als sehr konservativer Mensch hatte ich eine ganz klare Vorstellung, was man mit solchen Leuten machen sollte", sagt dieser Mann.
"Es war zuerst beängstigend. Ich hatte ja selbst eine minderjährige Tochter. Aber sie sind alle sehr nett und freundlich", sagt eine Frau.
Lebenslang geächtet und von der Gesellschaft isoliert
Chris ist froh, dass er hier Halt findet. Aber er hadert auch mit seinem Schicksal: "Die Gesellschaft behandelt uns wie Monster nicht wie Menschen. Ein Mörder kommt aus dem Gefängnis und darf direkt neben Dir wohnen, aber ein Sexualstraftäter wie ich, der den Fehler begangen hat, Sex mit seiner minderjährigen Freundin zu haben, darf das nicht. Und das war mein einziger Fehler", sagt er.
Knapp 750.000 Menschen sind in den USA als Sexual-Straftäter registriert. Wer davon wirklich gefährlich ist, kann kaum einer beurteilen.
Verurteilt sind sie ein Leben lang. In Fällen wie dem von Chris erscheint das besonders absurd.
Ein Film von Sandra Ratzow
Stand: 12.07.2019 15:23 Uhr
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