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Ukraine: Zwischen Gelassenheit und Nervosität

Ukraine: Zwischen Gelassenheit und Nervosität | Bild: dpa / Øíhová Michaela/CTK

Immer weiter runter geht es, tief unter die Erde. Eine Exkursion extra für die Medien. Vor allem für die ausländischen – für die, die immer nach dem Krieg fragen. Ein Luftschutzbunker in der ukrainischen Hauptstadt. Er stammt noch aus den Zeiten des Kalten Krieges. Und er soll nie wieder einen heißen erleben, sagt der Aleksandr Pylkewitsch von der kommunalen Wohnungsverwaltung in Kiew: "Ich bin froh, dass ich das hier alles nur für einen Zweck aufschließen muss – um Ihnen das zu zeigen. Wir freuen uns über das Interesse, über all die ausländischen Journalisten und Fernsehsender, aber ansonsten wollen wir hier unten am liebsten niemanden sehen."

Ist für den Ernstfall vorgesorgt?

500 solcher Bunker hat die Stadt. Und noch viel mehr Unterführungen oder U-Bahnstationen, die man als Bunker nutzen kann. Dass der Krieg nach Kiew kommen könnte, scheint hier im Arbeiterviertel Voskresenka manchen völlig absurd. "Ich glaub das nicht dass Russland Kiew angreift. Wie sollte das denn aussehen?" "Hoffen wir mal das nichts passiert. Ich wüsste nicht, wohin ich fliehen soll."

Doch etwa die Hälfte im Land sieht im russischen Truppenaufmarsch rund um die Ukraine eine reale Bedrohung. Manche bereiten sich gar vor auf den Ernstfall. Und besuchen Kurse wie diesen: 'Wie überlebt man in der Großstadt einen Krieg?' Ein ganzer Hörsaal voller Frauen will das wissen. Eingeladen hat eine NGO. Es geht darum, was alles in eine Notfalltasche gehört. Aber auch um Basisregeln für Selbstvertedigung. "Wenn ihr erst auf Hilfe wartet, kann es zu spät sein für euch und eure Familie."

Ukraine: Aleksandra Otschmann will in der Stadt bleiben, auch wenn es wirklich einen Angriff geben sollte.
Ukraine: Aleksandra Otschmann will in der Stadt bleiben, auch wenn es wirklich einen Angriff geben sollte. | Bild: WDR

Ein Trainer erklärt Griffe, die jede Frau anwenden kann. Packt ihn am Kinn, sagt er, die Kraft kommt aus der Schulter, dann kippt der Angreifer nach hinten, das verschafft euch zumindest Zeit. Probiert es mal aus. Aleksandra Otschman ist hier, weil sie vorbereitet sein will. Sie sagt das, was wir oft hören in Kiew: Weglaufen werde sie nicht: "Für den Fall, dass die Russen wirklich angreifen, habe ich beschlossen: Ich bleibe in der Stadt. Und da will ich wissen, was zu tun ist." Das sagt sich leicht – die Russen greifen an. Aleksandra sagt, sie habe eine Zeit gebraucht, sich an die Vorstellung zu gewöhnen: "Wir sprechen dieselbe Sprache. Ich bin aus der Ostukraine und mit Russisch aufgewachsen. Man könnte denken, wir sind uns nah – aber nach acht Jahren Krieg habe ich eines verstanden: eine Armee, die dich angreift, ist die Armee eines Feindes."

Die anderen Staaten müssen reagieren

Aleksandra lebt nachhaltig, trennt ihren Müll, bringt ihn alle paar Monate selbst zur Sortierstation. Sie hat in Deutschland studiert, Politikwissenschaften in Jena. Hat noch immer Freunde dort. Deutschland sei zu nachsichtig mit Russland, findet sie. Vor allem bei Sanktionen. "Ich verstehe ja, dass Deutschland nicht sein eigenes gutes Leben aufgeben kann, um uns zu retten. Aber es ist viel zu vorsichtig. Alle wissen genau, wer hier das Opfer ist und wer der Agressor. Aber eigene Wirtschaftsinteressen hintan stellen, dazu sind nicht alle bereit. Dabei geht es um Europas Interessen, um Demokratie", erklärt Aleksandra.

Ukraine: „Wie überlebt man in der Großstadt einen Krieg?“ Ein Hörsaal voller Frauen will das wissen.
Ukraine: „Wie überlebt man in der Großstadt einen Krieg?“ Ein Hörsaal voller Frauen will das wissen. | Bild: WDR

Deutschlands Rolle beschäftigt viele in der Ukraine. Dass Berlin keine Waffen liefert, können manche noch verstehen – aber dass man dort immer noch glaube, Russland sei durch bloßes Reden aufzuhalten, das verstehe er nicht, sagt Andrej Sahorodnjuk. Er war der erste zivile Verteidigungsminister der Ukraine und macht jetzt Politikberatung. "Putin guckt sich immer genau an, wie die Welt reagiert. Und wenn es keinen großen Widerstand gibt, macht er weiter. Seine nächsten Schritte hängen also davon ab, was die anderen Staaten machen, auch davon, was Deutschland macht. Diesen Krieg kann man jetzt noch anhalten", sagt er.

Krieg gibt es seit acht Jahren – so lange wird im Donbas schon gekämpft. Eine lange Wand erinnert in Kiew an die Opfer. Weit mehr als 13.000 Tote sind es bereits. Es könnten viel mehr werden, sagt Saharodnjuk, wenn man nicht ein klares Signal sende, an Russland. "Russland hat Krieg in Georgien geführt und blieb straflos. Sie haben die Krim besetzt, ohne Folgen für sie. Dann haben sie den Krieg im Donbas angezettelt, ohne dass es wirklich harte Sanktionen gab, die ihrer Wirtschaft geschadet hätten. Also denken sie, sie könnten weiter gehen", erzählt Andrej.

In einem Kiewer Außenbezirk kann man vorsortierten Wertstoffmüll abgeben. Aleksandra Otschman macht das zusammen mit einer Freundin. Dem kommunalen Sammelsystem trauen sie nicht, da lande vieles am Ende doch nur auf der großen Müllkippe. Wenn du ein besseres Land willst, musst du selbst etwas dafür tun, glaubt Aleksandra. Auch deshalb will sie bleiben – selbst, wenn der Krieg nach Kiew kommt.

Autorin: Ina Ruck

Stand: 07.02.2022 17:49 Uhr

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