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Ukraine: Erst Klinik – dann Front

Ukraine: Erst Klinik – dann Front | Bild: AP/dpa / Iryna Rybakova

Wenn man genau hinschaut, erkennt man den Namen und zwei Daten: Wann das Leben begann und wann es zu Ende war. Jede Fahne soll für einen Soldaten stehen, der im Krieg gefallen ist. Kyiv im 16. Monat des Krieges. Und dann sieht man jene, die überlebt haben, die verletzt sind. Je länger der Krieg dauert, desto mehr werden es. Mit ihnen wird die Front und derzeit die Gegenoffensive im Alltag sichtbarer.

Wer verletzt war, muss vielleicht trotzdem wieder an die Front

Die Regierung kommuniziert über alle Kanäle, das Land und seine Soldaten seien unbesiegbar. Was wird aus Soldaten, die verletzt und erschöpft sind? Wir dürfen in Kyiv im Krankenhaus drehen. Eigentlich liegen auf der Station von Dr. Prokopovich Schlaganfallpatient:innen. Aber nicht mehr im Krieg. Jetzt behandelt er hier vor allem verwundete Soldaten. "Ihr Job ist es also, die Menschen gesund zu machen und sie dann wieder zurück in die Gefahr zu schicken?" "Unser Ziel ist es, ihre Funktionen bestmöglich wieder herzustellen. Dann entscheiden sie selbst, ob sie zurück an die Front wollen. Weil sie aber Soldaten sind, haben sie keine Chance, selber zu entscheiden. Ihre Kommandeure entscheiden das."

Wenn jemand also nicht mehr will, muss er trotzdem weiter kämpfen? Dr. Prokopovich öffnet uns die Tür zu den verletzten Soldaten. Yevgen trainiert seine rechte Hand. "Können Sie uns sagen, was passiert ist?" "Das war in Novabakhmutivka. Eine Mörsergranate verletzte meine Beine und meine Hände. Die anderen Wunden sind verheilt. Diese Hand dauert am längsten. Splitter wurden aus mir entfernt. Es geht Stück für Stück voran. Anfangs konnte ich meine Finger gar nicht bewegen. Ist schon besser geworden", antwortet der Soldat.

Er übt auch beim Interview hartnäckig weiter. Dr. Prokopovich erklärt uns, dass Kommissionen und das Militär entscheiden, was aus den verletzten Soldaten wird. Er zeichnet es uns auf. Er ist selber Mitglied einer Kommission. Am Ende müssen die meisten zurück zur Truppe, sagt uns der Arzt: "Unsere Kommission hat Einfluss, mit zu entscheiden, ob der Soldat tauglich ist oder nicht. Es gibt drei Möglichkeiten. Er kann volltauglich sein.
Oder begrenzt tauglich, dann kann er nicht an die vorderste Front. Oder er ist untauglich für die Armee."

Korruption in der Kommission?

Die Anwältin Lyubov Galan erhebt schwere Vorwürfe gegen Kommissionen dieser Art. Einige Mitglieder seien bestechlich: "Wenn du nicht in den Krieg willst, obwohl du musst, kannst du so eine Beurteilung kaufen, dass du nicht tauglich bist und dass du nicht in den Krieg kannst. Es ist ein schmerzhafter Moment, wenn du verstehst, dass jemand anderes sich die Möglichkeit gekauft hat, nicht in den Krieg zu müssen. Und jemand lässt das zu und niemand ist verantwortlich, das zu stoppen. Das tut weh. Gegen Korruption in diesen Kommissionen zu kämpfen, ist ein Zeichen von Respekt gegenüber unseren Soldaten."  Wir fragen nun Dr. Wolodemirivna, sie leitet diese Kommission im Krankenhaus. "Haben Sie es erlebt, dass jemand zu Ihnen kam und sagte: Hier ist Geld, bitte schreiben Sie etwas, damit ich nicht mehr dienen muss?" "Nein. Nein, bei uns ist alles sehr transparent und solche Tricks würden mit uns nicht klappen", antwortet die Kommissionsleiterin. Was fühlen Sie, fragen wir, wenn Sie mit Soldaten sprechen? "Definitv tun sie mir leid. Unter ihnen sind so viele sehr junge Männer. Sehr viele. Einige werden behindert bleiben. Leider. Deswegen tut mir das leid", erzählt sie.

Bei Bogdan hat die Kommission entschieden, dass er noch mal zwei Monate Reha bekommen soll, weil nicht klar ist, ob der Knochen und die Nerven seines verletzten Beines überhaupt verheilen. Kompliziert läuft es auch bei Yevgen. Die Kommission wird erneut entscheiden. Und was sagt seine Familie? "Die Familie sagt, du hast genug gemacht. Die Frau ist nicht sehr glücklich, klar. Mit dieser ganzen Situation", erzählt der Soldat. "Frage: Sind Sie sicher, dass Sie zurück wollen?" "Ich bin sicher. Das Problem ist jetzt, dass ich nicht mehr so nützlich wie vorher bin. Ich will ja auch keine Last für meine Einheit sein", sagt Yevgen.

Yevgen hat jeden dieser verdammten Steine in das Glas bekommen. Er will weiterkämpfen.

Autorin: Isabel Schayani / ARD Kiew

Stand: 27.06.2023 11:35 Uhr

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