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Türkei: Hochkultur Hasankeyf geht unter

Türkei: Hochkultur Hasankeyf geht unter | Bild: BR

Morgendämmerung im nördlichen Mesopotamien: Die ersten Sonnenstrahlen spiegeln sich im Tigris. Ganz langsam erwacht Hasankeyf, eine kleine Ortschaft im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, mit einer mehrere tausend Jahre alten Geschichte. Archäologen weltweit schätzen Hasankeyf auch aufgrund der vielen von Menschenhand gebauten Höhlenwohnungen am Flussufer.

Doch Hasankeyf wird es bald so nicht mehr geben. Der türkische Staat lässt seit zwei Jahren diese Wand errichten. Sie ist der Vorbote einer nahezu biblischen Flut, die in wenigen Monaten die Stadt und die gesamte Region unter Wasser setzen wird: Hasankeyf wird Opfer eines der größten Staudammprojekte weltweit. Mehr als 300 Quadratkilometer sollen überflutet werden. Hinter der Wand lagen zahlreiche Wohnhöhlen. Die beteiligten Ingenieure wollen offenbar verhindern, dass Wasser in die Höhlen fließt, dieses dann die Felsen unterspült und alles abrutscht.

Abschied von Hasankeyf

Ulrich Eichelmann ist nach Hasankeyf gekommen, um Abschied zu nehmen. Der Umweltschützer kämpfte jahrelang gegen den Staudamm und für den Erhalt der für die Menschheitsgeschichte einmaligen Region. Zwar konnte Eichelmann verhindern, dass sich Unternehmen aus Deutschland an dem Projekt beteiligen. Doch der türkische Staatspräsident Erdogan wollte die Idee nicht aufgeben.

Hasankeyfs Händler nutzen die letzten Tage, bevor auch ihre pittoresken Geschäfte im Wasser verschwinden. Das Städtchen war über Jahrzehnte hinweg eine Touristenattraktion. Ulrich Eichelmann besucht noch einmal all die Menschen, deren Zuhause er retten wollte. Orte die bald nur noch in der Erinnerung existieren. 60.000 Menschen verlieren ihre Heimat, so Eichelmann. 200 Ortschaften werden überflutet. Der Staudamm erzeuge Elektrizität, so die Regierung in Ankara. Der Umweltschützer entgegnet, es gehe auch um geostrategische Interessen, denn der Fluss Tigris sei eine Hauptwasserquelle für den Irak.

Eichelmann will dorthin fahren, wo die Überflutung ihren Ursprung hat. Der Ilisu-Staudamm liegt etwa 90 Kilometer von Hasankeyf entfernt. Der Umweltschützer ist besorgt, denn türkische Sicherheitsbehörden kontrollieren die Straßen zum Damm. Aktivisten oder westliche Journalisten seien dort ungern gesehen. Nach drei Checkpoints ist der etwa 130 Meter hohe und 1,7 Kilometer lange Damm zu sehen. Auf der anderen Seite staut sich seit zwei Monaten das Wasser. Der Weg dorthin ist versperrt.

Umzug in die neue Stadt

Zurück in Hasankeyf: Noch können Touristen die Altstadt fotografieren. In einigen Monaten gibt es nur noch Neu-Hasankeyf auf der nördlichen Seite des Tigris am Fuße des gegenüberliegenden Gebirgszugs. Die Regierung hat für die Bewohner Hasankeyfs Häuser bauen lassen. Zögerlich ziehen die ersten Familien ein. Einige wollten eigentlich bis zum letzten Moment in ihren alten Häusern bleiben. Umsonst bekommen sie die neue Bleibe nicht. Über einen Zeitraum von 20 Jahren müssen sie für einen zinsfreien Kredit etwa 100 Euro pro Monat bezahlen.

Die Schule in Alt-Hasankeyf ist geschlossen. Seit September wird in Neu-Hasankefy unterrichtet. So zwingt der Staat die Familien nach Neu-Hasankeyf zu kommen. Das Problem: Noch fließt hier nicht überall das Leitungswasser.
Im Rathaus von Neu-Hasankeyf: Ein großes Foto erinnert an den ursprünglichen Zustand der Stadt am Tigris. Der Bürgermeister und Ulrich Eichelmann waren viele Jahre Verbündete und kämpften gemeinsam gegen das Staudammprojekt. Inzwischen ist der Bürgermeister Mitglied der Erdogan-Partei AKP und geht mit der neuen Situation pragmatisch um.

Das Neue ist ein zum Beispiel ein Museumspark für Touristen. Dieses Grabdenkmal aus dem 15. Jahrhundert wurde aus Alt-Hasankeyf nach Neu-Hasankeyf versetzt. In einem Museum sollen Artefakte ausgestellt werden. Auch Teile der alten Moschee werden hierher versetzt. Das Wasser des Stausees wird bis zum Museumspark reichen. Auf dem See sollen Boote fahren. Eine Tauchschule wird Unterwassertrips nach Alt-Hasankeyf anbieten. Eichelmann beendet seine Abschiedsreise mit unguten Gefühlen.

Hasankeyf wird untergehen und damit eine der Wiegen der Menschheit, wie es heißt. Es ist nur noch eine Frage von Monaten.

Autor: Oliver Mayer-Rüth, ARD Istanbul

Stand: 06.10.2019 22:48 Uhr

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