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Syrien: Das Erstarken des IS

Syrien: Das Erstarken des IS | Bild: WDR

Fast jeden Tag erreicht ihn eine neue Todesdrohung. Hamoud al Nofal hat gelernt, damit zu leben. Die Botschaften auf das Handy des Stammeschefs ähneln sich: Wir beobachten Dich, wissen alles über Dich, werden Dich köpfen, zerstückeln.  "Sie fordern von mir, dass ich alles aufgebe, was ich zur Zeit mache und mich ihnen anschließe. Anderenfalls bringen sie mich um, auf welche Weise auch immer. Wenn sie mich nicht aus nächster Nähe erwischen, dann aus der Ferne. Das ist es, was ich zur Zeit am meisten fürchte", erzählt er.

Die Angst vor Gewalt ist allgegenwärtig

Im Dorf zeigt sich der Scheich kaum noch. Shaail gilt als IS-Hochburg im Osten Syriens. Eine von vielen in der Provinz Deir Essor. 2019 haben kurdische Kämpfer die Herrschaft der Islamisten beendet – mit Unterstützung der USA. Die selbst ernannten Gotteskrieger aber gingen in den Untergrund, verbreiten nun von dort Angst und Schrecken, ermorden jeden, der sich ihnen widersetzt. 

Aus den Reihen des Stamms haben schon Hunderte ihr Leben gelassen im Kampf gegen den IS. Extremismus und Zentralismus ist dem arabischem Stamm von jeher ein Gräuel. Scheich Hamoud hat wie durch ein Wunder fünf Anschläge überlebt. Vor seinem Haus explodierte eine Autobombe. Sein Lastwagen flog in die Luft. Er geriet in einen Schusswechsel. Für ihn und seinen Stamm geht es nun um die Existenz: "Sollte der IS hier wieder die Macht übernehmen, würde sich die Zahl der Opfer unseres Stamms sehr schnell von 450 auf 900 erhöhen. Der IS würde uns ausradieren."

Sie halten dagegen. Kurdische Kämpfer üben den Angriff auf eine IS-Schläferzelle. Ein Routineeinsatz im realen Leben. So wollen sie die Terrormiliz in Schach halten. Denn die Zahl von IS-Anschlägen steigt dramatisch. Allein im Juli waren es in der Provinz 18. Der Sieg der Taliban gibt auch den Dschihadisten hier Auftrieb, glaubt Befehlshaber Abu Wael von der kurdisch-arabischen Miliz SDF. Ohne Rückendeckung der USA könnten sie ihnen auf Dauer wenig entgegensetzen. "In unserer Gegend ist die Zahl der IS-Zellen regelrecht explodiert. Wir tun, was wir können, um uns gegen diese Entwicklung zu stemmen. Aber unsere Möglichkeiten sind gering. Wir brauchen viel mehr Unterstützung", sagt der Kommandeur.

Manche wünschen sich den IS zurück

Hier keimt die Hoffnung auf eine Wiederkehr des Kalifats. Im Al-Hol-Camp sitzen zehntausende Frauen und Kinder ein, die einst unter der IS-Herrschaft lebten. Nach dem Fall ihrer letzten Hochburg 2019 fielen sie den Kurden in die Hände. Die sind mit deren Versorgung hoffnungslos überfordert. Tausende mussten sie in diesem Jahr deshalb entlassen. Keiner weiß, wo sie heute leben. Die meisten hier hängen noch immer der IS-Ideologie an. Nur wenige wollen mit uns sprechen. Willkommen sind wir nicht. Kinder werfen Steine auf uns.

Die Nachrichten aus Afghanistan aber lösen hier große Hoffnungen aus. "Ist es gut, dass die Taliban wieder an der Macht sind?", fragt Korrespondent Daniel Hechler und eine Frau antworetet: "Gott sei Dank!" "Kommt der IS hier nun auch wieder zurück?" "Das fänden wir als Muslime gut. Wir brauchen den islamischen Staat. Wir sind hier Gefangene. Wenn der IS zurückkommt, sind wir wieder frei. So ist es doch, nicht wahr?" Der Korrespondent hakt nach: "Wünschen Sie sich den IS zurück?" "Ja, natürlich! Ich hoffe sehr, dass der IS bald wiederkommt!"

Dem IS trotz allem die Stirn bieten

Kurdische Spezialeinheiten aber wollen dem IS nicht weichen, zeigen Präsenz, gehen auf Patrouille. Vor allem nachts kommen die IS-Kämpfer aus ihren Verstecken, erpressen Schutzgeld, nehmen Geiseln, morden. Kontrollpunkt an einer Kreuzung zwischen zwei Dörfern, die als IS-Hochburgen gelten. Die  Einsatzkräfte fahnden nach Selbstmordattentätern, durchsuchen Fahrzeuge auf Waffen und Sprengstoff, auch wenn sie das ihr Leben kosten könnte. "Sie füllen Motorräder mit Sprengstoff und zünden sie. Sie setzen Sprengfallen gegen uns ein. Manchmal greifen sie uns als Gruppe an, schießen auf uns und verschwinden wieder. Das ist schon viele Male geschehen", erzählt Mohammed, ein SDF-Commandeur.

Bei solchen Razzien wollen sie die Drahtzieher stellen. Häufig kommen Tipps von Nachbarn. Vor kurzem erst haben sie einen hochrangigen IS-Anführer festgenommen. Im Juli 120 Schläferzellen ausgehoben. Doch immer neue kommen nach. Hamoud will sich mit Sturmgewehren vor den Terroristen schützen, ist entschlossen zu kämpfen, wenn das nötig wird. Am Haus hat er Kameras installieren lassen, die jede Bewegung erfassen. Aber der Stammeschef weiß selbst, dass das im Zweifel nicht reichen wird. Seine Anhänger ermutigt er, durchzuhalten, nicht aufzugeben. In Wahrheit aber hat er Angst davor, dass seiner Heimat das gleiche Schicksal wie Afghanistan blühen könnte.

"Es würde Mord und Zerstörung geben, Blutvergießen, Panik. Menschen würden abgeschlachtet, es wäre schrecklich. Sobald die Leute hier das kommen sehen, würden sie allesamt fliehen", fürchtet der Scheich. Flucht aus seiner Heimat aber kommt für ihn nicht infrage. Sein Schicksal legt er in die Hände Gottes und hofft, dass sein Kampf gegen die Dschihadisten am Ende nicht umsonst gewesen ist.

Autor: Daniel Hechler/ARD Studio Kairo

Stand: 29.08.2021 20:10 Uhr

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