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Italien: Flüchtlings-Grab Mittelmeer

Italien: Flüchtlings-Grab Mittelmeer | Bild: dpa

Sie sind im sicheren Hafen von Lampedusa angekommen. Abel, Habtom, Foutui und Gebre sagen, sie stammen aus Eritrea. Zwischen 14 und 20 Jahre sind sie alt. Jeder von ihnen war monatelang unterwegs. Mitte Februar sind sie dann gemeinsam von Libyen aus mit dem Boot übergesetzt. "Das Haus in Libyen war sehr schlecht," erzählt Foutui. Er war eingepfercht mit weiteren 450 Personen. Es gab kaum Essen, er war ständig hungrig. Das wenige Wasser war dreckig. Waschen konnte er sich selten. Warum ist er aus Eritrea weggegangen, will ich wissen. "Es gibt keine Freiheit, keine Arbeit, keine Ausbildung. Alles ist schlecht. In Italien gibt es Freiheit. Und Arbeit."

Lebend angekommen

Afrikanische Flüchtlinge
In diesem Jahr sind 7000 Flüchtlinge nach Italien gekommen | Bild: SWR

Foutui hatte Glück. So wie er sind in diesem Jahr bereits mehr als 7000 Flüchtlinge nach Italien gekommen. Lebend. Mindestens 330 haben die Überfahrt nicht überlebt. Im Aufnahmelager von Lampedusa waren Mitte Februar zeitweise 1200 Migranten untergebracht. Konstruiert ist das Lager für 400. Ein Loch im Zaun dient als Durchgang. Geduldet von den Polizisten am eigentlichen Eingangstor. Dieser Flüchtling erzählt uns, er habe 700 Euro an Schlepper gezahlt. "Ich habe den Boss nicht selbst gesehen, nur die Mittelsmänner. Sie nehmen das Geld und sagen dir, wenn das Boot da ist." Ein Telefon - das ist eines der ersten Dinge, die Migranten wie Ruesum nach ihrer Ankunft in Italien suchen. Der Familie sagen, dass es ihnen gut geht. Mit unserem Handy ruft er in Deutschland an. Sein jüngerer Bruder ist seit fünf Monaten in Augsburg. Auch er kam mit dem Boot nach Europa. Jetzt will Ruesum zu ihm. Ich möchte Deutsch lernen, sagt er uns noch. Hier lagert das, was von den Booten übrig bleibt.

Durch seine Arbeit in einer Flüchtlingsorganisation redet Flavio regelmäßig mit Migranten. Kürzlich haben sie ihm erzählt, dass die Schlepper mittlerweile Flüchtlinge auch mit Waffengewalt auf die Boote zwingen. "Schwarzafrikaner werden oft im Frachtraum untergebracht", erklärt Flavio di Giacomo von der Internationalen Organisation für Migration. "Dort gibt es keine Fenster und gefährliche Gase durch den Motor. Das ist manchmal tödlich." Bis zu 700 Dollar kostet ein Platz hier unten, oben an Deck das Doppelte. Bezahlen können das meist nur Syrer. Dass die aktuelle EU-Mission "Triton" nur Europas Grenzen sichert, aber keinen Rettungsauftrag hat, ist für Flavio zynisch. "Das oberste Ziel ist es, Menschen, die flüchten müssen, direkt auf dem Meer zu retten. Triton ist dafür nicht geeignet, vor allem, weil das Missionsgebiet nur bis zu 30 Seemeilen vor Italien reicht."

In Not, wo es keiner sieht

kaputtte Flüchtlingsboote
Nach der gefährlichen Überfahrt bleibt von den Booten nicht mehr viel übrig  | Bild: SWR

Viele Flüchtlingsboote geraten aber bereits kurz nach der libyschen Küste in Not. Weit außerhalb des Aktionsradius von Triton. Über 2000 Flüchtlinge wurden im Februar gerettet – nicht von Triton-Schiffen, sondern von den Italienern. Große Schiffe, wie sie die italienische Rettungsmission 'Mare Nostrum' hatte, sind jetzt seltener im Einsatz. Bei einem Notruf kann die Küstenwache von Lampedusa nur diese kleinen Boote rausschicken. "Seit dem Ende von Mare Nostrum bringen die Schleuser sogar noch mehr Flüchtlinge über das Meer", meint Admiral Giovanni Pettorino von der Italienischen Küstenwache. "Das ist für uns jetzt ein Problem. Wenn es weiterhin keine geeigneten Schiffe zur Rettung gibt, dann werden viele sterben."

Eine Ärztin erzählt

Sie war bei der Mission Mare Nostrum dabei. Serena Petricciuolo ist Ärztin bei der Militärmarine. Mehr als 15.000 Migranten hat sie auf dem großen Schiff Etna erstversorgt. "Häufig haben die Flüchtlinge Hautprobleme wie die Krätze oder Pilzkrankheiten. Auch Fieber und Atemprobleme sind nicht selten. Im Sommer macht ihnen außerdem die Hitze zu schaffen, oft haben sie einen Sonnenstich.

Ärztin Serena Petricciuolo
Ärztin Serena Petricciuolo | Bild: SWR

"Über diese Treppe gelangen die Migranten aufs Schiff, wie man hier bei einer Rettungsaktion im Juni letzten Jahres gut sehen kann. Um kleine Kinder kümmerte sich Serena persönlich. Jeder Flüchtling wurde untersucht und bekam ein Erkennungsarmband. Wer weitere medizinische Versorgung brauchte, wurde hier von Serena und ihrem Team behandelt. Die Krankenstation ist für Notfälle gut ausgestattet. So etwas gibt es auf den kleinen Booten der Küstenwache nicht. "Zwischen all dem Leid sind zu unserer großen Freude in diesem Teil der Station auch zwei Kinder geboren worden", erzählt Serena. Diese beiden Neugeborenen, sagt Serena, wird sie nie vergessen.

Für diese Flüchtlinge geht die Odyssee vorerst weiter. Ein Schiff wird sie nach Sizilien bringen. Was dann kommt, wissen sie nicht. Auch Ruesum ist dabei, er wirkt zufrieden. Irgendwie will er sich zu seinem Bruder nach Deutschland durchschlagen. Dann geht es an Bord. Alles verläuft in ruhiger Atmosphäre. Denn alle wissen: Lampedusa ist nur eine kurze Zwischenstation. Und alle haben sie die eine Hoffnung: dass das "Tor nach  Europa" von Lampedusa für sie der Eintritt in ein besseres Leben bedeutet.

Katja Rieth, ARD Studio Rom.

Stand: 03.03.2015 13:55 Uhr

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