So., 03.08.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Brasilien: Kubanische Ärzte
Ein ärmlicher Ort, Guia Lopes da Laguna. 13.000 Einwohner, die hier weit im Westen Brasiliens ein hartes Leben führen. Die Grenze zu Paraguay ist nicht weit. Keine Gegend, die wirklich anlockt, auch nicht Ärzte. Eine Krankenstation existiert zwar, aber brasilianische Mediziner gab es hier allenfalls zeitweise. Dabei ist der Bedarf an medizinischer Versorgung sehr groß.
Diese Patienten können nun aufatmen. Seit ein paar Monaten hat die Kleinstadt wieder einen Arzt und der wird auch erst einmal bleiben. Denis kommt aus Kuba. Er ist Allgemeinarzt, spezialisiert in der Orthopädie und schon einmal für drei Jahre nach Venezuela entsandt worden. Er hat Erfahrung, ist sympathisch und die Menschen hier sind erleichtert. Eine Patientin sagt: "Ich mag ihn sehr und hoffe, dass er ein wirklich guter Arzt ist. Nicht nur ich, wir alle hier brauchen einen Doktor!"
"Mais Medicos", "mehr Ärzte" heißt das Programm, mit dem die brasilianische Regierung das marode Gesundheitssystem sanieren möchte. Über 11.000 kubanische Ärzte wurden dafür ins Land geholt. Etwa dreitausend Euro verdienen sie, aber nur auf dem Papier. Denn zwei Drittel des Lohnes wird direkt an die Castro-Regierung nach Havanna überwiesen. Eine moderne Art des Menschenhandels nennen Gewerkschaften dies. Denis ist einer der wenigen Kubaner, der sich traut, mit uns darüber zu sprechen. "Eigentlich sollte unsere Regierung uns selbst entscheiden lassen, ob wir aus eigenem Willen einen Teil unseres Lohnes nach Kuba senden wollen, um unserem Land zu helfen."
"Sklaverei" sei das, was Kuba und Brasilien mit den kubanischen Medizinern betreibe. So die harsche Kritik des brasilianischen Ärzteverbandes. Per Gerichtsbeschluss wollten sie das Regierungsprogramm stoppen lassen, aber alle Klagen wurden bislang abgewiesen. Florencio Cardoso, brasilianische Ärztegewerkschaft AMB, erläutert: "Wir können auch nicht akzeptieren, dass Leute aus dem Ausland, vor allem Kubaner, herkommen, die nicht unsere Sprache beherrschen. Wir wissen nicht, welche Ausbildung sie hatten. Hier machen sie einen 15 Tage Sprachkurs und außerdem ein Fernstudium, um in das brasilianische Gesundheitssystem eingewiesen zu werden. Aber einige dieser Fächer werden nicht einmal von Ärzten betreut."
Solche Proteste interessieren die Gemeinden, die durch die kubanischen Ärzte zumindest eine Grundversorgung erlangt haben, ganz und gar nicht. "Wir haben 13.000 Einwohner und hatten zuletzt über 30 Tage keine ärztliche Versorgung“, erklärt Alcalde Jacomo Agostini, Bürgermeister von Guia Lopes da Laguna. "Die brasilianischen Ärzte denken nicht an ihre Verpflichtung, auch hier im ländlichen Raum zu helfen. Und wenn sie dem schon nicht nachkommen, dann sollen sie wenigstens die ausländischen und gerade die kubanischen Ärzte hier ihre Arbeit machen lassen. Die sie im Übrigen gut machen."
Brasilia, die Hauptstadt des südamerikanischen Landes. Mit großen Erwartungen und viel Einsatzwillen sind hier die letzten Monate tausende kubanische Ärzte für das „Mais Medicos“ Programm angereist.
Im April war auch Denis hier um den obligatorischen Sprachkurs und die entsprechende Prüfung zu machen, die er auch bestanden hat. Hochmotiviert haben wir ihn damals angetroffen. Festen Willens die drei Jahre, die das Programm vorsieht, anzutreten, auch wenn er wie alle anderen Bewerber keine Ahnung hatte, wohin es ihn verschlagen könnte. Denis versichert: "Selbstverständlich will ich hier den Abschluss schaffen und dann dahin gehen, wohin sie mich auch schicken. Für mich zählt nur, dass ich das machen kann, wofür ich hergekommen bin. Humanitäre Hilfe, vor allem für die Bedürftigen." Eine Selbstverständlichkeit für Denis. Einige andere kubanische Ärzte sind aber schon nach kurzer Zeit desertiert und haben sich in die USA abgesetzt. Wegen der besseren Bezahlung. Und es rumort weiter unter denen in Brasilien, das deutet auch Denis an. "Ein Teil der Kubaner könnte sich überlegen, aus dem Programm der brasilianischen Regierung auszuscheiden. Aber das wäre zum Nachteil der Bevölkerung, die eine medizinische Betreuung dringend braucht."
Im größten lateinamerikanischen Land kommen nur 1,8 Ärzte auf 1.000 Einwohner, halb so viel wie in Deutschland. Und in den ländlichen Regionen sind brasilianische Mediziner oft kaum zu finden. Dass sie jetzt in Guia Lopes da Laguna einen engagierten Arzt haben, der das Portugiesisch schon ganz gut drauf hat und sich viel Zeit nimmt, kommt hier sehr gut an.
Das Gehalt zahlt die Regierung. Und die Unterkunft, die der 45-Jährige hier stolz präsentiert, wird von der Gemeinde gestellt. Hier lässt es sich aushalten, schwärmt der Kubaner und auch die Gesundheitsbehörde der Gemeinde ist mehr als zufrieden. "Für so kleine Orte wie unseren ist das eine sehr weise Entscheidung der Regierung gewesen", meint Lucas Cosme do Barbosa. "Früher, wenn mal ein brasilianischer Arzt da war, hatten wir über 16.000 Reais an monatlichen Kosten, jetzt nur um die 2.000, fast nichts."
17.000 unbesetzte Medizinerstellen in den ländlichen Regionen. Das Programm der Regierung Rousseff hat einen Teil dieser personellen Löcher im Gesundheitssystem stopfen können. Ideologisch motivierte Kritik an der kubanischen Ärzteinvasion will Denis aber nicht akzeptieren. "Manche werfen uns vor, dass wir aus politischen Gründen hergekommen sind und Propaganda machen. Nichts davon trifft zu. Wir sind hier, um den Menschen zu helfen." 80% der Patienten, so eine Umfrage im ganzen Land, sind mit dem Regierungsprogramm "Mais Medicos" und dem Engagement der kubanischen Ärzte zufrieden.
Autor: Michael Stocks / ARD-Studio Rio de Janeiro
Stand: 04.08.2014 12:57 Uhr
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