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Sudan: Der vergessene Konflikt

Sudan: Der vergessene Konflikt | Bild: ARD

Auf jedem Dorfplatz gibt es Erdlöcher, in die die Menschen hineinspringen, wenn sie wieder das Geräusch eines Flugzeuges hören. Ein Geräusch, das fast alle traumatisiert hat. Dann wissen die Dorfbewohner, dass gleich wieder Bomben fallen, dass Splitter fast waagrecht durch die Luft fliegen, und dass es wieder Opfer geben wird. Wie schon seit 26 Jahren. So lange schon gibt es Krieg in den Nuba-Bergen, im Süden von Sudan.

Das Regime des Langzeitherrschers Umar al-Bashir hat den Dschihad gegen einen Teil seiner eigenen Bevölkerung ausgerufen und terrorisiert sie mit Bomben und Raketen. Nicht einmal die wenigen Krankenhäuser und Schulen werden verschont. Militante Rebellengruppen haben sich gebildet und kämpfen für Autonomie. Sie sagen, es sei ein Kampf ehemaliger Sklaven gegen die einstigen Sklavenhalter im arabischen Norden. Dazwischen eine Bevölkerung, die kaum weiß, wovon sie sich ernähren soll.

Eine exklusive Reportage von Julia Leeb.

Verunglücktes Flugzeug am Rand der Landebahn
Ein erster wenig einladender Eindruck bei der Landung.  | Bild: SWR

Ein langer Flug über Wüstengebiet. Ein Fracht-Flugzeug der Organisation "Sudan Relief Fund", hat mich mitgenommen. Ein Hilfstransport zu einem Flüchtlingslager, das endlich unter uns auftaucht: Yida. 50.000 Menschen haben sich hier her gerettet. Sicher landen wir auf südsudanesischem Boden. Andere vor uns hatten offenbar nicht so viel Glück. Mit an Bord: Fünf Tonnen Medizin. Sie sind aber nicht für das Flüchtlingslager bestimmt. Ziel ist in ein Krankenhaus in den Nuba-Bergen. Weiter geht’s. Stundenlang durchs Niemandsland. Irgendwo hier verläuft die Grenze zum Nachbarland Sudan, so genau ist das nicht zu erkennen. Immer wieder kommen uns Flüchtlinge entgegen.

Seit 26 Jahren herrscht Krieg

Mann mit Gewehr
Im Trainingslager der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung.  | Bild: SWR

Plötzlich, wie aus dem Nichts: ein Checkpoint. Rebellen. Martialische Begrüßung. Wir sind jetzt im Sudan. Ein Trainingslager der SPLM-N. Der sogenannten Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung. Junge Männer und ein paar junge Frauen trainieren für den Kampf. Sie sagen: Es sei ein Kampf ehemaliger Sklaven gegen die einstigen Sklavenhalter im arabischen Norden. Ein Kampf gegen die Islamisierung wie sie von der Zentralregierung des Sudans betrieben werde. "Wir wurden an den Rand gedrängt", sagt Jagud Mukwar Murada, Generalstabschef der SPLM. "Wir haben zu den Waffen gegriffen, um unsere Leute und unsere Rechte zu verteidigen. Wir kämpfen für unsere Freiheit und politische Gleichberechtigung. Es geht um unser Land und die Zivilisten. Ich musste von der Schulbank in den Busch ziehen, um uns zu verteidigen. Das ist der Grund warum ich kämpfe."

Nicht explodierte Bombe steckt im Boden
Auch die Klinik wurde schon bombardiert.  | Bild: SWR

Es ist Krieg in den Nuba-Bergen. Seit 26 Jahren lässt der sudanesische Herrscher Omar al-Bashir Bomben abwerfen. Militante Rebellengruppen schlagen zurück. Kriegsgefangene. Ohne Zukunft. Das Regime hat sie aufgegeben, vergessen. Die Dörfer – bettelarm. In den Nuba-Bergen sind verschiedene Volksgruppen zu Hause. Moslems und Christen leben hier, so sagen sie selbst, friedlich miteinander. Die medizinische Versorgung: Katastrophal. Krankenhäuser gibt es kaum. Eines der wenigen wird von einem Arzt aus den USA betrieben. Er will nicht, dass wir die Klinik zeigen. Sie wurde schon einmal von Regierungstruppen bombardiert. "Wir alle sind traumatisiert", meint der Arzt Tom Catena. "Bei jedem Ton hört man genau hin und überlegt: ist das ein Auto oder ist es eine Antonov oder ein anderes Militärflugzeug." "Ich habe so viele Amputationen gesehen", sagt die Krankenschwester Nasima Keni Bashir."Wenn die Bomben herunterkommen, dann zerschneiden sie Beine und Arme oder manchmal auch den Kopf. Viele Menschen sterben." Und Tom Catena ergänzt: "Wenn Du einen schrillen Ton hörst, ungefähr so "SSSSZZ" ... dann hast du 10 Sekunden Zeit. Das ist der Ton der fallenden Bombe. Dann kommt der Einschlag. Booooom."

Erdlöcher als Schutz vor Bomben

Erdloch
Die einzige Chance beim Bombenangriff: das Erdloch.  | Bild: SWR

Wir fahren weiter. Dr. Tom hat uns den Weg zu einem seiner Schüler beschrieben. Dr. Ahmed, einen sudanesischen Arzt, der ein paar Dörfer weiter lebt. Überall fallen uns die vielen Erdlöcher auf. Keine Bombeneinschläge – es sind Schutzlöcher. Endlich treffen wir Dr. Ahmed. Er erklärt uns, warum die Erdlöcher so wichtig sind: Wenn die Bombe explodiere, fliegen die Splitter sternförmig und waagerecht durch die Luft, meint er. Sie zerschneiden dann alles, was ihnen in den Weg kommt. "Bei einem Angriff springst Du hier rein. Du bleibst auf keinen Fall stehen. Du machst Dich so klein es geht. Einmal sind die Splitter direkt über mich drüber geflogen. Dem Mann neben mir hat es das Gesicht zerschnitten. Sein Hirn kam raus. Ich war voller Blut. Die Leute wollten mir helfen. Aber ich sagte: Eurem Doktor geht es gut. Das ist doch gar nicht mein Blut. Das ist doch das Blut von dem anderen Mann." Seit ein paar Wochen herrscht ein zerbrechlicher Waffenstillstand. Die Tage scheinen ungewöhnlich friedlich. Eine zerbombte Grundschule nebenan und die Erdlöcher sprechen aber eine andere Sprache. Die Angst ist immer da. Die Angst vor der nächsten Bombe und dem todbringenden Geräusch.

Arzt zeigt OP-Saal im Krankenhaus
Operieren unter schwierigen Verhältnissen. | Bild: SWR

Dr. Ahmed will uns sein Krankenhaus zeigen. Aber nur nachts. Er hat Angst, dass es das nächste Ziel wird. Der Weg dorthin: beschwerlich. Unser Auto macht Probleme, die Benzinleitung ist verstopft. Dann, endlich: "Schön, dass ihr es geschafft habt", sagt Ahmed Zacharia. "Das ist der Patientensaal." Licht gibt es nicht. "Der OP Saal ist hier. Für jede Art von OP gibt es ein Set mit Instrumenten. Es gibt nur wenige OP Sets und sie sind sehr einfach, aber es funktioniert. "Wie viele Patienten haben Sie hier schon behandelt?" "Ich habe hier schon 172 Patienten behandelt. Ich habe einen Plan. Ich will das alles in einem eigenen Medikamenten-Raum lagern. Dann kann ich hier den OP-Saal vergrößern." Die Medizin-Ladung vom Fracht-Flugzeug ist inzwischen angekommen. Die Spende der Hilfsorganisation wird hier dringend gebraucht. Am nächsten Morgen brechen wir auf. Verlassen die Nuba-Berge. Eine Region, die unwirklich schön im Licht liegt. Eine Region wie von der Welt vergessen.

Stand: 14.07.2019 03:18 Uhr

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