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Schweden: Leben mit dem Wolf

Es ist ruhig im schwedischen Tierp bei Uppsala. Die meisten sind tagsüber bei der Arbeit oder in der Schule. Einer der wenigen, die am 29. Januar zuhause sind, ist Tobias Ågren. Seine Frau hat erst vor kurzem ein Kind zur Welt gebracht. Dass sie ausgerechnet im eigenen Garten einem Wolf begegnen sollten, kann Tobias auch Tage später nicht fassen.

Wolf im eigenen Garten

"Meine Frau rief von unten aus dem Wohnzimmer: Ein Wolf ist im Garten. Im ersten Moment dachte ich, dass sie sich bestimmt irrt. Aber als ich dann runtergekommen bin, habe ich gesehen, wie der Wolf gerade ein Reh zerfleischt. Da habe ich mein Handy genommen und alles gefilmt. Irgendwie heftig und unwirklich", erzählt Tobias Ågren. Minutenlang filmt Tobias das, was draußen passiert. Dann lädt er die Bilder ins Internet hoch. Sie verbreiten sich schnell in ganz Schweden. Die Polizei und der zuständige Wildbeauftragte werden verständigt. Stundenlang streift der Wolf durch das Wohngebiet. Dann tötet ihn die Polizei mit einem gezielten Schuss.

Der Fall von Tierp liefert neue Nahrung für die Kontroverse um den Wolf in Schweden. Tobias bekommt Hassmails. Man wirft ihm vor, mit dem Video den Wolf zum Abschuss freigegeben zu haben. In kaum einem anderen Land kennt man den Bestand an Wölfen so genau wie hier. Während der Wolfsinventur im Winter ist in den Wäldern von Västmannland der Wildbeauftragte Daniel Mallwitz fast jeden Tag unterwegs.

"Wie man nach Wölfen sucht? Das Beste ist, jemand aus der Bevölkerung hat irgendwo Spuren gesehen. Aber das Glück hat man nicht immer. Also muss man rausfahren mit dem Schnee-Scooter oder mit dem Auto und selbst nach Spuren Ausschau halten", so Daniel Mallwitz, Regionalverwaltung Västmanland.

Es dauert nicht lang, bis Daniel etwas entdeckt hat. Mitten auf dem Weg sind deutlich mehrere Spuren zu erkennen. "Das hier ist eine Fuchsspur. Und gleich daneben sieht man die Spuren eines Wolfs. Ich denke, folgendes ist passiert: Der Wolf ist hier entlang gekommen und dann in den Wald abgebogen. Er muss wohl von einem Auto auf dem Weg überrascht worden sein. Und dann ist er da rein", sagt Daniel Mallwitz, Regionalverwaltung Västmanland.

Nach EU-Richtlinie ist der Wolf eine geschützte Tierart

Schweden: In kaum einem anderen Land werden Wölfe so genau gezählt wie in Schweden
Schweden: In kaum einem anderen Land werden Wölfe so genau gezählt wie in Schweden

Im Neuschnee lassen sich Wolfsspuren gut verfolgen. Jede Spur gibt Daniel direkt über das Smartphone in eine Datenbank ein. "Und dann haben wir das hier dabei: Zwei Proben-Behälter. Der mit dem lila Deckel ist für Kot und der andere für Urin oder Blut. Alles wird gemeinsam mit den Spuren genau registriert", so Daniel Mallwitz, Regionalverwaltung Västmanland. Die Wolfsinventur ist aufwändig und teuer. Aber sie ist die Grundlage dafür, dass Wölfe in Schweden überhaupt gejagt werden dürfen. Denn nach EU-Richtlinie ist der Wolf eine geschützte Tierart.

Für die Sicherung des Bestands hat Schweden eine Untergrenze von 300 Tieren festgelegt. Zuletzt waren es rund 305. Gejagt werden darf nur, wenn es deutlich mehr sind. Auch auf dem Hof von Landwirt Erik Brate hat man Erfahrungen mit dem Wolf gemacht. Ausgerechnet an einem Tag, da Erik verreist war. Fünf Schafe hat der Wolf gerissen.

"Es war nicht nur ein Biss, sondern unzählige. Unten, oben, vorne, hinten. Der Bauch war aufgerissen. Es waren schreckliche Verletzungen", berichtet Erik Brate, Landwirt Fagersta. Der drei Kilometer lange Elektrozaun soll den Hof vor Wildtieren schützen, doch der Wolf kam trotzdem durch eine Lücke im Zaun. Jetzt macht Erik regelmäßig Kontrollgänge. "Ich habe kein Problem mit dem Wolf an sich. Aber es sind zu viele. Zu viele auf einer zu kleinen Fläche", findet Erik Brate, Landwirt Fagersta.

Rückgang offenbar wegen vieler illegaler Abschüsse

Schweden: Der Bestand von 300 Tieren darf nicht unterschritten werden
Schweden: Der Bestand von 300 Tieren darf nicht unterschritten werden

Wölfe halten sich gerne dort auf, wo es viel Wild gibt. Das ist vor allem in der Mitte Schwedens der Fall. Bis zu 50 Elche kann ein Wolfsrudel im Jahr reißen. Die Knochen, die Daniel Mallwitz hier entdeckt, stammen aber vermutlich von einem Reh. Sie sind ganz frisch. "Er muss hier erst heute Morgen reingegangen sein, um sich auszuruhen. Und möglicherweise haben wir ihn gerade gestört und ist er weggesprungen", meint Daniel Mallwitz, Regionalverwaltung Västmanland. Daniel kennt seinen Bestand ziemlich gut. Den ganzen Winter über wird gezählt, im Juni dann entschieden, ob und wo in Schweden der Wolf im nächsten Winter gejagt werden darf.

"Im Nachbarrevier hatten wir im vergangenen Jahr eine Jagd. Da wurden sechs Tiere geschossen. Jedes Revier zählt für sich. In jedem muss der Bestand ausreichend groß sein, damit eine Jagd stattfinden kann. In diesem Jahr war der Bestand in Schweden so niedrig, dass wir im ganzen Land keine einzige Jagd genehmigen konnten", erklärt Daniel Mallwitz, Regionalverwaltung Västmanland.

Grund für den Rückgang sind offenbar viele illegale Abschüsse. Die Ergebnisse der diesjährigen Wolfszählung werden in ein paar Wochen vorliegen.
Der Wolf von Tierp ist hier gelandet. In der Tiermedizinischen Forschungsanstalt in Uppsala. Man bestimmt seine DNA und untersucht, ob das Tier Krankheiten hatte. Dieser Wolf ist auch zu einem Fall für das Gericht geworden. Denn Tierschützer haben die Polizei angezeigt. Sie sagen, der Wolf von Tierp sei keine Bedrohung für den Menschen gewesen – das Tier hätte niemals erschossen werden dürfen.

Bericht: Christian Stichler/ ARD Studio Stockholm

Stand: 26.04.2022 15:55 Uhr

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