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Russland: Krim – Die Halbinsel ohne Strom

Russland: Krim Die Halbinsel ohne Strom | Bild: SWR

Auf der Krim gilt der Notstand. Nachdem auf dem ukrainischen Festland Hochspannungsmasten gesprengt wurden, ist die Stromversorgung auf der von Russland annektierten Halbinsel zusammengebrochen.

Der Blackout wird noch lange anhalten, denn ukrainische Nationalisten versuchen, die Reparatur der Strommasten zu sabotieren. Auf der Krim und in Russland wächst die Wut. Über eine Region im Ausnahmezustand berichtet ARD-Korrespondent Udo Lielischkies (Studio Moskau).

Holzofen
Zur Zeit hilft nur der Holzofen gegen die Kälte. | Bild: SWR

Sie haben sich viel Feuerholz zurechtgelegt, die Männer des russischen Katastrophenschutzes, die in der kleinen Stadt Scholkino heißes Wasser an die Bevölkerung verteilen. Vier Stunden pro Tag nur gibt es Strom in der Stadt, auch das Heizkraftwerk steht, ihre Wohnungen sind dunkel und ausgekühlt. Vor allem Familien mit Kindern leiden."Wir gehen auf die Straße, auch weil mein Sohn zuhause nicht schlafen kann", sagt Inna. "Durch das Kerzenlicht verwechselt er Tag und Nacht."

Große Abhängigkeit von der Ukraine

Über eineinhalb Jahre gehören sie nun schon zu Russland. Wieso aber, fragen einige vorsichtig, hängt ihre Krim dann immer noch zu 70%vom Strom der Ukraine ab? Auch der einzige Fernseher hier, im Fenster der Stadtverwaltung, gibt keine Antworten: Die russischen Sender berichten kaum über ihr Problem hier, sondern über den Syrienkrieg. Warum?" Nun warum schon?", meint Nikolai. "So sind die Regierenden einfach. Wenn Du Dich beschwerst, sagen die: Seien Sie ruhig! Bedeutet: Wenn Du meckerst, bekommst Du gar nichts."

Resignation, Verbitterung, aber Ausländern wie uns gegenüber demonstrieren die meisten trotzigen Patriotismus. Als wir filmen, wie diese Menschen ihre Handys an einem Generator aufladen, kippt die Stimmung schnell: "Zeigt keine Lügen! Ihr lügt!", ruft eine verärgerte Frau. "Ihr filmt für Deutschland? Warum? Kamera weg!" Für über eine Million Krim-Bewohner begann am vergangenen Sonntag, ohne jede Vorwarnung, ein eiskalter Alptraum – und er könnte den ganzen Dezember über andauern.

Vergeltung für die Annexion

Benzinkanister
Auch Bezinlieferungen aus der Ukraine werden behindert.  | Bild: SWR

Szenenwechsel: Bewaffnete Polizisten in der Ukraine versuchen vor einer Woche, die gesprengten Strommasten zu sichern, damit Spezialisten sie reparieren können. Doch wütende Krimtataren und ukrainische Nationalisten verhindern das: Sie wollen Vergeltung für die Annexion der Halbinsel, für den Krieg im Donbas. Die Polizei zieht ab. Seitdem fließt kein Strom, und Waren aus der Ukraine werden ebenfalls seit Wochen hier an der Grenze gestoppt. Sollte Kiew versuchen, die Masten zu reparieren, würden andere gesprengt, drohen die Demonstranten. "Wir lassen das einfach nicht" beharrt Roman, "wir bleiben hier als menschliche Barrière. So, wie wir es auch auf dem Maidan gemacht haben."

Zurück auf die Krim: Die Meerenge von Kertsch, gleich gegenüber liegt Russland. Hier werden jetzt ein Untersee-Stromkabel verlegt und eine Brücke gebaut, die die Fähren ersetzen soll. Bis all das fertig ist herrscht Knappheit: An den Tankstellen in Kertsch warten viele schon Tage vergeblich auf Benzin. Doch hier gäbe es nur Diesel – wenn denn die Pumpen der Tankstelle liefen. Marina hat gleich sechs Kanister mitgebracht. Sie will, wenn es denn klappt, auch Freunde versorgen – die versuchen ihr Glück an anderen Tankstellen. "Heute ist der fünfte Tag ohne eine einzige Stunde Strom! Wir leben wie Maulwürfe! Der Generator steht auf dem Balkon, macht Riesenkrach, und die Nachbarn beschweren sich, aber: Was soll man tun?"

Männer laden Generatoren aus
Generatoren sind ein Riesengeschäft.  | Bild: SWR

Der Generator auf dem Balkon – Wir sehen eine Gruppe Männer, die Kisten aus einem großen Lastwagen ausladen: Fabrikneue Generatoren, mit der Fähre aus Russland herübergebracht. Ein Riesengeschäft: "Wir haben 300 Generatoren her gebracht, und das ist alles, was übrig ist. Zwei Drittel haben wir schon in den ersten vier Stunden verkauft." Aber es fehlt doch an Benzin hier… "Ja, darum wir haben unseres mitgebracht, und wir füllen auch gleich auf. Die Leute bitten uns schon, ihnen Benzin zu verkaufen, aber wie denn." Zweihundert verkaufte Generatoren in vier Stunden, für umgerechnet 350 bis 500 Euro, je nach Leistung: Die alte Frau gleich daneben sortiert Nahrungsmittel, deren Preise auf der Krim explodiert sind, seitdem seit Wochen keine Waren mehr die Grenze zur Ukraine passieren. "Die verkaufen die, oder?", fragt eine alte Frau.

Mit Konserven bei Kerzenschein

Zurück in Scholkino. Die Katastrophenhelfer haben den Platz beleuchtet, deutlich mehr Menschen verfolgen jetzt hier die Abendnachrichten, sind aus ihren dunklen und kalten Wohnungen geflohen. Inna und ihre Schwester bleiben wegen der Kinder zuhause. Die beiden sind zusammen gezogen, denn ohne Aufzug ist Innas Wohnung in der achten Etage schwer erreichbar. Gekochte Eier und Konserven essen sie jetzt, ihre letzten Kerzen gehen zur Neige. "Ich denke, es wird bald Unruhe geben", meint Inna. Ihre Schwester ergänzt: "Ja, schon eine Woche…Unsere Eltern warnen: Geht nicht ins Zentrum, da fangen Schlägereien an."

Auf dem Platz wird das Staats-Fernsehen auf eine Hauswand projiziert: Die Menschen verfolgen, wie ihr Präsident in Syrien den Terrorismus bekämpft. "Ach wir leben doch gut. Schauen Sie doch: All die Leute hier, und niemand lässt sich hängen. Wir hoffen auf Besserung. Nun ja, wenn sie uns ein bisschen Heizung und Strom gäben, für zwei, drei Stunden. Aber klar wird alles besser, glaube ich." Dass ihr Präsident sich um Wichtigeres kümmern muss verstehen die meisten hier. Weniger aber, dass die russischen Medien sich kaum für eine Million frierender Krim-Bürger interessieren.

Stand: 10.07.2019 05:08 Uhr

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