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Russland: Es hat sich etwas verändert

Mann in Supermarkt vor teilweise leeren Regalen
In russischen Läden machen sich Hamsterkäufe bemerkbar  | Bild: IMAGO / ITAR-TASS Yevgeny Sofiychuk

McDonald’s verkauft keine Burger mehr in Moskau, das ist vielleicht die symbolhafteste Veränderung, die die ARD-Korrespondet:innen wahrnehmen. Die Stadt und große Teile des Landes sind anders geworden, innerhalb weniger Tage hat sich so viel verändert, wie in den vergangenen Jahrzehnten nicht. Geschäfte schließen, gut ausgebildete Menschen verlassen das Land. Die Internationalität gibt es immer weniger, manchmal fühlt es sich so an, wie zurück in Sowjetzeiten.

Produktionsstopp bei VW – bezahlter Urlaub für die Mitarbeiter

VW-Werk in Kaluga
Vorerst geschlossen: das VW-Werk in Kaluga | Bild: SWR

Stillstand im Volkswagen-Werk von Kaluga, drei Stunden von Moskau entfernt. VW hat wie viele andere westliche Firmen seine Produktion in Russland vorübergehend gestoppt. Nur die Sicherheitsleute sind da – alle anderen rund 4.000 Mitarbeiter in bezahltem Urlaub. Doch von Panik unter Beschäftigten keine Spur. Kaluga-2 heißt dieser kleine Vorort, hier wohnt der 35-jährige Dmitrij Surusow mit seiner Frau. Als Schweißer hat er bei VW angefangen, seit Jahren arbeitet er in der Qualitätskontrolle. Den Stopp des Werks sieht er entspannt. "Es ist wie Urlaub, für mich hat der Urlaub begonnen. Denn der Produktionsstopp wird ja bezahlt. Deshalb ist alles ok. Wir erholen uns jetzt, dann werden wir bald weiterarbeiten.” Und seine Frau Viktoria Surusowa meint: "Die Lebensmittelpreise sind etwas gestiegen, aber noch spüren wir das nicht so stark. Vermutlich merken wir das erst später. Wir haben in Russland aber so viel durchgestanden, eine Finanzkrise, andere Krisen. Uns macht überhaupt nichts mehr Angst.”

Dmitrij Surusow und Viktoria Surusowa schauen Fernsehen
Dmitrij Surusow und Viktoria Surusowa  | Bild: SWR

Krim, Wolgograd, St. Petersburg – die beiden reisen gern, haben aber noch nie einen Grenzposten ins Ausland überquert. Im Nebenjob renoviert Dmitrij Wohnungen und verdient sich damit etwas dazu. Er und seine Frau schauen auf YouTube Angelvideos. Nachrichten gucken sie nie. "Man muss wissen, was im eigenen Leben passiert, nicht was in der Welt geschieht. Das Weltgeschehen können einem wenn, dann die Nachbarn oder die Menschen im Supermarkt erzählen." So wissen die beiden nur grob von der sogenannten "Spezial-Militäroperation” ihrer Armee in der Ukraine Bescheid – es kümmert sie kaum. "Erst wenn es einem schlecht geht, fängt man an sich für Politik zu interessieren. Solange alles gut ist, warum solltest du dich dann um Politik kümmern? Wenn du doch Zeit hast, hier zum See zu fahren, mit dem Hund spazieren zu gehen, zu angeln – diese Momente muss man genießen. Einfach leben!”

Ablenkung am See

Menschen in Badekleidung
Nach der Sauna in den eiskalten See | Bild: SWR

Der See – ein Erholungsort für die Menschen hier. Banjas, die russische Sauna, und danach ein Bad im eiskalten Wasser. Sich politisch zu äußern ist derzeit heikel in Russland. Wer es tut, macht das mit Bedacht. "Die jetzige Situation, wenn die Menschen unterdrückt werden, und wenn wir nicht verstehen, wie all das geschehen konnte, damit muss man irgendwie klarkommen, zum Beispiel durch Winterschwimmen", sagt Julia. Und Maria meint: "Es ist wichtig, dass die Firmen, die den russischen Markt vorerst verlassen haben, am Ende doch bleiben, denn wir benutzen deren Produkte und ohne die wird es für uns sehr schwer.” Die Wahrnehmung ist manchmal auch ein Konflikt der Generationen. Der Vater der jungen Mutter verbreitet zu den Sanktionen sofort die offizielle Version der Staatsmedien. "Alles ist gut!”, sagt Michail. Aber einige Geschäfte haben zugemacht. "Nein, wir haben immer noch die gleichen Geschäfte. Alles funktioniert. alles ist gut!” Aber Volkswagen hat die Produktion eingestellt. "Wissen Sie, wie viele verschiedene Automarken wir haben? Toyota, Volkswagen und viele andere. Bald werden die wieder produzieren. Denn Geld braucht jeder.”

In Kaluga hängen viele Arbeitsplätze an der Autoindustrie. Neben Volkswagen hat auch das Volvo-LKW-Werk den Betrieb vorübergehend eingestellt. McDonalds ist geschlossen. Auch Mercedes exportiert keine Autos mehr nach Russland – kehrt das Land zurück zu heimischen Autos? "Die Probleme sind riesig" sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Natalja Subarewitsch. "Aber unsere Machthaber sagen, dass wir alles hinbekommen. Leider glaubt ihr die Bevölkerung bislang. Für die einfachen Menschen ist es leichter, so zu denken. Sie verstecken sich vor den Problemen und dagegen kann man gerade nichts tun.”

Firmen ziehen sich zurück – Sanktionen sind spürbar

Barmanager Kyrill Schwezow in seiner Bar
Barmanager Kyrill Schwezow | Bild: SWR

Kyrill Schwezow stellt sich auf eine schwere Krise ein. Der Barmanager spürt bereits steigende Preise. Alkoholfirmen ziehen sich aus Russland zurück. Cocktails in seiner Bar werden sich ohne diese Getränke-Marken wohl verändern. Schwezow sieht, dass viele Sanktionen die russische Bevölkerung treffen werden. "Diese Bestrafung bekommen wir ja nicht ohne Grund. Aber Sanktionskampagnen, die die gesamte Gesellschaft treffen, scheinen mir nicht die richtige Schlussfolgerung zu sein.” Schwezow arbeitet daran, seine Bar gut durch die Krise zu bringen. Doch viele hier in Kaluga ahnen noch nicht die schweren Folgen der Sanktionen, die Ökonomen erwarten. Die Symbolik von Russlands sogenannter Militäroperation ist aber auch hier schon angekommen.

Autor: Demian von Osten, ARD-Studio Moskau

Stand: 21.03.2022 11:26 Uhr

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