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Polen: Energiewunder Plattenbau

Polen: grüner Strom dank Solarpanels
Polen: grüner Strom dank Solarpanels | Bild: WDR

Ein Plattenbau in Polen in einzigartigem Design – von oben bis unten verkleidet mit Solarpaneelen: "Die Autos halten hier an und machen Fotos. Es ist schon ziemlich einzigartig. Ich würde es auch meinen Bekannten weiter empfehlen." Dem Winter schauen die Bewohner:innen gelassen entgegen. Steigende Energiekosten – für sie kein Thema: "Ich komme gern hier hoch und genieße den Blick auf den Generator. Er produziert nicht nur Strom, sondern auch Geld."

Eine nachhaltige Insel inmitten fossiler Heizanlagen

Szczytno, eine Klein-Stadt in den südlichen Masuren. Viel los ist hier nicht. Doch eine Attraktion, die gibt es: einen Plattenbau aus den 70ern in der Slonska-Straße Nummer 12. Der sticht heraus. Die Balkone mit den Solarpaneelen wurden erst im September angebracht. Zbigniew Chrapkowski, der Chef der Hausgemeinschaft, macht seinen üblichen Rundgang: "Hallo, guten Tag!" "Hallo Ela! Ich wollte nur mal schauen, wie es unserer Installation geht, ob sie richtig funktioniert." "Alles in Ordnung bei mir, gibt keine Kratzer, wurde ordentlich gemacht. Mir ist jetzt aber kalt!" "Gut Ela, geh wieder rein!"

Polen: Solarpanels überall auf dem Dach des Plattenbaus in Szczytno.
Polen: Solarpanels überall auf dem Dach des Plattenbaus in Szczytno. | Bild: WDR

Die Optik mag Geschmackssache sein, aber am Ende ist die auch nebensächlich. Denn der Block ist so gut wie energieautark – als einziger in Polen. Im ehemaligen Kohlekeller ist jetzt das Büro der beiden Visionäre, wie die Verwalter von ihrer Hausgemeinschaft genannt werden. Dabei war der Auslöser für den energetischen Umbau einfach Geldmangel. "Das war eine Tragödie! Die Energieunternehmen haben uns finanziell unter Druck gesetzt. Glauben Sie mir, ich habe noch gebeten, dass sie uns wenigstens in Raten zahlen lassen. Sie haben mich ausgelacht: Aaah, ihr habt kein Geld! Das war für mich der Anstoß", erzählt Zbigniew Chrapkowski.

Das war 2014, kurz danach kam die Wärmepumpe in den Keller und die Photovoltaikanlage aufs Dach. Alles finanziert über Kredite des Landes und über Eigenanteile der Bewohner:innen. 80 Prozent der Energiekosten konnten so eingespart werden. Und mit dem gesparten Geld wurden die Kredite zurückgezahlt und sogar noch neue Projekte finanziert. Wie die Balkone in diesem Jahr, die fürs Warmwasser genutzt werden. Für die Bewohner:innen der Slanksa 12 brechen rosige Zeiten an. Jetzt, wo die Energiekosten explodieren, heizen sie fröhlich weiter! "Letztens habe ich mich mit einer Nachbarin unterhalten. Sie hat mich gefragt: Und? habt ihr schon Erhöhungen bekommen. Was für Erhöhungen habe ich gefragt. Na Betriebskostenerhöhungen. Nein, sagte ich, die bekommen wir schon seit Langem nicht mehr!", sagt Bewohnerin Stanislawa Gerwatowksa.

22 Grad sind bei Stanislawa Standard, es kann aber gern auch mal wärmer werden. Freunde und Familie kommen sie häufiger besuchen: "Mein Sohn sagt: Oh, ihr habt es immer so warm! Bei euch kann man selbst im Sommer, wenn die Tage mal etwas kühler sind, die Heizung einfach aufdrehen. Ich habe ihm schon vorgeschlagen, dass wir tauschen könnten. Am Ende würde er das machen!" Und um die Balkone würden sie ja sowieso alle beneiden. Viel größer als die alten seien die. Nur die Luft sei nicht immer gut. Gerade jetzt, wo die Heizsaison wieder losgeht. Da ist der Block in der Slanska 12 eben doch nur eine Insel aus Erneuerbaren in der Weite des Meeres fossiler Heizungsanlangen.

Anfangs wurden sie belächelt

Damals 2014 hatte Zbigniew sogar die Nachbar-Blocks gefragt, ob sie mitmachen wollen, aber man hatte sich nur lustig gemacht und sie Traumtänzer genannt. Heute bereuen sie es. "Naja, bei uns gibt es immer wieder Erhöhungen, alle paar Monate was Neues. Und wir haben keinen Einfluss drauf. Wir haben einfach keine Verwaltung, die sich so sehr für die Wohngemeinschaft engagiert wie die im Nachbarhaus", sagt Nachbar Marian Urbanski.

Polen: Ein alter Plattenbau wird der Energievorreiter: Zbigniew Chrapkowski schaut gelassen auf steigende Energiepreise.
Polen: Ein alter Plattenbau wird der Energievorreiter: Zbigniew Chrapkowski schaut gelassen auf steigende Energiepreise. | Bild: WDR

Dass Zbigniew und sein Stellvertreter sich so sehr engagieren, liegt vielleicht auch daran, dass sie selbst Bewohner des Hauses sind. Aus der rein finanziellen Motivation am Anfang ist bei beiden mit der Zeit auch ein Verständnis für Klima- und Umweltschutz geworden. Fast 70 Tonnen CO2 spart ihr Wohnblock pro Jahr ein: "Wenn wir das auf andere solche Wohnblöcke übertragen würden, das sind 25.000 in ganz Polen. Stellen sie sich mal vor, wie viel Geld gespart werden könnte, wieviel saubere Energie, wieviel sauberer Luft hergestellt werden könnte! Es sterben doch 40.000 Menschen pro Jahr an Smog. Die würden noch leben!", erzählt Zbigniew.

Zbigniew Chrapkowski hofft, dass die Menschen hier in seiner Stadt endlich aufwachen und umdenken. Er überlegt sogar, im nächsten Jahr für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren.

Autorin: Kristin Joachim / ARD Studio Warschau

Stand: 20.11.2022 19:41 Uhr

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