Mo., 19.10.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Pakistan: Kampf gegen Sklaverei
Ein Meiler, in dem Ton und Lehm zu Ziegeln verbrannt werden. Einer von zigtausenden in Pakistan. Monumente der Hoffnungslosigkeit. Es gibt keine Gitter ringsherum, aber wer hier lebt, ist gefangen, verurteilt zu lebenslanger Sklavenarbeit. Mohammad Riaz und seine Frau Naseem stellen seit ihrer Kindheit Ziegel her. Jeder tausend pro Tag, jeden Tag, solange die Kräfte reichen.
"Mit unseren vier Kindern schaffe ich im Moment nur zwei- bis dreihundert Ziegel. Das reicht nicht zum Leben." sagt Naseem. Die Zukunft der Kinder steht bereits fest. Ihr Mann Mohammad meint, "Unsere Kinder müssen so früh wie möglich Lehm sammeln und können dann nicht zur Schule. Es geht nicht anders."
Vier Euro Tageslohn
Wenn das Pensum geschafft ist, oft erst nach zwölf Stunden, geht es heim. Ein Hof, eine Ein-Raum-Zelle, die Wände eingefallen, das Dach brüchig. Gegessen wird, was sie sich leisten können vom Hungerlohn. Der liegt bei umgerechnet acht Euro pro Tag. Die Hälfte wird ihnen gleich abgezogen. Schuldentilgung. Mohammad erklärt, "Zwei meiner Kinder wurden krank und ich musste einen Arzt kommen lassen. Sie sind trotzdem gestorben, und ich musste die Beerdigung bezahlen. Das Geld musste ich mir leihen und soll es nun zurückzahlen. Aber wovon denn?"
Fliehen, woanders eine Existenz aufbauen, können sie nicht. Sie haben ja nichts gelernt außer Ziegel herstellen. Und mit der Begründung, ausstehende Schulden einzutreiben, setzen die Bosse jedem Fliehenden nach. "Wenn wir wegrennen, finden sie uns und foltern uns. Wir können nichts machen, höchstens uns umbringen. Wir leben schlimmer als Tiere." sagt Naseem.
Befreiung der Ziegel-Sklaven als Lebensaufgabe
Ihr menschenunwürdiges Leben, Thema einer Ausstellung, das zur selben Zeit eine halbe Autostunde entfernt vorgestellt wird, in Pakistans Kulturmetropole Lahore. Eingeladen hat die Frau, die sich die Befreiung der Ziegel-Sklaven zur Lebensaufgabe gemacht hat.
Als Jugendliche arbeitete Syeda Fatima selbst in einem Ziegelwerk, freiwillig, um das dortige Leid hautnah zu erleben. "Ich musste mit ansehen, wie Frauen, darunter junge Mädchen, vergewaltigt wurden, von den Besitzern, den Bossen, den Aufsehern, ich habe gesehen, wie die Arbeiter und ihre Kinder ein elendes Leben fristen."
Für ihr Engagement musste Fatima viel erdulden. Bei einer Demonstration wird sie von der Polizei verprügelt. Außerdem wurden mehrere Mordanschläge auf sie verübt. "Einen meiner Brüder haben die Besitzer zum lebenslangen Krüppel geschossen. Er hatte gerade angefangen zu studieren. Mich haben sie auch schwer verletzt. Nur meinem anderen Bruder ist es gelungen sich zu retten, er kann schnell laufen." sagt Syeda Fatima.
Die Flucht ist nur der Anfang eines langen Prozesses
Das hält sie nicht davon ab, weiter in den Ziegelwerken aufzukreuzen und Sklaven bei der Flucht zu helfen. Mit ihrer Hilfsorganisation, die den Namen "Sklavenbefreiungs-Front" trägt, hat sie fast hunderttausend herausgeschleust und sie vor den Nachstellungen der Ausbeuter beschützt. Die Flucht – oft erst der Anfang eines langen Loslösungsprozesses.
"Sie haben meinen Sohn entführt und gefoltert und fordern Lösegeld. Ich bin mit Fatima zur Polizei gegangen, aber die unternimmt nichts." sagt eine Arbeiterin.
Untätig auch der zuständige Arbeitsminister. Dabei ist das Gesetz eindeutig: Sklavenarbeit ist genauso verboten, wie ein Mindestlohn vorgeschrieben ist. Doch der Minister Mishrat Ali sieht keinen Handlungsbedarf, "Alle dort kriegen den Mindestlohn und noch darüber. Das mit der Sklavenarbeit und den Billiglöhnen sind Märchen. Die Gehälter orientieren sich am Marktpreis." Der Minister bleibt stur.
Das Thema bekommt internationale Aufmerksamkeit
Doch zwei Tage später – die Überraschung. Fatima und ihr Ehemann jubeln, als sie die Zeitung lesen. In einem Ziegelwerk gab es eine Razzia. Und Festnahmen, weil dort der Mindestlohn nicht gezahlt wurde. Der Minister hat offenbar darauf reagiert, dass das Thema international Wellen schlägt. Doch während Fatima aus dem Ausland immer mehr Zuspruch und auch Spenden bekommt, kämpft sie in Pakistan weiter einen einsamen Kampf.
"Die Polizei vor Ort steckt mit den Ausbeutern unter einer Decke. Die Regierung muss mehr Druck auf die Polizei ausüben. Aber die Polizei wird wiederum gedeckt von einflussreichen Parlaments-Abgeordneten." erklärt Syeda Fatima. Dennoch will sie die gute Nachricht feiern – mit denen, die noch geknechtet sind.
Ein Hoch auf Fatima
Spontan besucht sie eines der vielen Ziegelwerke in der Umgebung. Es ist Feiertag. Die Arbeit ruht – und Fatima wird begrüßt wie eine Heldin. Für eine kurze Zeit ist Freude und sogar Kampfesmut in die Siedlung eingekehrt. "Schluss mit der Ausbeutung!" skandieren die Arbeiter. Und "Ein Hoch auf Fatima. Fatima – hilf uns zu unserem Recht!" Abseits – einer der Aufseher. Er sieht Fatima und unsere Fernsehkamera. Wagt nicht, einzugreifen. Muss sich anhören wie Fatima den Menschen ihre Befreiung verspricht. "Wir kämpfen einen langen Kampf. Aber bald wird Schluss damit sein, dass wir Ziegel für Schulen bauen, in die unsere eigenen Kinder nicht gehen können!"
Hinter ihr dampft der Schlot. Noch steht er für brutale Unterdrückung. Aber irgendwann, so hofft Fatima, wird er nichts weiter sein als ein gewöhnlicher Fabrikturm. Umgeben von Arbeitern, die dort freiwillig ihren fairen Lohn erwerben.
Autor: Markus Spieker/ARD Neu Delhi
Stand: 09.07.2019 21:12 Uhr
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