Mo., 23.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Neuseeland: Verseuchtes Trinkwasser
Das Image ist reine Natur, doch auch Neuseeland kämpft mit Überdüngung und der Nitrat-Belastung des Grundwassers. Die Nachfrage in China nach Milchprodukten hat der Milchwirtschaft in Neuseeland enorme Zuwachsraten beschert – die Rechnung bezahlen alle: Viele Seen sind mittlerweise fürs Baden gesperrt.
Das Vertrauen ist weg. Zum Gemüsewaschen sei das Wasser gerade noch gut genug, sagt Joyce Hanna. Vor eineinhalb Jahren erkrankte die 85-Jährige an einer schweren Darminfektion. Genau wie gleichzeitig mehr als 5000 andere Menschen in ihrer Kleinstadt Havelock North. Die Ursache damals: Kolibakterien im Leitungswasser. "Ich habe mich so schlecht gefühlt, dass ich gebetet habe, dass Gott mich zu sich holt. Es war nicht auszuhalten. Irgendwann ging es dann besser, aber ich hatte noch monatelang immer wieder Bauchkrämpfe."
"Das Image stimmt nicht mehr"
Nur noch den Flaschen aus dem Supermarkt traut sie jetzt. Leitungswasser wird nun stark gechlort, nachdem Tierfäkalien als Ursache feststanden. Das "Versagen beim Wasser" titelt die Lokal-Zeitung. Ein trüber Gegensatz zu Neuseelands 100 Prozent Pur Image. "Das Image stimmt nicht mehr", meint Joyce Hanna. "Unsere Seen und Flüsse sind längst nicht mehr so sauber, wie sie es mal waren. Ich sollte das wohl nicht sagen, aber es ist so."
Tatsächlich, statt Traumstrand immer häufiger solche Schilder: Achtung! Das Wasser ist verschmutzt! Gesundheitsrisiko! Und für viele Neuseeländer sind sie schuld an dem Problem: Kühe. In den letzten 15 Jahren ist das Land der Schafzüchter immer mehr zum Land der Kuhhirten geworden. Auch für Ryan O’Sullivan ist das deutlich profitabler. Vor allem die Kunden in China schwören auf das Milchpulver neuseeländischer Kühe, die das ganze Jahr im Freien grasen. 6,6 Millionen Tiere kommen inzwischen auf die 4,7 Millionen Neuseeländer. "Die Kritik ist nicht ganz unberechtigt. Die Kuhhaltung verursacht Probleme. Das bestreiten wir Bauern ja auch nicht. Schließlich sind wir zu 99,9 Prozent auch Umweltschützer."
Nitrat-Werte sind alarmierend
Das Problem: jede Kuh scheidet pro Tag bis zu 50 Kilo Urin und Kot aus. Und viel davon sickert in den Boden. Die Nitrat-Werte im Grundwasser sind alarmierend, neuseeländisches Trinkwasser muss jetzt oft stark behandelt werden. Wir brauchen mehr Zeit, um eine Lösung zu finden, sagt Bauer Sullivan. Schließlich hängen knapp 50.000 Jobs an der Milchwirtschaft. "Die Milchproduktion steht für 15 Millionen Dollar an Exporteinnahmen. Natürlich wäre es super, wenn Neuseeland so einen Technologieriesen wie Apple hätte und nicht von der Landwirtschaft abhängig wäre. Haben wir aber nicht. Und wir Milchbauern sind nun mal international sehr erfolgreich, mit dem was wir tun."
Und das ist die Auswirkung des Erfolgs: Solche Schilder wie hier am Selwyn River müssen zeitweise an 30 bis 60 Prozent von Neuseelands Wasserwegen stehen. Martin Taylor von der Umweltorganisation "Fish and Games" sagt: "Wir haben zunehmend Probleme mit giftigem Algenwuchs". Mittlerweile seien bis zu drei Viertel aller einheimischen Fische vom Aussterben bedroht. "Inzwischen muß ich erst mal googeln", sagt Martin Taylor, "bevor ich mit meinen Kindern irgendwo baden gehen, ob sie sich in einem Fluss nicht irgendwelche Keime einfangen könnten. Das ist nicht das, wofür wir hier als Neuseeland stehen."
"Zu 100 Prozent versagt"
Auf dem Weg zu einem der am stärksten verschmutzten Seen Neuseelands. Dem Lake Ellesmere. Gespeist wird er aus vielen kleinen Flüssen, die an riesigen Kuhweiden vorbeifließen. Umweltschützer seien von der mächtigen Milchlobby über Jahren zur Seite gedrängt worden, so Taylor. Dabei sei kristallklares Wasser doch Teil des Nationalerbes, auf das jeder Neuseeländer stolz immer stolz war. "Neuseeland ist nicht 100 Prozent pur, sondern hat zu 100 Prozent versagt. Und zwar sowohl die Regierungen der Konservativen als auch die Sozialdemokraten."
Endlose Steppen. Typisch für die Canterbury-Gegend. Eigentlich. Inzwischen sieht es kilometerweit so aus. Nur mit mithilfe riesiger Bewässerungssysteme kann hier saftig-grünes Gras wachsen für noch mehr Kühe. Das Wasser kommt aus den nahegelegenen Flüssen und macht die Ströme noch anfälliger für Umweltschäden. Auch Ryan O'Sullivan braucht die Bewässerungsanlagen. Und das sei legitim. "Sobald das Wasser ins Meer fließt, ist es doch nutzlos. Es ist doch im Interesse eines Landes seine Ressourcen zu nutzen, um daraus wirtschaftlichen Gewinn zu ziehen."
Bauern sehen sich als Buhmänner
Die Bewässerung schütze ja auch vor der Erosion des Bodens. Außerdem würden die Bauern nun viele Ufer von Flüssen bepflanzen und weniger Düngemittel verwenden, sagt Ryan O’Sullivan. Und mithilfe neuester Technik könne er den Wasserbedarf inzwischen sehr viel genauer dosieren als früher. "Es ist weder fair noch konstruktiv, uns als Buhmänner hinzustellen und Steine auf uns zu werfen. Stattdessen sollten sie uns lieber helfen, das Problem gemeinsam zu lösen. Das ist frustrierend für uns Bauern."
Zurück am Lake Ellesmere. Die Regierung hat vor zwei Jahren ein 60 Millionen Euro Maßnahmenpaket beschlossen. Das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sagt Martin Taylor. Er sieht vor allem einen Ausweg aus der Krise. Einen ökonomisch schmerzhaften. "Es geht nur mit weniger Kühen. Mit weniger Milchproduktion. Auch wenn das bedeutet, dass manche Bauern sich vielleicht nach Alternativen umschauen müssen. Das ist nun mal so. Es geht doch nicht, dass nur weil einige damit, gutes Geld verdienen, alle anderen mit einer kaputten Umwelt leben müssen."
Bis 2040 soll in 90 Prozent aller Gewässer Schwimmen wieder möglich sein. Als erste Maßnahme wurden die Standards gesenkt. Und so sahen Neuseelands Gewässer mit einem Handstreich schon wieder viel sauberer aus. Auf dem Papier zumindest.
Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur
Stand: 03.08.2019 01:05 Uhr
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