Interview mit ARD-Korrespondent Gábor Halász

"Alles, was ich gehört und gelesen habe, war nicht übertrieben."

Bei den Dreharbeiten trifft unser Korrespondent den ehemaligen Polizisten Satwant Singh Manak. Gemeinsam sehen sich die beiden Videos aus dem Internet an, die Folterszenen der Polizei zeigen.
Bei den Dreharbeiten trifft unser Korrespondent den ehemaligen Polizisten Satwant Singh Manak. Gemeinsam sehen sich die beiden Videos aus dem Internet an, die Folterszenen der Polizei zeigen. | Bild: NDR

Weltspiegel: Warum war es Ihnen wichtig, über dieses Thema zu berichten?

Gábor Halász: Ich konnte es nicht glauben, dass die Polizei in einer Demokratie wie Indien foltert. Immer wieder haben mir indische Freunde oder Bekannte davon erzählt. Ich habe in Büchern darüber gelesen. Dann wollte ich herausfinden, ob es wirklich wahr ist. Und ja, alles, was ich gehört und gelesen habe, war nicht übertrieben.

Welche Erfahrungen haben Sie und Ihr Team bei der Recherche gemacht?

Die meisten Opfer reden nicht. Aber je länger wir recherchierten, von desto mehr Fällen erfuhren wir. Noch jetzt melden sich Folteropfer bei uns. All ihre Geschichten erschüttern mich. Wir könnten viele weitere Beiträge machen.

Allerdings wird jeder, der zu diesem Thema recherchiert, von der Polizei genau beobachtet. Es war zum Beispiel schwer, sich mit Soni Suri zu verabreden. Klare Absprachen am Telefon trifft sie nicht. Sie fürchtet, dass sie abgehört wird. Da ist auch etwas dran, denn die Polizei war sofort da, als wir ihr Haus erreichten. Nach unserer Rückkehr hat die Polizei die lokale Presse über unseren Besuch informiert. Es hieß, die deutschen Journalisten hätten kein gültiges Visum, was natürlich nicht stimmt. Für mich alles eine Strategie, um einzuschüchtern.

Begeben sich die Menschen, die offen mit Ihnen über ihre Erfahrungen mit Folter sprechen, in Gefahr? Wollten die Zeugen nicht anonymisiert werden?

Sie spricht lieber an einem ruhigen Ort mit uns. Obwohl Polizeigewalt alltäglich ist, wird in der Öffentlichkeit wenig darüber gesprochen.
Soni Suri trifft unser Team an einem ruhigen Ort. Obwohl Polizeigewalt alltäglich ist, wird in der Öffentlichkeit wenig darüber gesprochen.  | Bild: NDR

Soni Suri ist eine sehr mutige Frau. Und sie will offen erzählen, was ihr geschehen ist. Deswegen hat sie alles aufgeschrieben und die indischen Medien haben über sie berichtet. Menschenrechtsanwälte unterstützen sie. Viele Menschen in Indien kennen Soni und ihr Schicksal jetzt. Das schützt sie. Die Polizei kann sie also nicht einfach wieder verhaften und foltern. Würde sie es doch tun, gäbe es ein großes Medienecho. Aber Soni hatte nach unserem Dreh mehrfach Besuch von der Polizei. Sie wurde genau ausgefragt. Auch bei ihr bleibt ein wenig Angst. Sie will sich aber trotzdem nicht einschüchtern lassen. Mit ihrer Anwältin bereitet sie gerade eine Beschwerde gegen die Polizei vor.

Soni sagt, sie werde sich das Recht nicht nehmen lassen, ihre Meinung frei zu äußern. Sie ist aber eine absolute Ausnahme. Viele Opfer reden nicht, weil sie Angst haben.

Wie gehen Sie damit um, dass sich die Menschen eventuell in Gefahr begeben, indem sie solch offene Interviews geben? Gibt es etwas, das Sie zum Schutz der Menschen tun können?

Ich habe mir da auch Sorgen gemacht und wir haben im Team viel darüber gesprochen. Wir stehen jetzt mit unseren Interviewpartnern in Kontakt, nahezu täglich. Wir sprechen mit ihren Anwälten. Wir machen klar, dass wir uns für die Menschen interessieren, auch wenn der Dreh abgeschlossen ist. Außerdem haben wir höhere Polizeibeamte informiert, dass wir über diese Fälle berichten. So machen wir deutlich, dass es sofort öffentlich würde, sollte den Interviewpartnern etwas zustoßen.

Wie erklären Sie sich, dass Folter in Indien so gängig und fast schon gesellschaftlich akzeptiert zu sein scheint?

Satwant Singh kämpft seit langem gegen die Folterpraxis der Polizei. Er hat alles, was er gesammelt hat, der Polizei übergeben und wird nun vor dem Verfassungsgericht angehört.
Satwant Singh kämpft seit langem gegen die Folterpraxis der Polizei. Er hat alles, was er gesammelt hat, der Polizei übergeben und wird nun vor dem Verfassungsgericht angehört.  | Bild: NDR

Ehrlich gesagt, ich kenne keinen Inder, der der Polizei vertraut. Bei einem Unfall auf der Straße wird nicht die Polizei gerufen. Mit der Polizei will niemand etwas zu tun haben. Das Image ist miserabel. Wenn Polizisten Menschen zusammenschlagen, wird das oft gar nicht als Folter wahrgenommen. Ein gutes Beispiel ist das indische Bollywood Kino. Kommen Polizisten im Film vor, dann prügeln sie meistens. Aber woran liegt das alles? Ein Polizist, der Straftäter überführt, der Fälle löst, der wird schnell befördert. Oder er bekommt eine Prämie ausgezahlt. Die meisten Polizisten wollen sich keine Arbeit machen. Wenn sie also einen Ladendieb verhaften, dann hängen sie ihm gern auch noch einen Fahrraddiebstahl an. Wer einmal verprügelt wurde, unterschreibt dann gern auch ein weißes Blatt Papier oder beschuldigt andere Menschen. So werden Fälle schnell gelöst und die Polizei steht gut da. Es gibt auch Fälle von Selbstjustiz, gerade, wenn es die Polizei mit kriminellen Banden oder auch Terroristen zu tun hat. Dann wird nicht jahrelang auf den Prozess gewartet, sondern Tatverdächtige auch mal getötet und hinterher wird behauptet, es habe sich um Notwehr gehandelt.

Indien hat die UN-Konvention gegen Folter nicht unterschrieben. In den Untersuchungsgefängnissen herrschen erschreckende Zustände. Sie sind überfüllt, teilweise wird in Schichten geschlafen. Es gibt Fälle, wo Tatverdächtige acht Jahre auf einen Prozess gewartet haben.

Gibt es eine Verbindung zum Kastensystem, das, obwohl verboten, doch noch große Teile des öffentlichen Lebens beeinflusst?

Ja. Die meisten Folteropfer stehen ganz unten in der Gesellschaft. In den Untersuchungsgefängnissen wird ganz klar Macht ausgeübt. Es sind vor allem die Armen, die leiden. Die Polizei hat kaum Widerstand von Menschen zu erwarten, die ganz unten in der Gesellschaft stehen. Die unterschreiben im Zweifel schnell ein falsches Geständnis. Oft können die Opfer nicht lesen und schreiben. Deswegen muss die Polizei auch nicht befürchten, dass sie hinterher vor Gericht gehen.

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