Geschlagen, weil das Essen nicht fertig war...
Die chinesische Frauenrechtlerin Feng Yuan im Interview
Wie groß ist das Problem häusliche Gewalt in China?
Nach der offiziellen Statistik sind in China 24,7% der verheirateten Frauen zwischen 24 und 60 schon einmal Opfer von Gewalt durch ihren Ehemann geworden. Und da sind nur die verheirateten Frauen gezählt. Unverheiratete, junge und ältere Frauen sind dort gar nicht erfasst. In der Mehrheit sind Frauen die Opfer, es gibt aber auch Männer, die unter häuslicher Gewalt leiden. Auch wenn ein Mann der Täter ist, muss das Opfer nicht notwendigerweise eine Frau sein. Es können auch andere männliche Familienangehörige sein oder der gleichgeschlechtliche Partner.
Was ist die Ursache für die Gewalt?
Manche Männer begründen ihr Verhalten damit, dass ihnen das zusteht, eben weil sie Männer sind. Manche sagen, sie hätten geschlagen, weil das Essen nach einem langen Arbeitstag nicht fertig war, oder weil sie keine Lust hatten, sich den Klatsch und Tratsch anzuhören. Sie sagen, die Opfer hätten einen Fehler gemacht, aber für Schläge gibt es keine legitime Entschuldigung.
Inwieweit ist der Status des Mannes in China durch seine traditionelle Rolle geprägt?
In China erwartet man, dass der Mann das Wort ergreift, dass er der Chef ist, dass er die Familie ernährt. Das schafft eine Erwartungshaltung, dass er auch Macht über die Familie ausüben kann. Aber das ist falsch. Eine Familie wird von allen ihren Mitgliedern gleichermaßen getragen. Die traditionelle Sichtweise hat sich als falsch herausgestellt. Das traditionelle Familienbild, dass der Mann über die Frau gestellt ist, ist die Ursache für häusliche Gewalt. In die heutige Zeit übersetzt, heißt es nämlich, dass der Mann unter dem Ernährer- und Erfolgsdruck steht, dafür aber schlecht gelaunt und wütend sein darf – und die Frau ihm gehorchen muss.
Was sind die größten Hindernisse auf dem Weg zu einer Veränderung?
Dank der Aufklärungsarbeit in den vergangenen zehn Jahren hat sich in den Institutionen, z.B. bei der Polizei schon einiges bewegt. Seit 2008 etwa kommt die Polizei zumindest, wenn sie gerufen wird. Das war früher anders. Aber trotzdem ist bei den Behörden noch viel Raum für Verbesserungen. Solange traditionelle Sichtweisen in den Institutionen verharren, so lange wird es weiter Gewalt und Tragödien in den Familien geben.
Zum Beispiel gab es im April in Sichuan einen Fall, wo eine Frau zur Todesstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, nachdem sie ihren Mann umgebracht hatte. Sie hatte unter ihm jahrelang gelitten, hatte die Gewalt auch bei der Polizei angezeigt, war beim Arzt, bei der Frauenvereinigung – sie haben ihr nur geraten, die Beweise aufzubewahren und die Scheidung einzureichen. Aber wie sie sich für die Zukunft vor ihrem Mann schützen kann, das haben sie ihr nicht erklärt. Das zeigt, dass die betroffenen Frauen von den Institutionen oft keine ausreichende Hilfe bekommen. Und dann kommt es zur Tragödie. In diesem Fall hat die Frau ihren Mann umgebracht, als er sie wieder geschlagen hat. In erster Instanz wurde sie zum Tode verurteilt. Erst nach einem Aufschrei in den Medien wurde die Todesstrafe in zweiter Instanz zur Bewährung ausgesetzt. Das ist zwar ein Extremfall, aber ähnliche Fälle gibt es viele – sie sind vielleicht nicht ganz so spektakulär.
Gibt es Unterschiede zwischen dem Ausmaß häuslicher Gewalt auf dem Land und in den Städten?
Häusliche Gewalt gibt es überall. Der Unterschied besteht vielleicht darin, dass auf dem Land die Frau vor allem Verwandte und Freunde der Familie ihres Mannes um sich hat. Dazu noch die Vertreter der Dorfregierung. Wenn alle Nachbarn irgendwie mit der Familie des Mannes verbunden sind, ist es sehr schwierig, Hilfe zu bekommen. Oder man braucht sehr viel Mut. Dazu kommt, dass Nachbarn es peinlich finden, sich in die privaten Angelegenheiten anderer einzumischen – oder sie finden es zumindest verwerflich, darüber zu sprechen. In den Städten ist das ein bisschen anders. Es gibt Sozialdienste und die Nachbarn sind nicht notwendigerweise verwandt oder bekannt – da ist es einfacher Hilfe zu bekommen. Außerdem kommt in der Stadt die Polizei schneller. Und sie kommt.
Welche Rolle spielt die eigene Familie?
Wir beobachten häufig, dass sogar die eigenen Eltern die Tochter davon überzeugen wollen, zum Mann zurückzukehren bzw. zu versuchen, mit ihm auszukommen. Auch Freunde und manche Beratungsstellen raten häufig, erst mal eine Versöhnung anzustreben. In der traditionellen Sichtweise ist die Aufgabe der Frau, mit dem Mann gut auszukommen und die Beziehung zu pflegen. Deswegen ist so schwierig für Frauen sich ohne Hilfe von außen aus ihrer Situation zu befreien.
Warum haben Frauen in China so einen niedrigen Status?
Das gesellschaftliche Klima in China ist noch nicht so weit, Frauenrechte zu stärken. Das Resultat ist, dass die Ungleichheit zementiert wird. Viele der politischen Maßnahmen ignorieren, wie benachteiligt Frauen nach wie vor in Familie und Gesellschaft sind. Und es fehlt vielerorts der Wille, das zu verändern. Wenn ein Polizist zum Beispiel einen Fall häuslicher Gewalt behandelt, dann beschuldigt er vielleicht der Einfachheit halber beide zu gleichen Teilen. Oder er schreibt nur kurz das Protokoll – aber um die nächste Tat zu verhindern, bringt das nichts. Keine Prävention, keine Kontrolle.
Das "neue China" wird bald 70 Jahre alt, die Gleichheit der Geschlechter gehört zu einer der Grundforderungen des Sozialismus – gibt es große Veränderungen?
Die Veränderungen sind zunächst im Gesetzeskatalog passiert. In der Verfassung von 1954 und im Heiratsgesetz ist das erste Mal die Gleichheit der Geschlechter formal festgelegt. Das heißt, dass zum Beispiel die Vielweiberei verboten wurde oder aber dass Männer eine Frau und eine Konkubine haben dürfen.
Gibt es auch Fälle, in denen die Männer die Opfer sind?
Ja, und auch die Kinder. Bei den Kindern ist es so, dass Mädchen geschlagen werden, einfach weil sie Mädchen sind, oder nicht gehorchen. Die Jungen werden vor allem geschlagen, weil sie in der Schule nicht erfolgreich sind und die Eltern fürchten, dass sie nicht die Erwartungen der Familie erfüllen können. Selbst bei Kindern spielt also das Geschlecht eine Rolle. Erwachsene Männer werden Opfer von häuslicher Gewalt, weil sie ein Handicap haben oder in irgendeiner anderen Form benachteiligt sind. Die Täter müssen nicht die Ehefrauen sein, es können auch Brüder sein.
Wenn das neue Gesetz gegen häusliche Gewalt kommt – was wird sich ändern?
Wir warten seit 14 oder 15 Jahren auf das Gesetz. Am 24. November, dem Tag gegen häusliche Gewalt, wurde es schließlich für die öffentliche Debatte freigegeben. Diesen August soll es dann im Volkskongress beraten werden. In dieser Beratungsphase hoffen wir, dass es weiter verbessert werden kann, so dass am Ende ein Gesetz steht, mit dem Täter zur Verantwortung gezogen werden können, die Opfer – also meist die Frau und die Kinder – besser unterstützt werden und die Behörden ebenfalls in die Verantwortung genommen werden können. Ein Gesetz, was all das beinhaltet, ist am Ende besser, als eines, das nicht fertig beraten ist.
Wo liegen denn die Schwierigkeiten?
Das schwierigste ist, die Sensibilität der Gesetzesmacher für häusliche Gewalt zu erhöhen, ihnen klarzumachen, welches Ausmaß das Problem in unserer Gesellschaft hat und wie wichtig das Gesetz für die Institutionen ist, um ein schlagkräftiges Mittel im Kampf gegen häusliche Gewalt zu haben. Im Gesetzesentwurf gibt es noch einige Schwächen. Dass z.B. nur verheiratete oder eng verwandte Beziehungen einbezogen sind – oder dass zwar physische und psychische Gewalt sanktioniert sind, nicht aber sexuelle Gewalt oder die Kontrolle der Finanzen durch einen Partner. Wir hoffen, dass das endgültige Gesetz alles umfasst.
Das Interview führte Ariane Reimers.
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