Korrespondentin Christine Adelhardt über ihre Recherchen in China

Christine Adelhardt
Christine Adelhardt | Bild: SWR

Christine Adelhardt ist China-Korrespondentin der ARD und leitet seit Juli 2010 das Studio in Peking. Im Interview spricht sie über die Wichtigkeit der Berichterstattung zum 25. Jahrestag des Massakers von Tiananmen in Peking, aber auch über die Schwierigkeit überhaupt darüber berichten zu können. Oft sind Journalisten der Willkür der Polizei ausgeliefert, ihnen droht der Entzug des Visums oder sie werden stundenlang verhört. Interviews mit Betroffenen oder Zeitzeugen zu führen, ist aber vor allem für die Interviewten gefährlich. Ihnen droht das Regime mit Anklagen wegen "Verrats von Staatsgeheimnissen", einige sind bereits inhaftiert.

Wie wichtig ist Ihnen die Berichterstattung jetzt zum Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen?

Der 4. Juni ist nicht nur historisch ein wichtiger Tag in der Geschichte Chinas. Vieles, was heute in China geschieht, steht unter dem Eindruck dieses Ereignisses. China und sein politisches und soziales System wären heute anders, hätte sich die kommunistische Partei damals nicht entschlossen, den friedlichen Protest gewaltsam niederzuschlagen und Soldaten auf das eigene unbewaffnete Volk schießen zu lassen. Viele politische und soziale Probleme und der Umgang damit erklären sich aus dem, was 1989 geschah oder hätte geschehen können. Die Ereignisse von damals wirken bis heute nach. Berichterstattung darüber ist daher unverzichtbar, wenn man das heutige China – seine Chancen und seine Schwierigkeiten – verstehen will.

Welche Bedeutung hat die damalige Demokratiebewegung für das heutige China?

Einige der damals aktiven Führer der Demokratiebewegung sind geflohen und leben seither im Ausland. Sie können kaum noch auf das Einfluss nehmen, was in China passiert. Andere wurden verurteilt – manche mit Haftstrafen von bis zu 20 Jahren – und später in China weiter verfolgt und in ihrer Arbeit behindert. Der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo zum Beispiel hat 2008 die Charta 08 verfasst. Tausende Intellektuelle, Professoren und Aktivisten haben sie unterzeichnet und darin ein Ende der Ein-Parteien-Herrschaft gefordert. Dafür sitzt Liu Xiaobo nun seit 2010 für elf Jahre in Haft.

Die Familien der Opfer von '89 verlangen seit 25 Jahren die Aufarbeitung der Ereignisse von damals. Andere wie etwa die "Neue Bürgerbewegung" fordert die Offenlegung der Vermögensverhältnisse der Kader. Menschenrechtsanwälte schließen sich zusammen, um politisch Verfolgten beizustehen. Eine einheitliche Demokratiebewegung gibt es nicht. Das wird von dem autoritären Regime unterbunden. Aber es gibt viele verschiedene, voneinander unabhängige Gruppen, die für eine Demokratisierung ihres Landes kämpfen. Der Wunsch nach mehr politischer Beteiligung und nach Reform des politischen Systems ist also durchaus lebendig.

Welche Repressalien drohen Chinesen, die offen über das reden, was vor 25 Jahren geschah?

Ihnen drohen nicht nur Repressalien, sondern im schlimmsten Fall Gefängnisstrafen. Eine Gruppe von Intellektuellen, Professoren und Opferangehörigen hatte sich vor einigen Wochen in einer Privatwohnung getroffen, um über den 4. Juni 1989 zu sprechen. Teilnehmer dieses privaten Treffens sind jetzt im Gefängnis. Ihnen droht eine Klage wegen "Störung der öffentlichen Ordnung". Wie man die öffentliche Ordnung stören kann, wenn man sich in einem Wohnzimmer mit Freunden trifft, ist schwer nachvollziehbar. Dennoch werden die Betroffenen aller Erfahrung nach verurteilt werden. Dafür sorgen die von der Partei beauftragten Richter.

Einer bekannten chinesischen Journalistin, die für ausländische Medien gearbeitet hat, wird "Verrat von Staatsgeheimnissen" vorgeworfen. Sie sitzt derzeit ebenfalls im Gefängnis. Ihr droht eine Haftstrafe von mehr als 10 Jahren. Um Kritiker und Zeitzeugen von damals zu verfolgen, scheut die Kommunistische Partei keine noch so repressive Maßnahme und beugt Rechte, die in ihrer eigenen, chinesischen Verfassung stehen.

Welchen Schwierigkeiten begegnen Sie als ausländische Korrespondentin in China, wenn Sie über die Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens recherchieren und berichten wollen?

Seit einigen Wochen werden ausländische Journalisten von der Polizei einbestellt und eindringlich davor gewarnt über das – wie sie es nennen – "sensible" Thema zu berichten. Dabei wird mit ernsten Konsequenzen bis zum Entzug des Visums gedroht. Vor einigen Tagen wurden Kollegen von mir von der Polizei für sechs Stunden festgehalten und verhört, weil sie auf der Straße eine Umfrage zu diesem Thema gemacht hatten. Die Polizeimaßnahme ist ein klarer Verstoß gegen chinesische Gesetze, aber das ist hierzulande nicht ungewöhnlich. Interviewpartner werden von der Polizei eingeschüchtert, nicht mit Journalisten zu reden oder sie werden aus Peking weggebracht und in entlegenen Provinzen streng überwacht. Diejenigen, die noch in Peking sind, stehen unter Hausarrest oder polizeilicher Überwachung.

Sie haben sehr lange im Vorfeld mit der Arbeit an dem Film begonnen. Warum?

Ich habe die ersten Kontakte bereits Ende des letzten Jahres geknüpft und die meisten Interviews im Januar und Februar geführt. Es war klar, dass es immer schwerer werden würde, die Interviewpartner zu treffen, je näher der Jahrestag rückt. Meine Gesprächspartner standen schon damals unter Überwachung, aber die war eben noch nicht ganz so strikt. Ihre und unsere Telefone werden überwacht. Wenn man dennoch ein Treffen arrangieren will, braucht man viel Zeit, Fantasie und einen langen Atem. Daher habe ich sehr früh mit den Vorbereitungen begonnen.

Gab es Interviewpartner, die unerkannt bleiben wollten?

Die Menschen, die ich zu diesem Thema interviewt habe, wollten sich offen zeigen. Sie wollen Zeugnis ablegen und die Wahrheit ans Licht bringen. Sich dazu offen zu zeigen, ist für sie Teil des aufrichtigen Umgangs mit dem Geschehen.

Was riskieren Interviewpartner, die sich offen zeigen?

Schwer zu sagen. Im schlimmsten Fall wie gesagt: Gefängnis. Vorwürfe wie "Verrat von Staatsgeheimnissen" oder "Störung der öffentlichen Ordnung" sind für die Kommunistische Partei sehr leicht zu konstruieren. Häufig ist es aber so, dass die Polizei nur die Aufnahmen selbst unterbinden will, weil das der Befehl von oben ist. Daher werden die Interviewpartner streng überwacht. Wenn es einem dennoch gelingt, die Personen heimlich zu treffen und die Polizei davon nichts mitbekommt, dann geschieht nach der Ausstrahlung oft gar nichts. Die politische Führung Chinas ist überwiegend binnenzentriert. Kein Chinese soll über das Massaker sprechen. Niemand soll dazu Informationen im Internet finden. Was im Ausland berichtet wird, ist eher zweitrangig.

Sind Interviews jetzt so kurz vor dem Jahrestag überhaupt noch möglich?

Kaum. Die meisten stehen unter Hausarrest und dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen oder werden 24 Stunden von der Polizei überwacht. Außerdem kontrolliert die Polizei jetzt auch uns Journalisten besonders genau. Zudem würde man den Gesprächspartnern jetzt nur noch mehr Schwierigkeiten bereiten, als sie ohnehin schon haben. Und: Man muss sich darauf einstellen, dass die Polizei schon beim Versuch, die Menschen zu treffen, einschreiten würde und uns Journalisten stundenlang festhalten und verhören würde. Dazu habe ich weder Lust noch Zeit. Wichtig ist, dass Berichterstattung stattfindet und das haben wir durch langfristige Vorbereitung sichergestellt. Darauf kommt es an.

Wie schwer ist es, mit der großen Verantwortung umzugehen, die Sie als Korrespondentin für die Gesprächspartner haben?

Die Frage, wen man wann, wo und ob überhaupt interviewt, stellt sich in China ständig. Nicht nur zu diesem Thema. Immer wieder wenden sich Menschen an uns, aus persönlicher Verzweiflung, weil ihnen schreckliches Unrecht geschehen ist. Sie verstehen uns ausländische Journalisten als letzte Möglichkeit, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Bei solchen Personen bin ich immer sehr vorsichtig und neige eher dazu, solche Interviews abzusagen, um sie nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Diese Menschen können das Risiko ihres Tuns oft nicht abschätzen, weil sie keine Erfahrung mit dem Überwachungs- und Polizeistaat haben. Ich fühle mich verantwortlich, für sie Entscheidungen zu treffen, zu ihrem Schutz.

Anders verhält es sich mit Aktivisten, Kritikern und Menschen, die seit langem unter der Repression des Regimes zu leiden haben. Sie kennen die Risiken genau und wägen selbst sehr umsichtig ab, wann was machbar ist und wann nicht. Außerdem ist Berichterstattung manchmal auch ein Schutz für sie. Die Abwägung bleibt dennoch schwer, denn nur um einen Bericht zu machen, sollte man nicht das Wohlergehen von Menschen aufs Spiel setzen. Bislang ist keiner meiner Interviewpartner wegen meiner Berichterstattung zu Schaden gekommen. Aber das ist und bleibt eine meiner größten Sorgen.

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