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Irak: Verfolgte Jesiden – Das Leid der Frauen

Irak: Verfolgte Jesiden - das Leid der Frauen | Bild: NDR
Sonne in einen Stein gehauen
Naturphänomene sind den Jesiden heilig. | Bild: NDR

Die Jesiden leben vor allem im irakischen Teil von Kurdistan. Lalisch ist das Zentrum des jesidentums. Es ist eine friedliche Religion, älter als Juden- und Christentum, deutlich älter als der Islam. Naturphänomene wie Sonne und Mond, aber auch Sandstürme und Erdbeben sind den Jesiden heilig. Sie gelten als Zeichen der Allmacht ihres Gottes. Da die Jesiden kein Heiliges Buch wie die Bibel, den Talmud oder den Koran haben, gelten sie radikalen Muslimen als Ungläubige, als Götzenanbeter. Seit Anbeginn wurden sie von ihren zahlreichen Feinden verfolgt.

Vergebliche Hilferufe

Baba Scheich, Oberhaupt der Jesiden
Baba Scheich ist das Oberhaupt der Jesiden.  | Bild: NDR

Wir treffen Baba Scheich, das Oberhaupt der Minderheit. In Washington und Brüssel hat er um Hilfe und Schutz gefleht - bislang vergeblich. Er ist ein verzweifelter Mann, der nur eines will: Frieden. "Die Terroristen haben mit schweren Waffen auf unsere Brüder und Schwestern im Sindschar geschossen und alle unsere Dörfer zerstört, viele Menschen sind dabei getötet worden. Doch am schlimmsten war für uns, dass sie unsere Frauen ermordet und unsere Mädchen verschleppt haben", erzäöhlt Baba Scheich.

Wir wollen wissen, wie es jenen jungen Frauen und Mädchen ergangen ist, die in der Gewalt der Terroristen waren und fliehen konnten. Unsere Spurensuche beginnt in den Flüchtlingslagern - zum Beispiel in Khanke. Es ist mit 80.000 Menschen das größte Camp im irakischen Kurdistan.

Vergewaltigung ist ein überaus sensibles Thema: Nicht nur, dass die Frauen sich schämen, über das Erlebte zu sprechen; viele haben Verwandte, die der IS noch immer gefangen hält. Jedes Interview, befürchten sie, könnte das Todesurteil für die Schwester oder die Mutter bedeuten. Deshalb sprechen sie nur verschleiert und nennen weder den Ort, wo wir mit ihnen gesprochen haben noch ihre richtigen Namen.

"Ich wollte nur noch sterben"

Jesidisches Mädchen
Zwei Monate war dieses jesidische Mädchen in der Gewalt des IS. | Bild: NDR

Die 15 Jahre alte Basima wurde zwei Monate von einem sogenannten Emir missbraucht und dann an einen anderen Mann weiterverkauft. Die Frau des Vergewaltigers hat alles mitbekommen - Basima geholfen hat sie nicht. "Ich habe das außer meinem Onkel noch niemandem erzählt, nicht mal meinen Cousinen. Ich habe allen nur gesagt, dass ich flüchten konnte. Als er das zum ersten Mal mit mir gemacht hat, wollte ich nur noch sterben, genau wie jetzt. Ich habe niemanden mehr, das ist doch kein Leben, was ich führe. Ich vermisse meine Familie, meinen kleinen Bruder, meine Schwestern, meinen Vater. Ohne sie bin ich verloren. Ich weiß nicht, warum sie mir das angetan haben. Er war kein Mensch, er war ein Monster. Ich muss immer an meine Schwester denken, die noch in Mossul ist, beim IS. Ich kann nicht aufhören an all das zu denken. Etwas in mir ist außer Kontrolle, ich kann nichts dagegen machen.Ich bin ein kleines Mädchen, was habe ich Böses getan?"

"Das sind keine menschlichen Wesen"

Ein Mädchen liegt kraftlos auf einer Matratze am Boden. Sie ist nach dreimonatigen, schweren Vergewaltigungen operiert worden. Nur ihre Schwestern Zeinab und Haneen fühlen sich stark genug, um über ihre Torturen zu reden. Eine weitere Schwester ist noch in IS-Gewalt, offenbar im syrischen Raqqa. Zeugnisse aus einer Hölle namens Mossul: "Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, aber ich konnte ihn nicht stoppen, er war zu kräftig. Ich habe versucht, ihn wegzudrängen, aber er war stärker. Ich habe geschrien und in angefleht, damit aufzuhören. Aber er hat einen Plastikschlauch genommen und mich grün und blau geschlagen. Ich kann nicht beschreiben, was passiert ist. Ich wünschte, ich wäre tot. Das sind keine menschlichen Wesen. Wenn es Menschen wären, dann hätten sie uns so etwas nicht angetan. Ich kann kein normales Leben mehr führen.

73. Genozid

Nach der Zählung der jesiden findet derzeit der 73. Genozid an ihnen statt, und diesmal - so sagen sie - ist es schlimmer als jemals zuvor. Seit den Massakern im August sind die religiösen Zeremonien eingestellt, Hochzeiten dürfen nicht mehr stattfinden. Nur einen wichtigen Ritus vollführen die Tempeldiener auch heute noch, das Anzünden der 366 Kerzen in der Tempelanlage von Lalisch, immer kurz vor Sonnenuntergang. Damit soll das Licht der Sonne hinüber gerettet werden in die Nacht.

Autor: Thomas Aders, ARD-Studio Kairo 

Stand: 05.01.2015 09:32 Uhr

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