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Russland: Moskau – Vorfahrt für die Umwelt

Russland: Moskau – Grüner Nahverkehr mit 600 Elektrobussen
Russland: Moskau – Grüner Nahverkehr mit 600 Elektrobussen | Bild: WDR

Bei der PR sind sie schon mal Profis. Der Schriftzug heißt: 'Das ist ein Elektrobus‘ – auffällig, für jeden gleich ersichtlich. 500 davon hat Moskau im Einsatz – so viele wie in keiner anderen Stadt in Europa. Bis 2030 will Moskau komplett auf Elektrobusse umstellen. Akkustand statt Auspuffgase. Bei den Fahrgästen kommen die neuen Elektrobusse gut an: "Er fährt so sanft, man spürt es kaum, so ruhig. Sehr mobil! Klasse, dass sie sich Elektrobusse ausgedacht haben."

Moskau setzt auf Elektromobilität

Russland: Moskau selbst nennt sich „die kluge Stadt“
Russland: Moskau selbst nennt sich „die kluge Stadt“ | Bild: WDR

Das Laden an jeder Endstation dauert nur wenige Minuten. Ausreichend, um die Busse auf 36 Linien einzusetzen. Die Fahrgäste können ihr Handy am USB-Port laden. Projektleiter Artjom Burlakow von 'Mosgortrans' weiß die Vorteile der neuen Busse anzupreisen: "Wir verwandeln Moskau komplett in ökologischen öffentlichen Nahverkehr. Die neue Generation: Der Elektrobus. Wie normale Busse sind sie manövrierfähig, schnell und dynamisch. Und wie Oberleitungsbusse ökologisch sauber und geräuschlos."

Einige Moskauer trauern den alten Oberleitungsbussen nach, von denen jetzt nur noch die Fahrleitungen hängen. Sie sollen nach und nach abgebaut werden. Busfahrer Jewgenij Machonin hat früher Oberleitungsbusse gesteuert. Für ihn ist der neue Elektrobus mit Erleichterungen verbunden. "Wir mussten früher immer aufs Dach klettern, um die Schleifschuhe an den Stromabnehmern auszutauschen. Besonders bei Regen, Frost oder Schnee keine Freude. Hier ist das alles nicht nötig. Ranfahren an die Ladestation, Akku laden und weiter geht’s", erzählt der Busfahrer.

Doch woher kommt der Strom dafür? "Wir haben ein einheitliches Energiesystem, in das alle Kraftwerke ihren Strom einspeisen. Das können Atomkraftwerke oder Windkraftwerke sein. Woher konkrete Kilowattstunden kommen, das wissen wir leider nicht und denken darüber bisher auch nicht besonders nach", sagt Verkehrsexperte, Alexej Radtschenko.

Bauprojekte in riesigen Ausmaßen

Mit Strom ist auch Moskaus Metro unterwegs. Und die erlebt gerade ihren vielleicht größten Boom. Neue Stationen entstehen im Eiltempo – manche auf der grünen Wiese. Wohnimmobilien will man danach bauen. Das Verkehrssystem folgt der Nachfrage: Denn viele Russen ziehen aus den armen Regionen in die reiche Millionen-Metropole Moskau. Die Metro – der schnellste Weg von A nach B. 

"Das ist ein Rekordtempo in der Entwicklung. Das gab es vorher nicht. In den letzten zehn Jahren hat sich die Metro fast verdoppelt", erzählt Walerij Kiwljuk von der Metrobaufirma 'Mosinzhproekt'. In dieser Zeit hat die Stadt 145 neue Metro- und S-Bahnstationen eröffnet, 44 weitere folgen bis 2024. Außerdem wird an einem dritten Metroring gebaut.

Die neuen Stationen sind mit individuellem Design und hochmodern. Und kleine Raffinesse: Eine Art virtuelle Bibliothek – Texte russischer Autoren zum Lesen aufs Handy, wie hier das Gedicht 'Der Novize‘ des Dichters Lermontow. Doch auch die Erweiterung der Metro hat in Moskau nicht nur Freunde. Eine Protestaktion von Gegnern. Die Menschen hier tragen symbolisch einen einst grünen Platz zu Grabe, unter dem eine neue Metrolinie entsteht. Die Umgestaltung Moskaus durch den amtierenden Bürgermeister halten sie für falsch. Das moderne Moskau, auch mit solchen umstrittenen Metrolinien, es ist nicht ihres, sagt Lokalpolitikerin Jasmin Fachmi: "Moskau wird leider nicht besser, wird nicht schöner. Diese Stadt zerstört sich selbst und verliert ihre Eigenart."

Fortschritt ohne Rücksicht

Jasmin und andere Metrogegner stört diese Baustelle. Die Metro hier sei gar nicht nötig, das Viertel schon genug an den Nahverkehr angebunden. Außerdem liege die Metrolinie viel zu niedrig und gefährde umstehende alte Gebäude. "Wie läuft das ab? Schnell. Das heißt, ohne Untersuchungen, ohne Gutachten. Wir sind darauf gestoßen, dass Expertisen gekauft wurden. Sie sind nicht zuverlässig, sie sind nur eine Formalität. Das sind nur Papiere ohne echte Grundlage", sagt die Lokalpolitikerin.

Die Schnelligkeit des Moskauer Metrobaus – in europäischen Demokratien wäre das so wohl nicht vorstellbar. Alexej Radtschenko erzählt, warum das so ist: "Weil Russland ein autoritäres Regime ist, kann man viele Entscheidungen einfach von oben durchsetzen, ohne Meinungen abzufragen. Das macht natürlich vieles schneller. Der Staat entscheidet, der Staat macht’s. Das führt oft zu Fehlern, wenn  wir die Menschen nicht nach ihrer Meinung fragen, wenn sie nicht verstehen warum, dann protestieren sie."

Russland: Moskau hat die europaweit größte Carsharing-Flotte
Russland: Moskau hat die europaweit größte Carsharing-Flotte | Bild: WDR

Viele Moskauer nehmen die neuen Angebote dennoch gerne an, auch das Carsharing. Moskau hat die europaweit größte Carsharing-Flotte. Sechs Firmen mit insgesamt 26.000 Autos. Passantin Tanja nutzt die Möglichkeit gerne: "Ich komm aus dem Laden, hier stehen die nebenan, man setzt sich rein und fährt los. Alles ist bequem, ideal." Auch Jewgenij ist begeistert: "Der Parkplatz und dass man sich nicht ums Auto kümmern muss, also Waschen und Wartung, das sind für mich die größten Vorteile."

Mit den Neuerungen hofft die Stadt Moskau, die vielen Staus und die schlechte Luft langsam in den Griff zu bekommen. 

Autor: Demian von Osten/ARD Studio Moskau

Stand: 15.11.2020 21:07 Uhr

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