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Libanon: Isra kann wieder hören

Isra hat das Lachen nicht verlernt. Als Isra klein war, klammerte sie sich an ihre Geschwister, wenn sie die Explosionen der Bomben hörte, und zitterte am ganzen Leib. Isras Familie kommt aus Aleppo. Irgendwann bekam Isra starkes Fieber und sie hörte immer weniger. Deswegen lernte sie nie richtig sprechen.

Aufwachsen ohne die Stimmen der anderen

Libanon: Die 7-jährige Isra war traumatisiert. Jetzt schöpft sie wieder Hoffnung
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"Wegen des Krieges in Syrien konnte ich damals kein Hörgerät für sie besorgen und wir konnten sie auch nicht zu einem Spezialisten ins Krankenhaus bringen. Anfang war sie ja ganz normal, sie hatte gar nichts. Aber dann wurde sie krank. Wir merkten schnell, dass sie uns kaum noch hört", erzählt ihr Vater Achmed Hadsch Mustafa. "Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Isra und ihren Geschwistern. Ihre Geschwister werden älter und irgendwann das Haus verlassen, heiraten. Isra wird das alles nicht können", sagt ihre Mutter Halima Darwisch.

Isras Familie floh 2013 aus Aleppo. Heute ist Isra sieben und lebt im Libanon. Der Vater arbeitet hart als Tagelöhner, die Familie kann trotzdem oft die 350 Dollar Miete nicht zahlen. Doch Isra hat Glück. Sie kann vorerst in eine Gehörlosenschule gehen und heute hat sie eine Einladung nach Beirut. Sie soll ein Hörgerät bekommen.

Isra verständigt sich – mit Zeichen, Gesten, das funktioniert ganz gut – in der Familie. Aber Isra hat sich immer mehr isoliert, erzählt die Mutter, spielt wenig mit fremden Kindern. Sie wächst auf ohne die Stimmen der anderen.

Gestiftete Hörgeräte für Flüchtlingskinder

Libanon: Jeder zweite Flüchtling aus Syrien ist ein Kind
Libanon: Jeder zweite Flüchtling aus Syrien ist ein Kind

80 syrische Flüchtlingskinder bekommen heute ein modernes Hörgerät, gestiftet von einem großen Hersteller. Aus dem ganzen Libanon reisen sie nach Beirut. Ein Hörtest ermittelt, wie stark das Gehör geschädigt ist. Viele Kinder sind nicht vollständig taub. Auch Isra kann noch ein bisschen hören – es muss nur sehr laut sein.

"Sie kann keine Sprache in normaler Lautstärke verstehen, dazu ist das Gehör zu sehr geschädigt. Wir wollen mit dem Hörgerät erreichen, dass sie wenigstens Umgebungs-Geräusche und gesprochene Sprache hören kann", so Anna Biggins von der Stiftung "Hear the World".

"Sie freut sich so sehr darauf. Isra möchte so gerne hören und sprechen können wie ihre Geschwister", erzählt ihre Mutter.

Gleich kommt der große Moment. Kann die Siebenjährige wirklich wieder hören, wenigstens ein Bisschen? Isra hört die Stimme ihrer Mutter. Und die vielen anderen Stimmen. Es ist verwirrend für sie und neu – und sehr schön.

Doch Isras Glück ist eine absolute Ausnahme. Viele syrische Kinder leiden unter den Folgen des Krieges. Sie haben ihr Gehör durch Explosionen eingebüßt. Durch Entzündungen, durch mangelnde Hygiene, etwa in einem der erbärmlichen Behelfs-Lager, so wie dieses hier. Wir treffen Norma Kaazan. Etwa zwei Millionen Syrer leben im Libanon – viele genau so.

"Sie können nicht zurück nach Syrien, und sie können im Libanon so auch nicht weiterleben – sie haben keine Hoffnung mehr", sagt Norma Kaazan von der Hilfsorganisation "terre des hommes".

Keine Besserung in Sicht

Libanon: Im Libanon leben über zwei Mio. Flüchtlinge
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Zum Beispiel Ibtissam, 25 Jahre jung, sechs Kinder, ihr Mann hat sie sitzenlassen. Keine Organisation hilft ihr derzeit, die Vereinten Nationen haben zu wenig Geld für die vielen Flüchtlinge. "Nein, ich bekomme nichts. Gar nichts", sagt Ibtissam. Wenn die Kinder im Winter ernsthaft krank werden – ein Krankenhaus kann sie sich nicht leisten. 100 Dollar Miete pro Monat muss sie zahlen für die Bretterhütte, erzählt sie. Und leider sei sie viele Monate im Rückstand. Ihr Mann helfe ihr nicht, oder den Kindern, sagt Ibtissam und lächelt. Er hat noch eine andere geheiratet.

Was Ibtissam alles aushalten muss. Wir lassen ein bisschen Geld da, wenn das aufgebraucht ist, geht das Elend weiter. Das ist das Schlimmste: keine Besserung in Sicht.

Noch ist der Krieg in Syrien nicht vorbei. Die Menschen können nicht zurück. Die internationale Gemeinschaft ist überfordert, der Libanon wäre die vielen Flüchtlinge am liebsten los. Die kleine Isra kann wieder hören, das ist ein Lichtblick. Inmitten von sehr viel Dunkel.

"Es ist einfach nicht genug für alle da. Isra hat wirklich Riesenglück. Viele andere syrische Kinder haben das nicht", findet Norma Kaazan.

Gehörlosenschule für ein Jahr

Libanon: Isra aus Aleppo kann wieder hören
Libanon: Isra aus Aleppo kann wieder hören

Erster Schultag mit Hörgerät. Isra stürmt davon mit ihrem rosa Schulranzen – keine Chance, hinterherzukommen. Isra ist begierig zu lernen, von heute an wird sie die Welt anders kennenlernen. Isra formt den Namen Mohammed mit den Lippen: Hören können heißt auch Sprechen können. Das dauert aber, und da bekommt die schöne Geschichte von Isra einen bitteren Zug. Nur ein Jahr lang darf sie die Gehörlosenschule besuchen, 3000 Dollar kostet das, im Moment zahlt UNICEF. Es ist nicht sicher, dass Isra bleiben kann.

Die siebenjährige Isra aus Aleppo kann wieder hören. Das ist viel. Und für den Moment muss das genügen.

Autor: Volker Schwenck/ARD Studio Kairo

Stand: 31.07.2019 21:16 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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