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Kenia: Die Heldin der Alten

Kenia: Die Heldin der Alten | Bild: ARD

Sich kümmern heißt für Joyce Wanjiku: richtig mit anpacken. So wie bei Zipporah Nyawira. Joyce und ihre Mitarbeiterin kommen, so oft es geht, um Geschirr zu spülen, Wäsche zu waschen und zu putzen. Das alles kann Zipporah nicht mehr. Joyce bringt ihr auch regelmäßig zu essen. Sonst ist die alte Dame fast immer alleine, ihrer Familie ist sie egal. Und Zipporah Nyawira hat ihre Helfer quasi adoptiert: "Joyce und ihre Freunde sind wie meine Kinder, denn sie lassen ihre Eltern allein, um mir zu helfen. Ich danke Gott dafür. Möge er diese Kinder segnen!"

Dankbarkeit der alten Menschen

Zipporah Nyawira
Zipporah Nyawira | Bild: Bild: BR

Joyce machen die schlimmen Zustände in Zipporahs Hütte nichts aus: "Manchmal bin ich allerdings traurig, weil die Nachbarn sich nicht kümmern. Aber für mich ist es ein gutes Gefühl, ihr zu helfen. Wir geben ihr ein Stückchen Würde. Als wir Zipporah kennenlernten, hat sie auf dem Boden geschlafen. Und jetzt sitzt sie da draußen und sie sieht glücklich aus. Das freut mich." Nach getaner Arbeit hat die vielbeschäftigte Joyce immer noch Zeit für Erinnerungen an frühere Zeiten in Kenia.

Alle paar Wochen bittet Joyce zu ihrem kleinen Lager – immer, wenn sie wieder genügend Lebensmittel zusammen hat. Ihre Stiftung für alte Menschen ist für sie zur Lebensaufgabe geworden. Ihre eigene Mutter starb vor einigen Jahren an Krebs – zu dieser Zeit arbeitete Joyce gut bezahlt im Ausland. Sie schickte Geld statt sich persönlich zu kümmern – etwas, das sie heute bereut.

Verteilung von Lebensmitteln
Verteilung von Lebensmitteln | Bild: Bild: BR

Früher hatte Joyce Wanjiku ein Haus mit Swimming-Pool – jetzt wohnt sie in einer Dienstmädchenwohnung. Fast all ihre Ersparnisse sind in die Stiftung geflossen; sie selbst lebt bescheiden: "Das ist mein Fernsehzimmer, das ist mein begehbarer Kleiderschrank. Jetzt gehen wir in mein Wohnzimmer. Alles ist in einem Raum. Ich habe genug Platz und ich fühle mich auch nicht weniger wert als in meinem früheren Leben."

Die berühmteste Bettlerin der Stadt

Auch im neuen Leben hat Joyce Wanjiku keine ruhige Minute. Rund um die Uhr ist die 44-Jährige unterwegs. In ihrer Heimatstadt ist sie bekannt wie ein bunter Hund – und immer hat sie ein freundliches Wort für alte Menschen. Außerdem ist sie die berühmteste Bettlerin der Stadt. Vor keinem Supermarkt macht sie nicht Halt. Ihre Wunschlisten sind immer lang. Joyce bettelt nicht für sich, heute braucht sie Lebensmittel für eine alte Dame, die sie später besuchen will: Maismehl, Reis, Tee – viele betagte Kenianer haben kein Geld, um sich mit dem nötigsten selbst zu versorgen.

Joyce Wanjiku
Joyce Wanjiku | Bild: Bild: BR

Joyce Wanjiku erklärt sich: "Mein Vater denkt, ich spinne, weil ich betteln gehe. Bei uns zu Hause gibt es doch Essen. Aber das ist in mir. Betteln für andere ist Teil meiner Seele, genauso wie ihnen zu helfen. Ich finde auch, dass die Menschen etwas zurückgeben sollten. Wenn ich nicht frage, dann wird vieles hier einfach weggeworfen. Also frage ich lieber und sie wissen, dass sie die Sachen für mich aufheben."

Und so hat sich Joyce ein richtiges Spendennetzwerk geschaffen. Supermarktbesitzer Anil Jakhari war am Anfang skeptisch: "Es kommen so viele Leute, die betteln. Anfangs habe ich ihr nicht vertraut. Aber das hat sich geändert: ich habe Fotos von ihr in der Zeitung gesehen und gelesen, was sie für die alten Menschen tut. Seitdem ist sie bei uns eine regelmäßige Bettlerin."

Hilfe für 300 Alte

In Kenia müssen mittlerweile viele alte Menschen alleine klar kommen. Und nur wenige sind so fit wie der 83-Jährige, der seine Zeitung ohne Brille liest. "Haben Sie ein Glück, das kann ich nicht", sagt Joyce. Und dann bettelt sie wieder… Viele Hütten von alten Menschen müssen dringend repariert werden. Schrauben, Wellblech – auch das bekommt Joyce gespendet. 300 alte Menschen stehen auf ihrer Kümmerliste – und das sind bei weitem nicht alle, die in der Umgebung von Nyeri Hilfe brauchen, geschweige denn im ganzen Land.

Alte Frauen warten
Alte Frauen warten | Bild: Bild: BR

Die kenianische Regierung hat zu einem Seniorentreffen gebeten, etwas außerhalb der Stadt. Die alten Menschen sollen sich registrieren, um vielleicht eine kleine monatliche Unterstützung zu bekommen. Sie warten bereits seit Stunden. Joyce ist darüber empört: "Sie geben ihnen keine Würde, es gibt keine Stühle, kein Zelt. Bei uns bekommen die alten Menschen persönliche Ansprache, wir nehmen sie als Menschen wahr. Hier ist das nicht so."

Einige Zeit später gibt es Stühle – für die Regierungsmitarbeiter. Alte Menschen, die nicht von ihren Familien versorgt werden, sind ein relativ neues Problem in Kenia, eines, das immer größer wird.

Erfolgsfall Beatrice

Am Ende des Tages macht Joyce einen Besuch, auf den sie sich besonders freut: Die erblindete Beatrice war halb verhungert, als Joyce sie zum ersten Mal traf. Jetzt geht es ihr, auch dank der Hilfe einer Nachbarin, die von Joyce bezahlt wird, wieder besser. Bitter ist, dass Beatrice zwar Geld bekommt von der Regierung, ihre eigene Familie ihr dies aber vorenthält.

Joyce Wanjiku beklagt den Umgang mit den Alten: "Die Gesellschaft hat sich verändert, es gibt keine Moral mehr und wir respektieren alte Menschen nicht mehr. Sie ist so eine liebenswerte Frau, was ist so schwer daran, ihr Mitgefühl und Liebe zu geben."

Beatrice ist mit allem einverstanden. Nur nicht, dass sie alt sei. Sie sei doch noch ein junges Mädchen mit ihren 109 Jahren!

Autorin: Sabine Bohland, ARD Nairobi

Stand: 10.07.2019 13:46 Uhr

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