So., 30.07.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Kanada: Wappnen gegen Waldbrände
Es hat lange gedauert, bis sich Denise O’Connor an den Anblick der verkohlten Bäume gewöhnt hat. Stumme Zeugen eines Desasters, das auch ihr Leben für immer verändert hat. "Ich habe auf Facebook gelesen, dass es im Dorfes brennt, bin raus – und da raste ein Monster auf uns zu", erzählt die Bürgermeisterin.
Endlich wieder Leben in Lytton. Zwei Jahre sind vergangen seit dem verheerenden Feuer, erst jetzt beginnt der Aufbau. Viel zu lange, viel zu viel Bürokratie, findet die Bürgermeisterin, die mit ihrem Bauleiter den Wiederaufbau managt: "Das hier ist mein Grundstück. Hier stand unser Haus.1933 gebaut, ein Einfamilienhaus, ganz typisch für diese Region, es war wunderschön." "Das war eines der heißesten Feuer, das wir je erlebt haben. 1.000 Grad heiß, es hat fast alles weggeschmolzen", sagt der Wiederaufbau-Manager Mike Blaschuk.
Ein traumatisches Ereignis
Diese Bilder gingen um die Welt. Eine Feuerwalze frisst sich durch die Häuser. Dreimal ist Lytton schon abgebrannt, aber kein Feuer hat so gewütet wie dieses. Nur eine Stunde später – und fast der komplette Ort ist abgebrannt. Früher mal beliebtes Touristenziel, jetzt eine Geisterstadt. Nur die Kirche ist geblieben. Nie wieder! Das hat sich die Bürgermeisterin vorgenommen. Und die Bauvorschriften geändert. Wer neu baut, muss jetzt eine feuerfeste Hülle einplanen: "Feuer sind nicht unüblich in unserer Gegend. Überall um uns herum sieht man die Spuren von Waldbränden. Wir müssen vorbereitet sein. Und ein Weg ist, feuerresistente Häuser zu bauen."
Ein paar Kilometer bergauf – auch hier haben die Flammen alles zu Asche gemacht. Aber mitten in der verkohlten Landschaft gibt es neues Leben. Tricia und Don gehören zu den wenigen im Dorf, die schon wieder in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Noch etwas provisorisch, aber ein Zuhause. Eingehüllt in feuerfeste Platten, ein Dach aus feuerresistentem Metall. "Das wichtigste an unserem Haus: Wir haben mit Zement gebaut, Betonsteine benutzt, wie Erwachsenen-Lego, ziemlich cool und einfach. Und dann haben wir darauf noch Zementtafeln angebracht. Am Boden ist Metall. Das macht uns sicher gegen Feuer, falls die Flammen am Haus hoch kriechen", erklärt Tricia Thorpe.
Ihre Alpacas haben’s überlebt. 80 Hühner haben die Hobbyfarmer verloren, auch Schafe und Ziegen. Zuerst war Tricia nicht sicher, ob sie wirklich hier neuanfangen will, aber als die Feuerwehrleute auch ihre Hunde noch lebend fanden, war klar: Wir bleiben! "Wir hatten einen Wurf von neun Welpen. Ihre Mutter und Großmutter haben ein Loch im Garten gebuddelt und die Welpen dort verscharrt. Es war ein Wunder, dass sie es geschafft haben", erzählt sie. "Was hat das für dich bedeutet?" "Hoffnung! Weil wir anfangs gehört hatten, dass kein Tier überlebt hat."
Innovative Ideen für Brandschutz
Don ist in Lytton aufgewachsen, auch seine Eltern mussten schon mal neuanfangen nach einem Feuer: "Wir haben zwei Sprinkleranlagen auf dem Dach. Das kühlt das Metall." Der pensionierte Busfahrer zeigt uns, wie er die Ställe und das Haus schützen will. "Diese Sprinkler sprühen das Wasser zehn Meter weit rund um den Stall. Wenn ein Feuer kommt, dann brennt’s hoffentlich nicht mehr, weil der Boden klatschnass ist", erklärt er.
Ein Leben mit der Erinnerung – es ist noch viel zu tun, bis alle Spuren weg sind. "Die beiden gemauerten Kamine – mehr stand nicht mehr", erzählt Don – und das ohne Versicherung. Die Holzseiten verbrannt, Metallwände – weggeschmolzen. Diese Fotos haben ihren Entschluss gestärkt, smarter neu zu bauen. Und dank der großen Hilfsbereitschaft von außen ist das gelungen. "Es war überwältigend. Da kamen Leute, die wir gar nicht kannten und brachten einen ganzen Anhänger voll mit Baumaterial und allen möglichen Werkzeugen", erzählt Tricia und Don ergänzt: "Immer dann, wenn wir was brauchten, gab’s ne Lösung. Wir haben einen Spezialisten gesucht – und schon war einer da, der wollte nicht mal Geld. Deshalb sage ich immer: Gott uns geholfen."
Tricia engagiert sich in dem kanadischen Programm Fire Smart, hat dort gelernt, dass Menschen den Naturgewalten nicht machtlos ausgesetzt sind – und es sich lohnt, zu investieren: "Jedem Dollar, den wir proaktiv investieren, stehen 15 gegenüber, die es kostet, auf ein Feuer zu reagieren. Deshalb macht es schon aus finanziellen Gründen Sinn sich vorzubereiten, ganz abgesehen von den emotionalen Kosten für die Menschen."
Markttag in Lytton. Ein kleines Stück Normalität ist zurück. Viele kommen nicht nur, um Obst oder Gemüse zu kaufen, sie wollen sich austauschen. Wann beginnt endlich der Wiederaufbau? Wie sich schützen gegen Waldbrände? "Die heimischen Nadelbäume, Kiefern zum Beispiel, brennen extrem schnell. Deshalb pflanzen wir feuerresistentere Bäume rund ums Haus, die dicke Blätter haben", erzählt Micha Kingston."In unserer Gemeinde haben wir jemanden, der extra rumgeht und das Unterholz unter den Bäumen wegschneidet. Deshalb hat uns das letzte Feuer nicht erwischt", erklärt Viola McIntyre.
38 Grad – wieder ein heißer Tag mit viel Wind wie vor zwei Jahren. Die Bürgermeisterin glaubt, dass damals ein Funke vom Zug das große Feuer ausgelöst hat. Wie so oft könnte auch dieser Brand von Menschen verursacht worden sein: "Man sollte die Züge entweder komplett stoppen an Tagen, wenn’s 45 Grad heiß ist. Oder sie sollten zumindest langsamer fahren, wenn sie durch Orte rollen. Wir sind ja nicht die einzige Kommune in dieser Provinz mit diesem Problem. Das könnte überall passieren."
Es ist noch ein langer Weg, bis die Bewohner:innen zurückkommen können nach Lytton. Auch Denise weiß nicht, wann ihr Haus wieder aufgebaut wird. Doch sie sieht das Feuer als Chance, es diesmal besser zu machen. Damit ihre Heimat Vorbild wird für andere, die von Waldbränden bedroht sind.
Autorin: Marion Schmickler / ARD Studio New York
Stand: 30.07.2023 20:03 Uhr
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