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Kanada: Ein Dorf soll dicht gemacht werden

Kanada: Ein Dorf soll dicht gemacht werden | Bild: SWR

80 Einwohner hat der Ort Little Bay Island. Ein teurer Ort aus Sicht der Regierung von Neufundland. Denn die ist von Gesetzes wegen verpflichtet das Straßennetz, die Strom- und Wasserversorgung zu unterhalten, für die wenigen Menschen. Deshalb versucht die Regierung die Bewohner dieser Kleinstdörfer umzustimmen. Sie sollen ihr kleines Idyll gegen ein Haus in einem größeren Ort eintauschen. Eine Geldprämie soll helfen, doch nicht alle wollen ihren Ort aufgeben.

Häuser an Küste von Little Bay Island
Dem Staat ist der Unterhalt von Little Bay Island zu teuer  | Bild: SWR

Eine kleine Bucht in Neufundland. Klares Wasser und freundliche Menschen. Cyrill fährt jeden Tag mit seinem Boot aufs Meer, denn das Meer war sein Leben. Damals, als Little Bay Islands noch ein blühender Fischerhafen mit 800 Einwohnern war. "Große Schiffe kamen hierher, beladen mit Salz. Und sie haben große Mengen Fisch wieder mitgenommen." Heute ist das Meer leergefischt und im kleinen Hafen fahren nur noch Rentner spazieren. Cyrill will gehen, auch wenn ihm das Herz bricht. Fast alle der 80 Einwohnen, die hier noch leben, wollen wie Cyrill den Ort aufgeben. Im letzten Winter waren sie nur noch 48 Menschen hier.

Geld von der Regierung für den Wegzug

250.000 Dollar bietet die Regierung, wenn sie dafür Fähre, Strom und Wasser abstellen kann. Aber 90 Prozent der Einwohner müssten zustimmen. Und die sind alles andere als einig. Doris ist eine der wenigen, die bleiben wollen. Auch wenn sie weiß, der Ort wird nie wieder vom Fisch leben. Sie will die Geschichte des Fischerdorfes erzählen – auch den Niedergang. "Das hier war die alte Fischfabrik. Hier hatten alle Arbeit." Die aufgegebene Fischfabrik zeugt von einer Umweltkatastrophe, die ganz Neufundland ereilt hat. Als 1992 die Kabeljaubestände wegen Überfischung zusammenbrachen, setzte man auf Eismeerkrabben. Aber auch das ging nur einige Jahre gut.

Mann und Frau unterhalten sich vor Haus
Doris will bleiben, Cyrill würde lieber wegziehen  | Bild: SWR

Doris, die als Krankenschwester lange auf dem Festlandgearbeitet hatte, ist auf ihre Insel zurückgekehrt und will jetzt hier leben. Sie hat Geld und kann sich leisten die Winter in Florida zu verbringen. Wer im Winter hierbleiben muss, wie Cyrill, ist meist arm. Die Rente reicht nicht, um die Insel zu verlassen. Und der Winter ist hart. "Tagelang sieht man keine lebende Seele, nicht mal ein Fahrzeug. Das ist kein Leben. Wenn die Regierung uns Geld anbietet gehen wir sofort." Cyrill will gehen, Doris will bleiben. Und? Sind sie noch Freunde? "Ja, ich nehme sie immer noch in den Arm." Bei der Abstimmung hat Doris gegen die Umsiedlung gestimmt und damit verhindert, dass Cyrill und die anderen ausgezahlt werden. "Alle müssen machen was sie für richtig halten und nicht über andere urteilen. Die Regierung muss das regeln. Aber es gibt ja sowieso kein Geld." Cyrill ist traurig, er sieht für sich keinen Ausweg. "Ich bin trotzdem froh, dass ihr gekommen seid."

Die Stimmung im Ort ist aufgeheizt

Mutter mit zwei Kindern
Auch die Sommergäst wären von der Umsiedlung betroffen  | Bild: SWR

Ganz anders sehen es die 80 neuen Bewohner der Insel, die Sommergäste ohne Abstimmungsrecht. "Das ist mein Lieblingsplatz auf der ganzen Welt", findet Molly-Claire. "Es ist so friedlich hier", meint ihr Bruder Seamus. Seamus und Molly-Claire haben ihre letzten vier Sommer hier verbracht, seit ihre Eltern in der stillen Bucht ein Ferienhaus gekauft haben. Wenn die Gemeinde sich zur Umsiedlung entschließen sollte, würde auch ihnen Strom und Wasser abgestellt, die Fähre würde nicht mehr fahren. "Wir müssten uns dann entscheiden, für den Sommer komplett auszusteigen", sagt die Mutter. "Für mich wäre das ok. Aber dann ist die Frage, wieviel Geld man hier noch investiert. Das müssen wir dann abwägen."

Der Streit geht quer durch die Familien des Ortes: Doris Bruder George will auch gehen, er nimmt ihr übel, dass sie dagegen gestimmt hat. "Diese Frau da ist gegen uns, obwohl sie hier gar nicht hingehört. Und sie ist meine Schwester". George würde gerne – wie Cyrill auch – sein Haus an die Regierung verkaufen, aber wenn nicht alle zustimmen, dann wird da nichts draus. "Ich habe hier 76 Jahre lang hier gelebt. Wenn man sieht wie sie mit uns umgehen, dann kocht dein Blut." Einfache Lösungen sind nicht in Sicht, die einen müssen bleiben, die anderen, wie Doris, wollen. "Wenn ich in Florida sterbe, will ich zurückkommen. Egal ob im Ganzen oder als Asche. Meine Asche soll hier ruhen. Dann bin ich glücklich." Cyrill würde die Insel gerne lebend verlassen, um zu seinen Geschwistern nach Toronto zu ziehen. Noch einen Winter hier will er nicht durchmachen. Auch wenn ihm das Meer noch so sehr fehlt: Seinen Lebensabend würde er gern auf dem Festland verbringen.

Autorin: Christiane Meier, ARD-Studio New York

Stand: 28.08.2019 02:16 Uhr

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