So., 24.04.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Jemen: Der vergessene Krieg
Der Weg in den Jemen ist sandig und etwas holprig. Unserer Fahrt geprägt von Rob El-Khali, der größten Sandwüste der Welt. Das Sagen haben hier jemenitische Regierungstruppen, unterstützt von Saudi-Arabien. Vorbei an den strategisch begehrten Ölfeldern der Region, nehmen wir Kurs auf unser Ziel: die Stadt Marib. Vor dem Krieg eine Kleinstadt, sind in den vergangenen Jahren jedoch Millionen Menschen aus dem ganzen Land hierhin geflohen. So auch er: Nabil Al-Ansari. Er mag Marib nicht besonders, sagt er. Die Stadt sei winzig im Vergleich zu Sana’a. In seiner Heimatstadt fühlte er sich als Fotograf aber nichtmehr sicher: "Ich habe ein Foto von einem Kind gemacht, dessen Haus die Huthis in die Luft gesprengt hatten. Als ich es auf Social Media veröffentlicht habe, hat es sich schnell verbreitet. Die Huthis haben mir gedroht, es aus Social Media zu entfernen, weil ich ihren Ruf beschädigen würde." Dieses Foto macht Al-Ansari zum Flüchtling. Aus Angst vor den Huthis flieht er. Weg von Familie und Freunden zieht er nach Marib. Er hofft auf ein friedliches Städtchen, doch der Krieg hat ihn mittlerweile eingeholt. "In Marib schlagen immer wieder Raketen ein, dann erzittert die ganze Stadt. Es ist eine kleine Stadt, aber es gibt so viele Vertriebene."
Eine nicht enden wollende humanitäre Krise
Millionen Vertriebene leben in 191 Flüchtlingscamps rund um die Stadt verteilt. Zwischen Wüste und Bergen wohnen sie in bescheidenen Unterkünften. Viele von ihnen sind 4, 5 Mal geflohen, immer in der Hoffnung auf einen sicheren Zufluchtsort. Nabil Al-Ansari führt uns im Al-Sweyda Camp herum. Er kommt gerne hierhin, um Fotos zu schießen. Die Kinder kennen ihn schon. Ansari besucht einen älteren Mann, der kürzlich einen Schlaganfall hatte. Zugang zu medizinischer Versorgung hat er aber keine. Auf unserem Rundgang treffen wir im Nachbarzelt eine Familie, die auf wenigen Quadratmetern lebt. Die Familie klagt Ansari ihr Leid. "Es fehlt uns an Wasser, an Elektrizität, es fehlt uns an so vielem. Dieses Kind ist krank, das andere hat eine Infektion, wir bräuchten alle dringend ärztliche Versorgung", erzählt Safaa.
Frauen und Männer haben Holz gesammelt, es ist ihre einzige Möglichkeit Feuer zu machen. Gas zum Kochen gibt es nicht. Die Menschen, die hier im Staub leben, haben das Gefühl, die Welt hat sie vergessen. "Ich denke, wegen der großen Anzahl internationaler Konflikte, und auch weil der Konflikt im Jemen sich schon so lange zieht, beginnt die Welt die humanitäre Situation, in der wir Jemeniten leben, zu vergessen, sodass die Zahl der Toten nichts mehr ist als eine Nummer in den Nachrichten", sagt der Fotograf.
Es fällt schwer auf unserem Weg Richtung Frontlinie sich bewusst zu machen, dass 400.000 Menschen in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben. Die Front ist nur 20 Kilometer von Marib entfernt. In der Wüste versuchen jemenitische Regierungstruppen ihre Stellung zu halten. Sie sind ein Akteur von zahlreichen Konfliktparteien im Land. An nächsten sind die aufständischen Huthis, die in den Bergen lauern. Während des Ramadans haben sie sich auf eine Feuerpause geeinigt. Die Waffen ruhen momentan. Für alle wie auch uns liegt die größte Gefahr in diesen Tagen am Boden. Mehr als eine Million Landminen liegen im Stadtgebiet rund um Marib. Die Opfer, die überleben, finden wir im örtlichen Krankenhaus. Vor drei Jahren hat Abdallah seine rechte Hand und sein rechtes Bein verloren. Nun bekommt er eine Prothese: "Die ganze Front ist voller Minen. Wir können uns nicht bewegen, es ist so gefährlich." Wer die Schuld trägt ist bei den vielen Kriegsparteien gar nichtmehr auszumachen. "Wem soll ich die Schuld schon geben. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht."
Die humanitäre Lage im Jemen könnte sich durch den Krieg in der Ukraine noch einmal verschärfen. Lebensmittel sind für Jemeniten seit Jahren knapp, nun drohen auch noch 1/3 der Weizenimporte wegzufallen, sie kommen aus der Ukraine. Wirklich Hoffnung auf Frieden hat Al-Ansari wenig. Der fragilen Wagenruhe traut er nicht, er rechnet damit, dass die Kämpfe wieder fortgesetzt werden. Marib ist längst zu einem Kriegsschauplatz geworden. Dass Privileg, die Stadt wieder zu verlassen können, haben die meisten im Gegensatz zu uns als Reporterteam leider nicht.
Autor: Ramin Sina/ARD Studio Kairo
Stand: 24.04.2022 19:49 Uhr
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