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Japan: Warum die zweite Bombe fiel

Japan: Warum die zweite Bombe fiel | Bild: ARD

Es ist eine Legende, die sich hartnäckig hält. Die Atombomben, die die USA am 6. und 9. August 1945 auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abwarfen, hätten den pazifischen Krieg beendet. Falsch, sagen Historiker heute. Japan sei längst besiegt gewesen, die Bomben seien von den USA eher zu militärischen Testzwecken eingesetzt worden. Die hunderttausend Toten seien Opfer eines Kriegsverbrechens. ARD-Dokumentarfilmer Klaus Scherer besuchte 70 Jahre nach der Atom-Katastrophe letzte noch lebende Zeitzeugen in Nagasaki und sprach mit Historikern.

Plötzlich war da ein heller Blitz

Nagasaki, 70 Jahre danach. "Da hinten war es.", sagt uns Michiaki Ikeda. "Da war der Punkt, über dem die Bombe explodierte." Er war damals gerade im Aufzug des Krankenhauses, in dem seine Mutter arbeitete. "Als die Aufzugtür aufging und ich hinaus auf den Flur trat, war da plötzlich ein unglaublich heller Blitz. Dann wurde ich ohnmächtig." Andere Kinder überlebten mit Glück in Schutzhöhlen wie dieser – wie die damals zehnjährige Sakue Shimohira. "Außer mir und meiner kleinen Schwester waren fast alle nach draußen gegangen, weil der Alarm schon aufgehoben worden war. Jetzt kamen manche zurück und flehten um Hilfe. Ich war bewusstlos gewesen und wachte davon auf. Ihre verbrannte Haut hing in Fetzen, sie hatten offene Wunden. Sie waren völlig entstellt." Warum, so fragt auch sie bis heute, fiel diese zweite Bombe noch? Weil sie fertig war und weil sie teuer war, sagen Historiker. Und weil Japan die Gelegenheit bot.

Nagasaki - dem Erdboden gleichgemacht, nachdem die Bombe fiel
Nagasaki – dem Erdboden gleichgemacht, nachdem die Bombe fiel

"Es gab zwei Arten von Atombomben. Wir hatten eine Uranbombe und die Plutoniumbombe. Hätten wir noch Thorium als Rohstoff gehabt, hätten wir vielleicht eine dritte Stadt dafür ausgewählt", erklärt Peter Kuznick von der American University, Washington. "Aber es war aus Sicht der eingeweihten US-Strategen wichtig, gerade die Plutoniumbombe auszuprobieren. Denn das war der Bombentyp, den wir von nun an bauen würden."

Noch immer trauern Zeitzeugen und gedenken der vielen Opfer
Noch immer trauern Zeitzeugen und gedenken der vielen Opfer

Jahr für Jahr singen Nagasakis Zeitzeugen vom Leid der Strahlenopfer. War ihre Stadt nur Testobjekt für den Plutonium-Prototypen? Schließlich war Japan militärisch längst geschlagen. Das Land wollte damals nur noch seinen Kaiser retten. In Amerika beschönigten die Geheimnisträger lange die neue Waffe. Die Bombe werde nicht gegen Zivilisten eingesetzt, versicherte Präsident Harry Truman. Möglichkeiten, den Krieg früher zu beenden, ließ er ungenutzt. Warum? Der Bombe zuliebe? "Truman schrieb später, die Entscheidung, die Bomben zu werfen, sei ihm sehr, sehr schwer gefallen", sagt der Historiker Tsyoshi Hasegawa. Aber wenn er das wirklich so sehr hatte vermeiden wollen, warum ließ er Joseph Stalin die Kapitulationsaufforderung an Japan nicht mit abzeichnen? Er wusste doch, wie sehr Tokio noch immer auf Stalins Hilfe hoffte. Außerdem wusste Truman, wie sehr es Japan um den Kaiser ging. Warum signalisierte er ihm nicht schon vor den Bomben, dass er überleben werde?"

Kinder suchten nach Toten

Nur für wenige Opfer gab es Hilfe. Kliniken waren zerstört. Wer von den Kindern konnte, suchte zuerst nach den Toten. "Unsere Mutter fanden wir gar nicht", erzählt Sakue Shimohira. "Wo das Haus gewesen war, fanden wir nur unsere große Schwester, sie hatte noch die Hände vors Gesicht gehalten. Deshalb erkannten wir die Gesichtszüge." Ikeda irrte derweil durch die Kliniktrümmer. Und stieß auf seine Mutter. "Sie lag bäuchlings auf einem kaputten Bett und konnte sich nicht bewegen. Denn in ihrem Rücken steckten hunderte Glassplitter."

Amerika hielt die Folgen geheim

Zu Japans Kapitulation auf einem US-Schlachtschiff in der Bucht von Tokio hat Historikern zufolge vor allem die Kriegserklärung Moskaus beigetragen. Zerstörte Städte habe Japan schon vorher hingenommen. Dennoch feierte Amerika seine Atombombe als kriegsentscheidend. "Das ist verständlich, denn es war unser guter Krieg gewesen", sagt der Historiker Martin Sherwin. "Wir hatten den Faschimus in Europa bekämpft und den Militarismus im Fernen Osten. Das mit etwas zu beenden, das negativ war, das ein schwarzes Schandmal auf diesem Krieg hinterließ, das konnte Amerika nicht ertragen." Also hielt Amerika die Folgen der Bombe lieber geheim. Bis zu den Schatten, die auch Menschen im Feuerblitz hinterließen, bevor sie verglühten. Hier nachgemessen von einem US-Soldaten. Fußgänger auf Brücke, notierte er, südwestlich des Epizentrums.

Versuchskaninchen für die Amerikaner

In Nagasakis Trümmern sterben aber auch nach Kriegsende noch Kinder. Als Strahlenkranke werden sie gemieden. Auch Sakues kleine Schwester wirft sich vor den Zug. "Ich wünschte mir so sehr, dass auch sie weitergelebt hätte. Aber ich wusste nun, wie verzweifelt sie war." Japan war schuld am Krieg, sagt Ikeda. Aber Amerika an der Bombe. "Ich glaube, wir waren tatsächlich so etwas wie Versuchskaninchen für die Amerikaner. Die Bombe auf Hiroshima war schon gefallen. Hätte man die Plutoniumbombe nicht mehr geworfen, wäre es sinnlos gewesen, sie zu gebaut zu haben. Man musste es also schnell tun, bevor Japan kapitulierte." So werden sie, die Kinder von einst, auch in diesem Jahr wieder singen, zum Gedenken an den Untergang ihrer Stadt... Und danach werden sie sich wie immer fragen, wer denn wohl noch Nagasakis Geschichte erzählt, wenn auch sie nicht mehr da sind.

Stand: 09.07.2019 01:12 Uhr

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