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Japan: Fukushima – 10 Jahre nach dem GAU

Fukushima: 10 Jahre nach dem GAU | Bild: dpa / picture-alliance

Es gibt noch Leben. Dort, wo eigentlich keines mehr sein dürfte. Wenige Kilometer vom Unglücks-AKW Fukushima entfernt grasen zehn Kühe. Tiere, die überlebt haben, und deren Nachkommen. Nach der Katastrophe mussten viele Bauern Kühe, Schafe und Hühner zurücklassen. Viele verhungerten, manche wurden notgeschlachtet. Satsuki Tani sah die Bilder der Tiere im Fernsehen und kam aus Tokio, um zu helfen. Sie hat den Kühen eine Farm in Okuma gebaut. Sie sollen in Ruhe alt werden – in der Sperrzone. Okuma zählte einst mehr als 10 000 Einwohner, teilweise wurde die Stadt wieder geöffnet. Knapp 300 Menschen kamen zurück.

Kühe auf der Farm – mitten in der Sperrzone

Da ist noch Leben. Einen Steinwurf vom Atomkraftwerk entfernt. Kühe sind hier in Okuma durch die Hölle gegangen. Die soll sich nun in ein Paradies verwandeln. So will es Satsuki Tani. Für sie sind die Tiere eine große Familie. "Das ist Mami. Sie war ein völlig abgemagertes Kalb. Das zweite Kalb. Hier steht es. Nummer 1,3,4 und 5 sind verhungert oder verunglückt." Zwei Handvoll Kühe leben auf ihrer Farm in der Sperrzone – meist ohne Menschen. Sie sollen in Ruhe alt werden. Milch oder Fleisch von hier kann nicht verkauft werden. Drei der Tiere haben die atomare Katastrophe miterlebt. Flohen in die Berge – hungerten. Und trafen sich Jahre später wieder. Auf der Farm, die Frau Tani für sie gebaut hat. "Sie fingen sofort an zu muhen, kamen sich näher, und schleckten sich ab, als würden sie sagen 'du lebst ja noch'".

Satsuki Tani
Satsuki Tani kümmert sich um die Kühe in der Sperrzone | Bild: SWR

Vor zehn Jahren sah Satsuki Tani Bilder im Fernsehen und wollte helfen. Verlassene Dörfer, zurückgelassene Tiere. Sie verhungerten oder verdursteten. Einige Bauern ließen sie frei, um sie nicht töten zu müssen. Satsuki Tani kam aus Tokio, um zu helfen. Sie finanziert ihre Arbeit durch Spenden, damit die Kühe leben dürfen. Denn die Tiere bringen weder Geld noch Arbeitsplätze in eine trostlose Region mit unsichtbarer Strahlung. Den Tieren geht es gut, versichert Frau Tani. Menschen dürfen aber nur stundenweise in die Sperrzone. "Ich denke nicht an mich, seit früher schon, Angst habe ich eigentlich nicht, meine eigene Strahlendosis berechne ich genau."

Okuma – 300 Einwohner von ehemals 10.000

Okuma ist noch immer ein lebloser Ort. Hier wohnten mal mehr als 10.000 Menschen. Heute sind es nicht einmal 300. Zurück wollen meist nur die alten. Herr Sato ist eine Rarität. Er ist einer der wenigen, die neu in Okuma sind und das mit Mitte 30! Er fand es verrückt, hierher zu ziehen. Eine Art Abenteuer. So kann er auch entwaffnend ehrlich sein. Sagen was andere lieber für sich behalten. "Man sollte nicht auf Teufel komm raus versuchen, Leute zur Rückkehr zu bewegen, mit so viel Steuergeldern, was soll das?"

Shigeki Sato
Shigeki Sato ist nach Okuma gezogen  | Bild: SWR

Shigeki Sato geht nur ins Fitnessstudio. Sonst trifft er niemanden und kauft er alles online. Wer hierher kommt, ist blöd. Sagt er deutlich. Also auch blöd, riesige Gewächshäuser zu bauen. In denen Erdbeeren wachsen. Koste es, was es wolle. Aber Shigeki Sato zieht wie ein Wanderer durch das Land, hier reizt ihn die ausweglose Lage. So landete auf der Erdbeerfarm. Auch wenn er wenig Sinn erkennen kann. "Hier gab es vorher nichts, es wurde mit Macht geschaffen. Wer das hierher gebaut hat, ist ein Idiot." Die Strahlung wird kontrolliert. Die Erdbeeren sind in Ordnung, sie außerhalb der Region zu verkaufen ist nicht einfach. Denn auch das Image ist belastet.

Auf lange Zeit verstrahlt

Häuser in Okuma
Nur wenige Einwohner sind zurückgekehrt | Bild: SWR

Was passiert ist, lässt sich nicht ausblenden. In den Säcken lagert radioaktiv verseuchte Erde. Wenn Satsuki Tani die Sperrzone verlässt, muss erst einmal die Strahlung gemessen werden. Sie werden hier noch Jahrzehnte damit leben müssen. Trotzdem kämpft sie gegen die Betonköpfe, die den Kopf schütteln – über die verrückte Frau mit den Kühen. "Auf mich treffen mehrere Dinge zu: Ich bin in zugezogen, jung, bin dumm und eine Frau. Erfahrung in der Landwirtschaft habe ich auch nicht." Etwas naiv sein, kann vielleicht sogar helfen. Denn neue Wege gehen – ist schwierig in Japan. Eine junge Frau von außen, kann da mehr bewegen.

Die Erinnerung darf nicht verblassen. Satsuki Tani schreibt ein Buch für Kinder, bespricht die letzten Details mit der Co-Autorin. Sie erzählt die Geschichte ihrer Kühe. Von einem Kalb, das seine Mutter verlor. "Selbst in dieser aussichtslosen, verzweifelten Lage gibt es Lebewesen, die das Überleben. Diese Kühe sind ja im Grunde ein Wunder." Ein Wunder. Leben einen Steinwurf vom Atomkraftwerk entfernt. So wie es sich Satsuki Tani erträumt hat. Etwas Neues wächst, auch wenn nichts wie früher ist.

Autor: Gabor Halasz, ARD-Studio Tokio

Stand: 10.03.2021 14:05 Uhr

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