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Jamaika: Musik und Gewalt

Jamaika: Musik und Gewalt  | Bild: WDR

Er ist DER aktuelle Dancehall-Superstar in Jamaika: Skillibeng. Sein neues Album geht jetzt auf den Markt. Ein paar Spielzeuggewehre liegen noch in der Kabine – Requisiten für seine Videos.

Videos, die geprägt sind von Gangster-Kult, Waffen, Drogen. Texte, die von Gewalt sprechen. "Dancehall sind die coolen Typen, die Starken, so überleben wir. Was ist Leben ohne Tod, was ist Leben ohne das Schlechte, das Leben besteht aus schlechtem und Guten", erzählt der Dancehall-Künstler.

Gewalt in Musik und Gesellschaft

Dancehall ist die populärste Musik in Jamaika und die Lieder mit dem größten Erfolg sind die, die Gewalt beschreiben. Also liefert Skillibeng was sein Publikum liebt. Und findet Kritik daran unverständlich: "Wenn ich singe: Ich mache ein drive-by-shooting und erschieße zehn Menschen, dann muss das nicht die Wahrheit sein, es kann erfunden sein, es kann einfach Kunst sein, die zeigt wie talentiert du im Texten bist."

Jamaika: Die Dancehall-Musiker sagen, ihre Texte seien Kunst und gäben denen am Rande der Gesellschaft eine Stimme
Jamaika: Die Dancehall-Musiker sagen, ihre Texte seien Kunst und gäben denen am Rande der Gesellschaft eine Stimme | Bild: WDR

Kingston ist geprägt von Ghettos voller Gewalt und das seit Jahrzehnten. Doch jetzt ist die Karibik-Insel dabei die weltweit höchste Mordrate zu erlangen. Dancehall hat mit seinen schnellen Beats und rauen Texten die Straßen erobert, man trifft sich an jeder Ecke, um zu tanzen. Von Kindesbeinen wird die Musik aufgesogen. Jeden Tag Schlagzeilen der Gewalt. So ist eine hitzige Diskussion entbrannt: Was darf Kunst? Ist Dancehall ein Spiegel der Realität oder befeuern die Lieder die Kriminalität im Land? Verherrlichen sie Gewalt, sind sie homophob, sexistisch? Sind es nicht mitunter selbst Kriminelle, die im Knast landen? Der Premierminister, Andrew Holness, mahnt die Dancehall-Szene: "Die Verfassung gibt euch das Recht, über Gewalt zu singen, aber ihr habt auch eine Pflicht gegenüber den Kindern, die euch zuhören. Es ist nicht richtig!"

Ein Teufelskreis der Armut

Andrew Geohagen arbeitet für eine Organisation, die gegen die Gewalt ankämpft. Er nimmt uns mit rein in die Viertel von Kingston, in denen Krieg herrscht. Erklärt die Wurzeln der Gewalt, die er selbst erlebt hat: "Wenn du in einem Viertel geboren wirst, lernst du, das Nachbarviertel zu hassen. Weil jemand deinen Vater, deine Schwester, deinen Bruder oder deinen Onkel umgebracht hat. Die Menschen leben mit dieser Wut."

Es gibt schlicht niemanden, dem nicht ein geliebter Mensch kaltblütig genommen wurde. Carlens Sohn wurde vor acht Monaten durch einen Schuss in den Rücken ermordet, ein unerträglicher Schmerz, der anhält. Und wieder ein Mord, den die Polizei nie aufgeklärt. Ebenso wenig wie den der Nachbarin. Ihr Sohn wurde mit einem Kopfschuss hingerichtet.

Die Wurzel aller Gewalt sei die extreme Chancenlosigkeit der vielen Armen, für die sich die Politik nicht interessiere. Schlechte Schulen, keine Abschlüsse, keine Perspektive, dafür Hunger nach Anerkennung und Essen. "Wenn du deinen Kindern kein Essen geben kannst, dann hören sie nicht mehr auf dich. Sie müssen raus auf die Straße und Geld verdienen wie es eben geht, was willst du denen sagen?", erzählt Andrew Geohagen von der 'Peace Management Initiative'.

Ein Überlebenskampf, der Gewalt produziert. In dem die Armen, Arme töten. Das Bedürfnis nach Rache, das Bedürfnis Stärke zu beweisen, all das führe zu einem Teufelskreis an Gewalt, erzählt Garfield, der zu einer Gang gehört: "Das System hat Tiere geschaffen, es macht uns zu Tieren, wir sind wie Löwen, die ihr Opfer suchen, das ist die Situation für uns Jamaikaner."

Dancehall kann auch positiv sein

Dancehall könne eine Inspiration für das Negative sein, heißt es. Aber auch für positives, für andere Künstler. Unser Weg führt uns raus aus Kingston. Die 21-jährige Koffee ist der aufgehende Star am Firmament Jamaikas. Auch sie bringt bald ihr Raggae inspiriertes mit Dancehall durchmischtes Album heraus. 

Jamaika: Die 21-jährige Koffee hat den Grammy als beste Reggae-Künstlerin erhalten. Ihre Botschaft ist Liebe
Jamaika: Die 21-jährige Koffee hat den Grammy als beste Reggae-Künstlerin erhalten. Ihre Botschaft ist Liebe | Bild: WDR

Vergangenes Jahr hat Koffee den Grammy als beste Raggae-Künstlerin erhalten. Ihre Botschaft ist positiv. "Ich denke, ich verstehe die Macht der Musik, wie sehr und wie tief sie in einen Menschen eindringen kann. Was Musik ihnen bedeuten kann. Ich denke meine Rolle ist positive Musik zu machen, positives auszustrahlen. Eine positive öffentliche Figur zu sein", sagt die Musikerin.

Ihr Vorbild ist ihre Mutter, der sie alles verdanke. Denn trotz großem Geldmangel wächst Koffee behütet auf. Konnte die Schule abschließen und hat ihre Musik in der Kirche gelernt. Sie will ein Vorbild in Jamaika sein, für Frauen, aber nicht nur: "Wir müssen den Kindern mehr Liebe beibringen, Wertschätzung, damit sie ein unerschütterliches Selbstvertrauen haben. Damit sie nicht versuchen müssen sich anzupassen, um anderen zu gefallen."

Koffee ist erfolgreich. Den Markt beherrscht bislang aber der Dancehall, der die rohe Gewalt in Jamaika propagiert.

Autorin:  Xenia Böttcher / ARD Studio Mexiko

Stand: 09.05.2021 20:36 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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