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Israel/Palästina: Das geteilte Dorf

Israel/Palästina: Das geteilte Dorf | Bild: dpa / picture-alliance

Barta’a ist ein kleines Dorf und hat für die Region ein typisches Schicksal. Es ist seit 1949 geteilt. Eine Hälfte liegt auf palästinensischem Gebiet, die andere auf israelischem. Auf der einen Seite gibt es einen grünen, auf der andere einen blauen Ausweis. Die einen werden "arabische Israelis" genannt, die anderen  "Palästinenser". Aber irgendwie sind sie auch vereint. Über Familienbande, die oft stärker sind als politische Grenzen.

In Barta’a wächst jedes Wochenende der kleine Grenzverkehr zu einem großen Gewimmel an: Wenn Israelis auf die palästinensische Seite drängeln, um auf Basaren billig einzukaufen und wenn Palästinenser dem Rummel entkommen und auf die andere Seite zu ihren Verwandten fahren wollen. Zumindest dann, wenn sie den Checkpoint passieren dürfen. Kompliziert? Ja! Aber auch ein faszinierendes Schauspiel, das zusammenführt, was getrennt wurde. Eine Reportage von Susanne Glass (ARD Tel Aviv).

Männer laufen zwischen Metallzäunen vorbei
Am Checkpoint ist morgens viel Betrieb. | Bild: SWR

Morgens um sechs herrscht Hochkonjunktur am Checkpoint. Palästinenser aus dem Westjordanland sind auf dem Weg zur Arbeit ins nahe Dorf Bartaa. Aber zuvor müssen sie durch strenge Sicherheitskontrollen. Alltag an allen Übergängen, die Israel eingerichtet hat seit Sperrzaun und Mauer die palästinensischen Gebiete abriegeln. Aber dieser hier ist ein ganz besonderer Checkpoint, erklärt der israelische Leiter, den alle hier Charlie nennen."4.500 Leute gehen von hier aus jeden Morgen nach Israel", erklärt Charlie Ohana. "Wir kennen ihre Namen, wir kennen ihre Gesichter, weil sie jeden Tag hier durchkommen. Wir sind wie eine kleine Familie, ich weiß, das klingt verrückt bei der allgemeinen Situation, aber hier läuft es großartig."

Der Osten palästinensisch, der Westen israelisch

Stadtansicht Bartaa
Stadtansicht Bartaa. | Bild: SWR

Charlies Checkpoint funktioniert deshalb so gut und friedlich, weil die Palästinenser, die hier rüberkommen eine vergleichsweise ausgezeichnete Perspektive haben. Sichere Arbeit und guten Verdienst in Bartaa. Genaugenommen müsste der Grenzübergang nicht drei Kilometer außerhalb des Dorfes liegen, sondern mitten drin. Denn Bartaa ist wie einst Berlin geteilt in Ost und West. Der Osten palästinensisch, der Westen israelisch. Ein Spielball der Nahost-Geschichte und deren komplizierter Launen, die mit den 13.000 Einwohnern bisher aber gnädig waren.

In Ost-Bartaa bereitet sich Hamzeh Kabha mit drei seiner fünf Kinder auf ihren allmorgendlichen Grenzübertritt vor. Hamzeh bringt die Mädchen zur Schule. Die Fahrt dauert keine zehn Minuten. Aber sie führt ihn vom palästinensischen Osten, wo er wohnt, in den israelischen Westen, wo seine Kinder zur Schule gehen. Und wenn man es nicht weiß, merkt man es nicht mal. Hier mitten durch diesen unscheinbaren Kreisverkehr, verläuft seit 1949 die Trennlinie. "Hier ist die Grenze zwischen dem geteilten Dorf. Wo wir herkamen, ist der Ostteil, hier der Westen. Und hier bei diesem Geschäft ist vermutlich eine Tür im Osten und eine im Westen."

Willkommen in Absurdistan

Drei Personalausweise: aus Deutschland, Israel und den Palästinensischen Gebieten
Drei Ausweise in einer Familie.  | Bild: SWR

Diese Trennlinie verläuft auch durch die Familie. Hamzehs Töchter haben einen israelischen Pass, denn die Mutter ist im Westen geboren. Er selbst hat einen palästinensischen und einen deutschen, weil er in Deutschland studiert und viele Jahre gearbeitet hat. Seine morgendliche Fahrt zur Schule ist genaugenommen illegal. "Man hat eine gewisse Angst. Ich bin jetzt gerade hierhergefahren und habe gedacht, hoffentlich ist niemand am Schulzentrum von der Polizei. Denn theoretisch darf ich mit meinem Kennzeichen, mit meinem grünen palästinensischen Kennzeichen gar nicht hier sein, mit dem Auto."

Aber israelische Polizei und Zollbehörden drücken beide Augen zu. Ob grüne palästinensische Kennzeichen, gelbe israelische oder auch gar keine. Generell gilt in Bartaa: Weil sie in Absurdistan leben, haben sie Kreativität im Umgang mit der Situation gelernt – in jeder Hinsicht, gezwungenermaßen seit Jahrzehnten schon. Seit 1949, dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Jordanien und Israel, stellt dieser ausgetrocknete Flusslauf, ein Wadi, die Grenze dar. Damals von Bürokraten mit grüner Tinte auf die Karte gemalt. Nicht wissend, dass westlich und östlich des Wadis die Kabha-Großfamilie lebte, deren Mitglieder sich plötzlich in zwei verschiedenen Ländern wiederfanden, erzählt Riad Kabha, langjähriger Bürgermeister des Westteils. Bis 1967 konnten sich die Verwandten nur über den Wadi hinweg Neuigkeiten zurufen. "Aber im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzte Israel das Westjordanland und damit auch Ost-Bartaa. Ausgerechnet Krieg und Besatzung haben unser Dorf vereint. Wir waren zwar moralisch am Ende. Aber gleichzeitig überglücklich, weil wir unsere Verwandten endlich wieder besuchen konnten."

Kreative Geschäfte im Schatten der Mauer

Straßenhändler
Blühende Geschäfte trotz Teilung. | Bild: SWR

Anfang des neuen Jahrtausends hatten sie nochmals Glück im Unglück. Als Israel Mauer und Grenzzaun ums Westjordanland baute. Die Absperrung verläuft, um nahe israelische Siedlungen zu schützen, nicht exakt entlang der Grenze. Also nicht mitten durchs Dorf, sondern knapp an Bartaa vorbei. Im Windschatten der Mauer, im toten Winkel der Behörden machen die kreativen Bartaar nun das Beste aus ihrer absurden Situation: Blühende Geschäfte! Das Dorf ist zu einer inoffiziellen palästinensisch-israelischen Freihandelszone geworden. An den Wochenenden ist fast kein Durchkommen mehr. Es gibt praktisch nichts, was es nicht zu kaufen gibt. Auch viele Israelis reisen an, die sonst nicht ins Westjordanland fahren dürften. "Es ist viel billiger als in Israel und die Läden haben an Shabbat geöffnet", meint eine Frau auf der Straße. Und ein Mann meint: "Ach ob Ost-Bartaa jetzt im Westjordanland ist, oder nicht – das merkt man doch gar nicht. Angst haben wir keine, die Menschen sind sehr nett, die Atmosphäre sehr angenehm."

Die Aussicht auf eine gute wirtschaftliche Entwicklung und die Sehnsucht nach Familie und Heimat, ließen Hamzeh Kabha nach vielen Jahren in Deutschland zurückkehren. Er hat eine florierende Tankstelle und ein Bauunternehmen. "Da in Bartaa wie gesagt viel gebaut wird, konnte ich bis jetzt zwei bis drei Projekte pro Jahr zustande bringen und das reicht mir gerade zum Leben." Es ist aber auch ein Leben in einer ständigen Identitätskrise und Ungewissheit. Der Preis, den sie alle im geteilten Dorf für die wirtschaftlichen Vorteile bezahlen.

Stand: 13.07.2019 20:58 Uhr

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