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Israel: Das friedliche Wüstendorf

Israel: Das friedliche Wüstendorf | Bild: WDR

Der 5-jährige Azaria kam mit Down-Syndrom zur Welt, mit Epilepsie und chronischer Lungenschwäche. Seine Mutter Miko ist orthodoxe Jüdin, sein Physiotherapeut Mohamad arabischer, muslimischer Israeli. "Mohamad arbeitet die ganze Zeit mit ihm. Azaria ist ein glücklicher Junge ohne Mohamed hätte er sich nicht so gut entwickelt. Mohamed ist ein Mann, der an die Würde des Menschen glaubt", sagt die Mutter des Jungen und der Physiotherapeut fügt hinzu: "Mein langfristiges Ziel ist, dass Azaria einmal selbstständig laufen kann. Das kostet Zeit und Kraft. Aber ich bin mir sicher, dass er es schaffen wird. Er ist ein toller Junge."

Ein Ort der Nächstenliebe

Muslime, Juden, Christen – sie alle verbindet hier ein Ziel: Menschen mit multiplen Behinderungen zu helfen und ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen. In dieser ganz besonderen Einrichtung, die längst zu einem kleinen Dorf angewachsen ist, mit eigenem Swimmingpool, einer kleinen Ranch – alles auch zu Therapiezwecken. 'Adi Negev' liegt in der Negev Wüste und wurde von einem Mann gegründet, dessen Lebensgeschichte so ungewöhnlich ist, wie die Einrichtung, die er ermöglicht hat: Doron Almog, ein israelischer General. Sein Sohn Eran hatte Autismus und multiple Behinderungen. Er wurde 23 Jahre alt, verstarb im Februar 2007. "Zu meiner wichtigsten Lebensaufgabe wurde es, für Eran ein liebevolles Umfeld zu schaffen. Und dafür zu sorgen, dass er die bestmögliche Behandlung bekommt. Und ich merkte, dass ich dafür auch die israelische Gesellschaft verändern musste. Sie wollte, dass sie weniger diskriminierend und arrogant mit Menschen mit Behinderungen umgeht", erzählt Doron Almog.

Israel: Ein Hauch von Zukunft in einem Wüstendorf
Israel: Ein Hauch von Zukunft in einem Wüstendorf | Bild: WDR

Auch für ihn selbst als Militär zählte in jungen Jahren vor allem Stärke und Durchsetzungskraft. So war Doron Almog bei der in Israel legendären Befreiung von 105 israelischen Geiseln auf dem Flughafen von Entebbe in Uganda 1976 dabei. Selbst als einer der 'Helden von Entebbe' gefeiert, merkte er nach der Geburt seines Sohnes schmerzhaft, wie schwer sich die israelische Gesellschaft mit Menschen tat, die aufgrund einer Behinderung nicht in das Bild eines jungen, starken Staates passten: "Und dann habe ich mich in die Position meines Sohnes versetzt. Es war als sagte er: Lieber Vater, beurteile die Welt künftig bitte nicht mehr von oben herab als General. Bewundere nicht länger nur diejenigen, die viel Kraft haben und auf deren Befehl 1000 Soldaten hören. Sondern versuche die Welt mit den Augen der Schwächsten der Gesellschaft zu sehen. Deshalb habe ich dieses Dorf gebaut, das für diese Menschen den bestmöglichen Mikrokosmus von Liebe bietet."

 Zufluchtsort auch in unsicheren Zeiten

Miko Schaffier hat ähnliche Erfahrungen gemacht: "Israel ist ein klitzekleines junges Land, das um seine Existenz kämpft. Und wenn Du ein klitzekleines Land bist, das ums Überleben kämpft, können viele Leute leicht auf den Gedanken kommen, dass die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft nicht die besten sind. Aber in den vergangenen Jahren habe ich eine Verbesserung erlebt. Das Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderung hat sich stark verändert. Ich spüre jetzt eine positive Energie." Aufholbedarf bei der Inklusion gibt es trotzdem weiterhin, in Israel wie in vielen Ländern dieser Welt. Miko und ihr Sohn sind Tagesbesucher. Dass Azaria hier betreut wird, ermöglicht es der Mutter von neun Kindern sogar noch zeitweise als Pilates- und Hebräisch-Lehrerin zu arbeiten.

Andere leben in Adi Negev. Die Erwachsenen haben die Möglichkeit in einer Werkstatt zu arbeiten. Betreut werden sie auch von jungen Freiwilligen aus Deutschland. Anna Pfeiffers Zeit endet gerade. Was sie hier auch erlebt hat: Die Eskalation zwischen der Hamas in Gaza und der israelischen Armee im Mai. In Adi Negev ist dies besonders bedrohlich, denn das Dorf liegt in unmittelbarer Nähe des Gaza-Streifens. Hier im Süden Israels gab es Tage, da sind die Menschen dutzende Male in die Bunker gerannt. "Und trotz dem Krieg, den wir hatten, waren die Mitarbeiter in einer Herzlichkeit zusammen, unterschiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Religionen. Und das ist für mich ein Ort, der zeigt, dass Toleranz und diese ganzen Werte, dass sie möglich sind", erzählt die freiwillige Helferin.

Das Wüstendorf hat sich zu einem der wichtigsten Arbeitgeber für die Menschen in einer Region entwickelt, die sonst eher wirtschaftlich schwach ist. Es bietet hunderte sichere Jobs. "Ich arbeite Seite an Seite mit Moslems und mit religiösen Juden. Und dabei lernst Du, dass die Religion, die Du praktizierst nicht wichtig ist. Es kommt auf Dein Herz an", findet Physiotherapeutin, Gilly Pa'amoni. Auch der Physiotherapeut Mohamed, der sich unbedingt wünscht, dass Azaria irgendwann auf eigenen Füssen stehen kann, sagt: "In Adi Negev, haben wir keine Religion, wir arbeiten immer nur mit dem einen Ziel, die Situation der Kinder zu verbessern, damit sie Fortschritte machen. Ich sage immer, wir können hier auch landesweit ein Vorbild für Koexistenz sein."

Menschen mit und Menschen ohne Behinderung. Seite an Seite mit Säkularen und Religiösen, unterschiedlicher Religionen. Aber alle im Glauben an die Würde der Menschen.

Autorin: Susanne Glass/ARD Tel Aviv

Stand: 19.12.2021 20:42 Uhr

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