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Iran: Junge Menschen unter Druck

Junge Iraner sitzen auf Treppe
Die Zukunft der iranischen Jugend ist düster | Bild: imago

Vor ein paar Jahren waren die Hostel-Betreiber noch optimistisch. Sie waren eigens aus den USA wieder in ihre Heimat nach Teheran zurückgekehrt und hatten das erste Backpacker-Hostel im Iran aufgebaut. Doch jetzt kommen keine Gäste mehr und ihre Zukunft sieht düster aus. Die Sanktionen sind das eine, aber auch der eigene Staat macht den jungen das Leben schwer: Zu eng, zu restriktiv, unfrei. Keine guten Voraussetzungen für junge Menschen, die etwas aufbauen möchten.

Leere Betten im Hostel

Es liegt versteckt in einer Seitenstraße, mitten im Stadtzentrum von Teheran. Unscheinbar von außen, nur ein Schild weist dezent darauf hin, was sich hinter der Blauen Türe verbirgt: eine kleine Oase für Backpacker: hausgemachtes Frühstück, freies Internet und Tipps von den Mitarbeitern – alles was das Herz von Rucksacktouristen höherschlagen lässt. 

Zimmer mit Betten in Hostel
Es kommen kaum noch Gäste  | Bild: SWR

Das Hostel war Navids großer Traum, erzählt er mir. Vor drei Jahren hat er es eröffnet, im Iran war das bis dato eine Seltenheit. Er kaufte ein altes Haus, renovierte alles in Eigenregie. Touristen zeigen, dass der Iran mehr ist als die Politik des Landes war sein Ziel. Mit Erfolg: sein Hostel war fast immer ausgebucht – vor allem mit Gästen aus Europa. Doch jetzt stehen fast alle Betten leer. "Nach den Protesten im November war es noch nicht ganz so schlimm. Also ich spreche jetzt von der Zahl der Gäste, nicht davon wie schlimm die Situation im Iran war. Aber damals waren wir zumindest noch zu einem Drittel belegt. Jetzt, nachdem das mit dem Flugzeug passiert ist: da hatten wir eine Woche lang nicht mal einen einzigen Gast." Wie hat sich das angefühlt, plötzlich keine Gäste mehr zu haben? "Ich habe Sorge, dass unser Projekt vor dem Aus steht. Das ist meine größte Angst."

Iran verliert den Kontakt mit der Welt

Navid hat in Kalifornien studiert. 2016 kam er für das Hostel zurück in den Iran. Das Atomabkommen war gerade verabschiedet: Aufbruchsstimmung lag in der Luft. Navid wollte einen Beitrag dazu leisten, sein Land aus der Isolation zu holen. Die vielen bunten post-its an der Wand haben Gäste hinterlassen. Navid wird nachdenklich als er sie uns zeigt. Plötzlich ist die Angst vor der Isolation wieder da. "Noch mehr als vor der wirtschaftlichen Isolation hab' ich Angst davor, dass die Menschen hier im Land nicht mehr gehört werden und sie einfach nicht mehr wichtig sind. Wie sie fühlen oder wie ihr Leben hier im Iran ist."

Wandbild an Mauer
Die Hardliner gewinnen an Einfluß  | Bild: SWR

Kontakt und Austausch mit der Welt: Der Iran scheint ihn immer mehr zu verlieren. Die US-Regierung kündigte 2018 das Atomabkommen auf und belegt den Iran mit immer neuen Sanktionen. Seitdem gewinnen auch die Hardliner wieder an Aufwind. Wir treffen den Schriftsteller und Studenten Pooyan. Er ist einer von vielen jungen Iranern, die sich nach Veränderung sehnen. Hinter uns steht eines der Wahrzeichen Teherans: der Azadi-Turm. Azadi bedeutet Freiheit – doch die gebe es im Iran nicht mehr, sagt Pooyan. "Die Staatsmänner haben gezeigt, dass sie keine Veränderung möchten. Sie zeigen Widerstand gegen jede Art von Veränderung. Und die Menschen im Iran haben das erkannt, die Masse hat das begriffen. Die Zeitspanne zwischen den Protesten wird immer kürzer."

Junge Menschen sehen im Iran keine Zukunft mehr

Zuletzt im Januar. Damals treibt die Iraner der Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine auf die Straße. Vor allem Studenten schreien ihre Wut heraus – und gehen damit ein hohes Risiko ein. Die Proteste werden auch diesmal im Keim erstickt. Pooyan sagt, die letzten Wochen hätten ihm klar gemacht, dass er keine Zukunft im Iran habe – eine Erkenntnis, die schmerzt. "Ich hänge sehr an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, dem Land, an dem all meine Erinnerungen hängen, meine geliebten Menschen leben, die auch meine Sprache sprechen. Aber meine Entscheidung liegt an der Hoffnungslosigkeit – und weil ich unbedingt mit der Welt in Kontakt sein will."

Klebezettel an Pinwand
Ausländische Gäste haben ihre Eindrücke hinterlassen  | Bild: SWR

Navid und sein Team haben den gleichen Wunsch. Das Hostel sei für sie ein Schlüssel gewesen. Gemeinsam habe man hier gekocht oder Lesungen veranstaltet. Für Gäste, aber auch für Einheimische. Mitarbeiterin Nazanin erzählt: Viele der ausländischen Gäste seien in ihrem Alter, der Austausch mit ihnen habe ihr Mut gemacht. "Ich habe hier begriffen, dass ich eine Stimme meines Landes sein kann. Vielen Ländern in der Region geht es so, dass sich die Menschen nicht trauen dorthin zu reisen, weil sie in den Medien nur ein einseitiges Bild gezeigt bekommen."

Kommt die totale Abschottung?

Navid glaubt nicht, dass die Gäste bald wieder zurückkommen. Nun gibt es auch noch Gerüchte, der Iran werde auf nationales Internet umstellen: komplette Abschottung. Dieser Gedanke ist für Navid kaum zu ertragen: "Es gibt leider immer wieder Momente, in denen man merkt, dass man keinerlei Einfluss auf bestimmte Dinge hat. Plötzlich werden einem wieder alle Möglichkeiten genommen, nicht nur durch das Ausland, auch durch das eigene Land. Also zweifelt man daran, ob man wirklich etwas bewegen kann."

Schild von Hostel mit Aufschrift "See you in Iran"
Aufgeben oder weitermachen? | Bild: SWR

Die Zweifel sind da. Navid könnte den Iran auch einfach wieder verlassen – wie viele seiner Freunde. Doch er will vorerst bleiben und weitermachen. Wie lange noch, fügt er hinzu, dass wisse er nicht: von Tag zu Tag schwinde seine Hoffnung.

Autorin: Katharina Willinger, ARD-Studio Teheran

Stand: 09.02.2020 21:06 Uhr

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