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Irak: Wo sind die Christen?

Irak: Wo sind die Christen? | Bild: dpa / picture-alliance

Kais Dano lebt 100 Kilometer südlich von Bagdad, in Hilla. Ein Christ mitten im Schiitengebiet. Die chaldäisch-katholische Gemeinde ist in den vergangenen Jahren dramatisch geschrumpft. Christen, so erzählt Kais, hätten weniger Chancen eine Arbeit zu finden als Nicht-Christen. Aber Arbeit gibt es sowieso nur wenig. Noch immer ist die Infrastruktur in diesem Teil des Irak marode. Geld wird vor allem für die schiitischen Heiligtümer in Nadjaf und Kerbela ausgebeben. Die erstrahlen im neuen Glanz. Und die alten Kirchen verfallen, weil es keine Gemeinde mehr gibt. Aus Hilla sind in der Folge 170 Familien weggegangen. Nur acht christliche Familien sind übriggeblieben.

Kein Pfarrer, keine Gottesdienste

Kirche innen
Immer mehr Bänke bleiben leer  | Bild: SWR

Kais trifft sich mit dem Hausmeister der Kirche Jungfrau Maria, um anstehende Renovierungsarbeiten zu besprechen. Die beiden sind die einzigen Gemeindemitglieder, die die Kirche von Hilla in Schuss halten. Deren Bänke haben sich im Laufe der vergangenen Jahre dramatisch gelehrt. Kais erzählt, der Irak-Krieg 2003 und dann der Terror des IS ab 2014 habe die konfessionelle Spaltung gefördert. Deswegen hätten viele Hilla verlassen, seien ausgewandert. "Nach 2003 gab es Übergriffe von einzelnen. Es waren Taten von Einzelnen. Aber es war für die Christen ein negatives Zeichen, das sie dazu brachte, das Land zu verlassen. Die Chancen für einen Christen Arbeit zu finden sind geringer als für einen Nicht-Christen." 170 christliche Familien sind von hier weggegangen. Nur acht sind übriggeblieben. Einen Pfarrer gibt es nicht, damit auch keine Gottesdienste. Es ist eine sterbende Gemeinde. Mitten im Schiitengebiet. Es sind nicht nur die Sunniten, die Druck auf die christliche Minderheit ausüben.

Kirche Jungfrau Maria in Hilla
Irak-Krieg und der Terror des IS haben den Christen stark zugesetzt | Bild: SWR

Kais fährt am nächsten Tag nach Kerbala einen Freund besuchen. Allein der Weg dorthin zeigt in welchem Zustand sich das Land befindet. Müll überall, Verfall, ein marodes Stromnetz, keine Industrie, Armut wohin man blickt. "Ich weiß nicht wo das endet. Wir haben im ganzen Land Instabilität und das hat Auswirkungen auf alle Iraker aber im Besonderen auf die Christen." Selbst in Kerbala, eine Hochburg der Schiiten, sieht es aus wie vor zwanzig Jahren. Obwohl alle bisherigen Regierungen von Schiiten dominiert sind, kommt von den Öleinnahmen praktisch nichts bei den Menschen hier an. Kais ist Architekt. Er hat in Kerbala hin und wieder Aufträge. Heute trifft er sich mit Mustafa, dessen beiden Familien seit langem befreundet sind. Mustafa ist Schiit. Ihm könnte der Papstbesuch egal sein. Ist es aber nicht. "Mit dem Papstbesuch wollen wir zeigen, dass wir offen sind für diejenigen, die von hier weggegangen sind. Wir wollen ihnen sagen, dass die Christen willkommen sind. Wir hoffen, dass sie in den Irak zurückkehren."

Viele Christen wollen auswandern

Kerbala ist eine der heiligsten Orte der Schiiten. Zu Ehren des geistlichen Führers, Imam Hussein, ein Enkel des Propheten Mohammed, wurde hier diese Moschee gebaut. Direkt neben der Moschee – eine Baustelle. Hier entsteht ein neues riesiges Hotel für Pilger. Auch das ist typisch. Die Infrastruktur verkommt im Land, aber Geld für Heiligtümer ist da. "Meine Meinung? Wenn die Gründe für eine Auswanderung so bleiben, wird die Zahl der Christen stark abnehmen" vermutet Kais Dano. "Vielleicht in weniger als zehn Jahren, kann man sie an den Fingern einer Hand abzählen." Alle Brüder von Kais sind ausgewandert. Wenn er sich eine neue Existenz im Ausland aufbauen könnte und Asyl bekäme, würde auch er gehen.

Gemälde von Jesus Christus und Holzkreuz
Das Christentum hat im Irak eine lange Tradition  | Bild: SWR

Sein Freund Mustafa sieht den Christenschwund mit Besorgnis. "Die Christen sind Teil des irakischen Volkes. Die haben sehr gut ausgebildete Leute, wie Ingenieure, Piloten, Ärzte. Das sind fleißige Leute, die ihre Arbeit und das Land lieben. Wenn sie hierbleiben ist das gut für die Entwicklung des Landes. Deswegen hoffen wir, dass sie hierbleiben." Nicht nur Christen verlassen den Irak, auch Muslime und Jesiden. Immerhin ist die Sicherheitslage nach dem Sieg über den IS besser. Aber viele sind frustriert wegen unfähiger Regierungen, grassierender Korruption und Vetternwirtschaft. Blühende Landschaften sind in diesem Land noch eine Utopie.


Autor: Alexander Stenzel, ARD-Studio Kairo

Stand: 08.03.2021 13:23 Uhr

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